Recht und Kapitalmarkt

Steuerhinterziehungsrisiko für deutsche Anleiheemittenten

§ 44 EStG

Steuerhinterziehungsrisiko für deutsche Anleiheemittenten

Von Dr. Bernulph v. Crailsheim *) Der Fiskus hat – wahrscheinlich ohne es zu wollen – mit der Neufassung des § 44 EStG durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 einen “Agent Provocateur” zur Begehung von Kapitalertragsteuerhinterziehung in die Welt gesetzt. Die Neufassung verpflichtet inländische Anleiheemittenten in bestimmten Fällen, in denen ausländische Banken die Anleihen für die Gläubiger verwahren und die Zinsen auszahlen, Zinschabschlagsteuer abzuführen. Da für den Anleiheemittenten in der Regel nicht erkennbar ist, ob er Zinsabschlag einbehalten muss oder nicht, riskiert er, Kapitalertragsteuer zu hinterziehen.Zinsen aus Anleihen deutscher Unternehmen unterliegen einem Abschlag von 30 (einschließlich Solidaritätszuschlag 31,65) %. Dabei hat nach bisherigem Verständnis die die Kapitalerträge auszahlende Stelle, wenn sie sich im Inland befindet, den Steuerabzug vorzunehmen. Die Einbehaltung des Abschlags obliegt damit nicht dem inländischen Emittenten, sondern dem depotführenden inländischen Kreditinstitut, soweit Anleihegläubiger Inländer sind.Da ausländische Gläubiger solcher Anleihen nicht beschränkt steuerpflichtig sind, wird bei Zinszahlungen an diese kein Abschlag einbehalten. Für ausländische Institute kann keine Einbehaltungspflicht bestehen. Der Emittent musste den Zinsabschlag bisher nur dann einbehalten, wenn er selbst die Anleihen verwahrt und die Zinsen an die Gläubiger auszahlt.Alles in allem ist die beschriebene Vorgehensweise sinnvoll, da Zinsabschlag immer nur durch denjenigen einzubehalten ist, der den Anleihegläubiger kennt bzw. kennen kann. Der auszahlenden Stelle ist es möglich, zu beurteilen, ob Zinsabschlag einzubehalten ist. Nun gibt es durch das Unternehmensteuerrefomgesetz 2008 eine “redaktionelle Folgeänderung” des § 44 EStG. Nimmt man die Änderung wörtlich – daran führt bei Gesetzen normalerweise kein Weg vorbei -, wäre die Pflicht des Emittenten zum Kapitalertragsteuereinbehalt künftig nicht mehr auf die Fälle beschränkt, in denen er selbst die Anleihen verwahrt und die Zinsen auszahlt. Er muss den Zinsabschlag auch in Fällen einbehalten, in denen keine inländische Zahlstelle Zinsen auszahlt, d. h. immer dann, wenn die Anleihen bei einem ausländischen Kreditinstitut verwahrt werden. Gibt es eine Verwahrung durch ein inländisches Kreditinstitut, verbleibt es bei den bisherigen Regelungen, dass der Zinsabschlag durch dieses inländische Kreditinstitut abgeführt werden muss.Damit wären aus Sicht des inländischen Emittenten drei Fälle zu unterscheiden, wenn dieser die Anleihen nicht selbst für die Gläubiger verwahrt. Erstens: Verwahrung der Anleihen durch ein inländisches Kreditinstitut, zweitens Verwahrung durch ein ausländisches Institut und ausländischer Gläubiger sowie drittens Verwahrung der Anleihen durch ein ausländisches Institut und inländischer Gläubiger.Im Fall 1 muss der Emittent keine Zinsabschlagsteuer einbehalten. Im Fall 2 gilt dies nur, sofern der Gläubiger dem Emittenten seine Steuerausländereigenschaft nachweist. Im Fall 3 muss der Emittent Zinsabschlag einbehalten. Da die Verwahrung in allen Fällen durch die Kreditinstitute der Gläubiger erfolgt, die der Emittent in den üblichen Fällen mehrstufiger Verwahrung nicht kennt, und ausländische Institute normalerweise keine Veranlassung haben, den Nachweis der Steuerausländereigenschaft von Kunden zu verlangen, ist es dem Anleiheemittenten praktisch nicht möglich, seiner gesetzlich geforderten Einbehaltungspflicht in den Fällen 2 und 3 nachzukommen – er riskiert die Hinterziehung der Kapitalertragsteuer. Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber schnellstmöglich die unglückliche Neufassung des § 44 EStG korrigiert. Dem Vernehmen nach hat der Bundesrat eine solche Änderung im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2008 angeregt. *) Dr. Bernulph v. Crailsheim ist Partner bei Dewey Ballantine.