RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: MARTIN LEMKE

Standardisierte Vergabepraxis für Hypothekarkredite zu wenig flexibel

Die EU-Richtlinie "nützt weder Kreditinstituten noch Kreditnehmern"

Standardisierte Vergabepraxis für Hypothekarkredite zu wenig flexibel

– Herr Lemke, die EU-Kommission hat im März eine Richtlinie über Wohnimmobilienkreditverträge – kurz Hypothekarrichtlinie – vorgeschlagen. Damit sollen eine standardisierte Kreditvergabepraxis und ein grenzüberschreitender Markt für Hypothekarkredite geschaffen werden. Ist diese Richtlinie sinnvoll?Nein, in ihrer aktuellen Fassung nicht. Sie nützt in ihrer jetzigen Form weder den Kreditinstituten noch den Kreditnehmern. Schlimmer noch: Eine Umsetzung der vorgeschlagenen Vorschriften könnte zu einer gefährlichen Destabilisierung der europäischen Hypothekenmärkte führen. Dabei ist der europäische Normgeber gefragt, durch gezielte Verordnungen und Richtlinien zu einer Stabilisierung der Märkte beizutragen. Gerade für den europäischen Hypothekarkreditmarkt wäre das besonders wichtig, denn er entspricht mit einem Volumen von rund 6 Bill. Euro etwa 50 % des europäischen Bruttoinlandsprodukts – ist also extrem bedeutsam.- Was hat Brüssel Ihrer Ansicht nach außer Acht gelassen?Am Anfang muss die Überlegung stehen, ob überhaupt ein europaweiter Regelungsbedarf besteht. Denn längst nicht in jedem Mitgliedstaat gibt es einen Hypothekarkreditmarkt. Ein Vergleich der vorhandenen Märkte zeigt zudem, dass sich die Kreditsicherungssysteme der jeweiligen Länder zum Teil von Grund auf unterscheiden. Dasselbe gilt für die jeweiligen Kreditprodukte und die Vergütungsstrukturen. Hierauf wurde zu wenig Rücksicht genommen.- Welche Folgen hätte eine Umsetzung der Richtlinie angesichts dieser Unterschiede?Eine Harmonisierung würde in vielen Mitgliedstaaten zwangsläufig radikale Veränderungen der Finanzierungs- und Refinanzierungssysteme notwendig machen. Dies dürfte zu einer großen Verunsicherung auf den davon betroffenen Finanzmärkten führen. Darüber hinaus haben sich insbesondere in vielen mitteleuropäischen Staaten diejenigen Elemente, die für einen stabilen Hypothekarkreditmarkt entscheidend sind, schon seit langem etabliert – beispielsweise eine langfristige, festverzinsliche Immobilienfinanzierung. Für eine EU-weite Regelung der Hypothekarkreditmärkte besteht somit weder Bedarf, noch wäre sie geeignet, die Märkte zu stabilisieren.- Laut Richtlinienvorschlag steht es den Mitgliedstaaten frei, die Regelungen nicht nur auf Verbraucher anzuwenden, sondern ihren Geltungsbereich auf Unternehmer auszudehnen. Halten Sie das für vernünftig?Die Ausweitungsoption kann zu unbeabsichtigten Schwierigkeiten führen. Wären auch Unternehmer vom Geltungsbereich der Richtlinie erfasst, käme es insbesondere bei der Verwirklichung mittlerer und großer Projekte zu erheblichen Verzögerungen. Die Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf Unternehmer widerspricht außerdem dem Ziel, das sich die Kommission bei dieser Richtlinie ausdrücklich auf die Fahnen geschrieben hat – nämlich dem Schutz der Verbraucher.- Der Vorschlag sieht unter anderem eine Vereinheitlichung des Verfahrens für die Hypothekarkreditvergabe vor – wäre Verbrauchern damit geholfen?Ich halte das Verfahren für zu unflexibel. Nach dem Willen der Europäischen Kommission führt allein ein negatives Ergebnis bei der Bonitätsprüfung zwingend zur Verweigerung des Kredits. Dies könnte, wie die Kommission selbst einräumt, dazu führen, dass ganze Schichten möglicher Kreditnehmer aus dem Markt ausgeschlossen werden. Diese Gefahr besteht insbesondere für Bürger in den einkommensschwächeren Mitgliedstaaten.- Heißt das, die Bonität eines Kreditnehmers sollte von untergeordneter Bedeutung sein?Selbstverständlich nicht. Die Bonität sollte ein maßgebliches Kriterium für die Kreditvergabe sein. Kreditinstituten muss jedoch für Einzelfälle ein Entscheidungsspielraum vorbehalten bleiben. Die Finanzierung von Immobilien verläuft schließlich auch nicht nach einem einheitlichen Schema, sondern ist stets auf das individuelle Investitionsobjekt und die Situation des einzelnen Kreditnehmers abgestimmt.—-Martin Lemke ist Geschäftsführer der Patrizia GewerbeInvest KAG und Vorsitzender der Arbeitsgruppe Housing der FIEC Fédération de l’Industrie Européenne de la Construction. Die Fragen stellte Walther Becker.