RECHT UND KAPITALMARKT

Strafbarkeitslücken im Risikomanagement?

Trennbankengesetz nimmt Geschäftsleiter in Kreditinstituten an die Kandare - Verfassungsrechtliche Bedenken

Strafbarkeitslücken im Risikomanagement?

Von Mathias Hanten *)Der aktuelle Entwurf der Bundesregierung zum “Gesetz zur Abschirmung von Risiken und zur Planung der Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Institutsgruppen”, Kurzname: “Trennbankengesetz” befasst sich in erster Linie – und hier lag bislang auch das öffentliche Interesse – mit der Umsetzung des von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen Liikanen-Reports; der Report plädiert unter anderem für ein moderates Trennbankensystem. Ferner dient der Entwurf der Umsetzung der zukünftigen EU-Krisenmanagement-Richtlinie.Über den Gesetzesinhalt hinaus ist interessant, dass der deutsche Gesetzgeber den europäischen Gesetzgeber überholen will und wird. Diese rechtliche Situation ist neu und kann dazu führen, dass nationales Recht auf Grundlage von noch nicht verabschiedeten Rechtsakten der Europäischen Union geschaffen wird, das bei abweichender europäischer Gesetzgebung wieder zu ändern wäre.Was im Augenblick für weitere Diskussion sorgt, sind die von der Bundesregierung in Artikel 3 und 4 des Entwurfs geplanten neuen Straftatbestände der §§ 54a Gesetz über das Kreditwesen (KWG) und 142 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG). Nur im KrisenfallKurz zusammengefasst sollen Verfehlungen von Geschäftsleitern im Risikomanagement, die zu Bestandsgefährdung im Sinne von §§ 48b oder 48o KWG und zu Gefährdungen der Erfüllbarkeit aus Versicherungsverträgen führen, unter Strafe gestellt werden. Die Straftat könnte also nur von Geschäftsleitern im Sinne von KWG und VAG begangen werden.Die Regierungsbegründung führt für das KWG aus, dass die Wahrung einer ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation und eines angemessenen und wirksamen Risikomanagements nicht nur der Sicherung der angetrauten (wörtliches Zitat aus der Regierungsbegründung!) Vermögenswerte und der ordnungsgemäßen Geschäftsdurchführung dient, sondern auch der Stabilität des Finanzsystems und der Vermeidung von Nachteilen für die Gesamtwirtschaft. Die Verletzung der wesentlicher Risikomanagementpflichten, so die Begründung weiter, sei nur im Falle des Eintritts der Unternehmenskrise strafbar; es handele sich bei dem Straftatbestand – schon das lässt sich in Zweifel ziehen – um ein abstraktes Gefährdungsdelikt.Im Gegensatz zum Trennbanken-Ansatz und der Krisenmanagementregelung des Entwurfs folgt sein strafrechtlicher Teil mit der Strafbewehrung des Risikomanagements weder europäischen Gesetzgebungsplänen noch anderen internationalen Vorgaben.In Frankreich, Spanien in den Niederlanden, in Ungarn, in Polen und in Österreich gibt es keine Strafbewehrung der Verletzung von Risikomanagementanforderungen. Das Gleiche gilt für die Schweiz. Auch in den USA hat Dodd-Frank, außerhalb des Insiderhandels, nicht zu einer Strafbewehrung schlechten Risikomanagements geführt. Soweit dort Compliance-Verletzungen, die den Finanzmarkt betreffen, geahndet werden, beruht dies auf Gesetzgebung der Dreißiger und Siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts.In Großbritannien erörtert die Parliamentary Commission on Banking Standards gegenwärtig die Einführung von Straftatbeständen, die dem deutschen Entwurf nahekommen. Ergebnisse liegen aber noch nicht vor. Soweit ersichtlich, hat sich bislang nur der EFTA-Staat Norwegen im September 2008 entschieden Verletzungen des Risikomanagements strafrechtlich zu bewehren. Schon diese kurze Übersicht zeigt, dass die Bundesregierung über die Standards der meisten finanzmarktrelevanten Staaten hinausgeht. Es handelt sich also, wenn man es freundlich formulieren will, um ein deutsches “Goldplating”.Auf der strafrechtlichen Seite stellen sich eine ganz Reihe von Fragen, auf welche die Regierungsbegründung – jedenfalls bislang – keine Antworten gibt.Genügt die straftatbestandliche Anknüpfung an die verwaltungsrechtlichen Vorschriften des § 25c Abs. 3a oder Abs. 3b Satz 2 KWG verfassungsrechtlichen Bestimmtheitserfordernissen des Artikel 103 Abs. 2 des Grundgesetzes? Hier sind zumindest Zweifel angebracht, weil bislang weder Rechtsprechung noch Verwaltungspraxis eine belastbare Auslegung der, ebenfalls neuen, Anknüpfungsnormen liefert. Daran ändert auch nichts, dass von den potenziellen Tätern, also Geschäftsleitern, denen nach §§ 33 Abs. 2 KWG und § 7a VAG besondere fachliche Eignung zu eigen ist, Expertenwissen verlangt werden kann. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob die geplanten Strafnormen anerkannten Strafzwecken dienen. Spezialpräventive Abschreckung der möglichen Täter, also der Geschäftsleiter von Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen, ist wohl nicht erforderlich. Denn die Geschäftsleiter, die durch Normenverletzungen die Bestandsgefährdung eines Instituts bewirken, sind erstens einer zivilrechtlichen Haftung ausgesetzt; eine Reihe anhängiger Prozesse und Schiedsverfahren vor deutschen Gerichten zeigt das. Zweitens wären die Geschäftsleiter bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 54a KWG-E und 142 VAG-E durch den fast sicheren Verlust ihrer Geschäftsleitereignung beruflich ruiniert. Zu hohe RegelungsdichteAuch kann man fragen, ob nicht der ohnehin weite Untreuetatbestand, § 266 StGB jetzt schon eine strafrechtliche Handhabe bietet. Um eine positive Generalprävention zu erzielen, also das Bewusstseins der Notwendigkeit guten Risikomanagements zu stärken, dürfte die Regelungsdichte zu hoch sein. Selbst wenn man der kürzlich in der Literatur prominent vertreten Rechtsauffassung folgen wollte, dass sich der sicherere Hafen für Management-Entscheidungen in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen nicht mehr nach der allgemeinen Business Judgment Rule des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG, sondern allein nach den aufsichtsrechtlichen Spezialvorschriften bestimmen soll, würde eine Strafbewehrung keinen Mehrwert bieten.Wenn der Entwurf mit den neuen Straftatbeständen Gesetz würde, ist zudem sehr fraglich, ob eine Strafverfolgung praktisch umgesetzt würde. Die eher marginale Verfolgung der schon bestehenden Straftatbestände des KWG oder VAG wegen unerlaubten Betreibens erlaubnispflichtiger Geschäfte durch die Strafverfolgungsbehörden spricht dagegen.Die geringe Verfolgungsintensität mag dem Umstand geschuldet sein, dass der Straftatbestand durch schlecht einschätzbare Anknüpfungsvorschriften des Aufsichtsrechts vorbestimmt war. Gegen den strafrechtlichen Ansatz der Bundesregierung spricht also auch, dass die strafrechtliche Verfolgung wahrscheinlich ein Papiertiger bleiben würde.So nachvollziehbar der politische Wunsch ist, die “Mitwirkung an der Verursachungen einer Finanzmarktkrise” unter Strafe zu stellen, so nahe liegt die Einschätzung, dass es sich um einen Schulfall symbolischer Gesetzgebung handelt. Eine solche liegt aus Sicht der Rechtssoziologie dann vor, “wenn die Ineffektivität eines Normbefehls von vornherein erkennbar ist und die Motive der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten gar nicht auf die Verwirklichung der Norm gerichtet sind”. Die Bundesregierung muss sich fragen lassen, ob sie Straftatbestände in das Gesetzgebungsverfahren einbringen soll, deren Verfolgung sehr unwahrscheinlich ist. Sind ausgerechnet die hochtechnischen Gesetze des Bank- und Versicherungsaufsichtsrechts die geeigneten Abladeplätze für strafrechtliche Symbolgesetzgebung?Zusammenfassend sind die geplanten Strafrechtnormen möglicherweise verfassungswidrig, verfolgen, soweit ersichtlich, keinen anerkannten Strafzweck und sind als symbolische Gesetzgebung sowie als international nicht abgestimmter Alleingang zu bewerten. Es ist nicht ersichtlich, dass die geplanten Strafnormen die Umsetzung des Liikanen-Reports oder EU-Krisenmanagement-Richtlinie sinnvoll begleiten.Hieraus ergibt sich, neben dem Rechtsrisiko, ein politische Risiko: Das erkennbar ernste Bemühen der Bundesregierung und aller Fraktionen des Deutschen Bundestages, gerade auch in der Opposition, um nationale Umsetzung eines modifizierten Trennbankensystems und eines europäisch harmonisierten Krisenmanagements für Banken und Versicherungen kann durch einen deutschen Alleingang im Strafrecht, gerade in Wahlkampfzeiten, an Glaubhaftigkeit verlieren.—-*) Dr. Mathias Hanten ist Rechtsanwalt und Partner bei DLA Piper in Frankfurt.