Recht und Kapitalmarkt

Stillhalten bis zum Stillstand?

Atomgesetz kennt kein Moratorium - Tragfähiger Kompromiss zwischen Zielen der Regierung und Rechtspositionen der Betreiber schwierig

Stillhalten bis zum Stillstand?

Von Christopher Bremme und Tim Heitling *)Das deutsche Atomgesetz (AtG) kennt ein Moratorium nicht. Damit der Staat eine dauerhafte Stilllegung der sieben vor 1980 errichteten deutschen Kernkraftwerke durchsetzen kann, bedürfte es entweder einer dem Bundestag vorbehaltenen Änderung des Atomgesetzes oder eines begründeten Widerrufs der Betriebsgenehmigungen für jedes einzelne Kernkraftwerk. Auch eine nur einstweilige Stilllegung ist nur unter Einhaltung enger gesetzlicher Voraussetzungen zulässig. Diese Optionen stehen der Bundesregierung und den Landesaufsichtsbehörden nicht nach Belieben zur Verfügung. Eine möglichst rechtssichere Stilllegung der Kernkraftwerke wird daher wohl nur am Verhandlungstisch mit den Betreibern zu erreichen sein. GefahrenabwehrSchon gut zehn Wochen nach Inkrafttreten des umstrittenen Gesetzes zur Verlängerung der Laufzeiten sollen seine wesentlichen Inhalte erneut revidiert werden: Unter dem Eindruck der Katastrophe in Japan hat Bundeskanzlerin Angela Merkel ein dreimonatiges Moratorium für diese Laufzeitverlängerung verkündet. Alle Anlagen sollen während dieser Zeit einer umfassenden Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden. Nachfolgend wurde das Moratorium dahingehend konkretisiert, dass die sieben vor 1980 in Betrieb gegangenen Kernkraftwerke sofort für diese drei Monate stillzulegen sind.Es ist eine öffentliche Diskussion entbrannt, inwiefern dieses Handeln der Bundesregierung und der Landesaufsichtsbehörden, die die Betreiber durch Bescheid aufgefordert haben, die Kraftwerke stillzulegen, als rechtmäßig eingestuft werden kann oder ob hier neben einfachrechtlichen sogar verfassungsrechtlich gesetzte Grenzen überschritten wurden. Die Bundesregierung hat sich für ihr Handeln auf die Gefahrenabwehrvorschrift in § 19 Abs. 3 Nr. 3 AtG als Rechtsgrundlage berufen. Hiernach kann die zuständige Aufsichtsbehörde anordnen, dass ein Zustand beseitigt wird, der den atomrechtlichen Vorschriften, den Bestimmungen des Genehmigungsbescheids oder einer nachträglich angeordneten Auflage widerspricht oder aus dem sich durch die Wirkung ionisierender Strahlen Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sachgüter ergeben können. Hohe HürdenEs trifft zwar zu, dass die zuständigen Landesbehörden nach dieser Vorschrift die einstweilige Einstellung des Betriebs eines Kernkraftwerks anordnen können. Doch kann aus ihr kein Recht zur Suspendierung geltender gesetzlicher Regelungen abgeleitet werden.Der Bund kann grundsätzlich im Rahmen der auf dem Gebiet der Atomaufsicht durch die Länder ausgeübten Bundesauftragsverwaltung die zuständigen Landesbehörden anweisen, eine einstweilige Betriebseinstellung gegenüber den Kraftwerksbetreibern anzuordnen. Die Hürden für einen solchen schwerwiegenden Eingriff sind jedoch hoch. Entweder müsste der Betrieb jedes einzelnen Kraftwerks gegen geltendes Atomrecht verstoßen oder die bestehende Betriebsgenehmigung überdehnt werden oder von jeder Anlage eine akute Gefahr für Leben, Gesundheit oder Sachgüter ausgehen.Dies lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt allein durch die Ereignisse in Japan schwerlich begründen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass den Betreibern ein rechtswidriger Anlagenbetrieb vorgeworfen werden kann. Aber auch ein erheblicher Anstieg der Gefährdung durch die jetzt stillgelegten Kraftwerke bedürfte einer fundierten Begründung im Einzelfall. Zwar muss nicht erst eine akute Lebens- oder Gesundheitsgefahr für die Bevölkerung abgewartet werden, um eine rechtmäßige Anordnung unter § 19 AtG zu treffen.Doch dürfen die Befürchtungen hierüber auch nicht bloß theoretischer Natur, sondern müssen anhand objektiv messbarer Kriterien nachweisbar sein. Allein der pauschale Hinweis auf das Betriebsalter einer Gruppe von Anlagen genügt nicht, genauso wenig wie neue wissenschaftliche Erkenntnisse oder Beurteilungsmaßstäbe aufgrund der Vorgänge in Japan.Doch selbst dann kann die einstweilige Betriebseinstellung nur Ultima Ratio sein. Grundsätzlich müssen zuvor – in Abwägung zum Grad der Gefährdung – andere, weniger einschneidende Maßnahmen angewendet werden, vor allem nachträgliche Auflagen zu technischen Nachrüstungen. Alle diese Maßnahmen unterliegen darüber hinaus dem allgemeinen Verwaltungsrecht, das den Betreibern Anhörungsrechteund Rechtsmittel zugesteht, bevor eine solche Maßnahme in Rechtskraft erwächst. Aus aktienrechtlichen Erwägungen können die Vorstände der Betreiber zur Wahrnehmung von solchen Rechtsschutzmöglichkeiten verpflichtet sein.Wollte man die betroffenen Kernkraftwerke im Wege eines dauerhaften Widerrufs der Betriebsgenehmigungen sogar endgültig stilllegen, wäre dies ebenfalls nur als letztes Mittel nach dem fruchtlosen Verstreichen einer Abhilfefrist durch die Betreiber zulässig. Dass die Voraussetzungen hierfür derzeit vorlägen, ist nicht ersichtlich.Daher könnte man (ältere) Kernkraftwerke nur nach einer – im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens durchzuführenden – erneuten Änderung des Atomgesetzes durch Verkürzung der dort festgeschriebenen Restlaufzeiten endgültig stilllegen. Dies stellt grundsätzlich den einzig gangbaren Weg dar, um die mit dem Moratorium bezweckte Nichtgeltung wirksamer Rechtsnormen zu erreichen, sieht man von dem fernliegenden Fall eines nationalen Notstands ab. Neben dem Parlament steht die Kompetenz zur Außerkraftsetzung von nationalem Recht nämlich allein dem Bundesverfassungsgericht zu, nicht jedoch der Bundesregierung. Nicht beliebig eingreifenDoch auch durch eine solche Änderung des Atomgesetzes kann nicht beliebig in die grundgesetzlich geschützten Rechte der Betreiber eingegriffen werden. Der Entzug der Betriebsgenehmigung stellt einen Eingriff in das durch Artikel 14 Grundgesetz geschützte Eigentum der Betreiber dar. Es wird auch zu prüfen sein, welche Rechte die Kraftwerksbetreiber aus dem mit der Bundesregierung im Namen des Bundes geschlossenen Förderfondsvertrag herleiten können, der im Zusammenhang mit der Laufzeitverlängerung abgeschlossen wurde. Zwar enthält der Vertrag nicht ausdrücklich eine Pflicht zu der Laufzeitverlängerung, jedoch werden die Reststrommengen für jedes Kraftwerk in einer Anlage zum Vertrag genannt.Hält man sich vor Augen, dass die Verluste der Kraftwerksbetreiber aufgrund der Stilllegung allein für die kommenden drei Monate auf 500 Mill. Euro geschätzt werden und das Moratorium rechtlich auf wackeligen Füßen steht, liegt eine Annäherung der entgegenstehenden Positionen von Betreibern und Bundesregierung im Konsenswege nahe, wie sie bereits im Vorfeld zur erstmaligen Laufzeitbegrenzung aus dem Jahre 2002 erzielt worden war. Andernfalls besteht das Risiko hoher Schadenersatzforderungen seitens der Betreiber. Erkaufte VerlängerungBei Verhandlungen über eine mögliche gesetzliche Neuregelung wird zudem an Auswirkungen der Stilllegung von Kernkraftwerken auf die Netzstabilität, die CO2 -Bilanz der Stromerzeugung, die Strompreise, die nach Verkündung des Moratoriums an den Börsen deutlich gestiegen sind, und nicht zuletzt auf den Finanzhaushalt gedacht werden müssen. Die Betreiber hatten sich die Laufzeitverlängerung durch Zahlungen in einen Fonds zur Förderung von Energieeffizienzmaßnahmen und erneuerbaren Energien sowie einer Brennelementesteuer “erkauft”. Mit der Steuer sollte in den nächsten fünf Jahren ein Haushaltsloch in Höhe von etwa 2,3 Mrd. Euro p. a. gestopft werden. Werden die Laufzeiten verkürzt oder Kernkraftwerke stillgelegt, fällt weniger Kernbrennstoffsteuer an. Zudem könnten Mittel entfallen, zu denen sich die Betreiber im Förderfondsvertrag verpflichtet haben und die ebenfalls an die verlängerten Laufzeiten gekoppelt sind.Es wird in den nächsten Wochen daher keine leichte Aufgabe werden, in diesem Spannungsfeld einen tragfähigen Kompromiss zwischen den Zielen der Bundesregierung und den Rechtspositionen der Betreiber zu finden. Drei Monate für die Schaffung des 13. Atomrechtsänderungsgesetzes und eine Einigung mit den betroffenen Unternehmen sind da wohl eher knapp bemessen.—-*) Christopher Bremme ist Partner und Dr. Tim Heitling Managing Associate im Berliner Büro von Linklaters.