Recht und Kapitalmarkt

Takeover Panel belebt Debatte zum Übernahmerecht

Blaupause aus Großbritannien für deutsche Regeln - Anpassungen sollen Position von Zielunternehmen stärken

Takeover Panel belebt Debatte zum Übernahmerecht

Von Christoph Seibt *) Rechtzeitig vor der für den Sommer 2011 vorgesehenen Bestandsaufnahme des europäischen Rechtsrahmens der EU-Übernahmerichtlinie ist die Debatte um das Übernahmerecht in Europa voll in Gang gekommen: Der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages diskutiert Gesetzesentwürfe zum neuen Melderegime von verdeckten Beteiligungserwerben und zum “Creeping-in”. In Frankreich werden nach dem erst Ende Oktober veröffentlichten Bank- und Finanzüberwachungsgesetz im Zuge des verdeckten Beteiligungsaufbaus von LVMH beim Wettbewerber Hermès weitere Meldepflichten von Bietern und die Zulässigkeit von Abwehrmaßnahmen von Zielgesellschaften diskutiert.Das britische Code Committee of the Takeover Panel hat am 21. Oktober mit seinem abschließenden Bericht über die “Überprüfung bestimmter Aspekte der Regelungen von Übernahmeangeboten” einen weiteren Impuls gegeben. Die vorgeschlagenen Änderungen am Takeover Code sollen die Position von Zielunternehmen und deren Stakeholdern in Übernahmeverfahren stärken und gleichzeitig die Abgabe von Übernahmeangeboten insbesondere durch Finanzinvestoren erschweren. Damit liegen die Reformvorschläge aus dem Vereinigten Königreich in der Fließrichtung der auch andernorts in Europa geführten Reformdebatte zum Übernahmerecht.Über den allgemeinen Trend hinaus werden die Vorschläge des Takeover Panel auch Auswirkungen auf das zukünftige Rechtsregime für öffentliche Kaufangebote in Deutschland haben. Dies liegt neben der übernahmerechtlichen Bestandsaufnahme durch die Europäische Kommission 2011 (Art. 20 EU-Übernahmerichtlinie) vor allem daran, dass der UK Takeover Code und seine praktische Handhabung durch das Takeover Panel in der Vergangenheit Blaupause für eine Reihe von deutschen Rechtsregeln sowie Argumentationsreservoir für die Zulässigkeit bestimmter Marktpraktiken war. Es ist wahrscheinlich, dass die Weiterentwicklung des für die EU-Übernahmerichtlinie ursprünglich besonders wichtigen UK Takeover Code wiederum große Bedeutung haben wird. Auslöser Cadbury-DealAnlass für die UK-Reformvorschläge selbst war die nach drei Angeboten letztlich im Januar 2010 erfolgreiche Übernahme des traditionsreichen britischen Nahrungsmittelherstellers Cadbury durch Kraft Foods. Nach der Übernahme hatte das Executive Board des Takeover Panel ein seltenes “statement of public criticism” gegen Kraft Foods und ihren Finanzberater wegen Verletzung von Sorgfaltspflichten bei der Erstellung von Bieterunterlagen veröffentlicht. Denn Kraft Foods schloss eine Woche nach der Übernahme trotz einer entgegenstehenden Absichtserklärung einen britischen Produktionsstandort.Die im Bericht des Code Committee enthaltenen wesentlichen Änderungen betreffen vier Bereiche, nämlich die Beschränkung von Taktiken im Vorfeld von Übernahmen, das Verbot bestimmter Absicherungsmaßnahmen des Bieters, die Qualität der in Angebotsunterlagen zu veröffentlichenden Angaben zu den Absichten des Bieters und schließlich die Pflichtenstellung der Board-Mitglieder des Zielgesellschaft.In einer Vielzahl von UK-Sachverhalten kam es zu sogenannten Virtual Bids, in denen ein möglicher Bieter seine Überlegungen öffentlich machte, unter bestimmten Umständen ein Übernahmeangebot abzugeben (z. B. Übernahmeverfahren Tata Steel/CSN/Corus 2006/07, Xstrata/Longmin 2008, First Group/CVC/Stage Code Group/National Express Group 2009).Die Bietinteressenten beabsichtigen damit, einerseits einen Markttest über einen adäquaten Angebotspreis durchzuführen und andererseits das Management der Zielgesellschaft zu einer Angebotsunterstützung zu drängen. Die in diesem Zusammenhang bestehende “Put up or shut up”-Regel soll nun in der Weise verschärft werden, dass ein potenzieller Bieter, der Marktberichte über ein mögliches Übernahmeangebot veranlasst hat, innerhalb einer festen Frist von vier Wochen erklären muss, ob er ein solches Angebot tatsächlich abgibt. Nach Einschätzung von Private Equity Funds erschwert diese Fristenregelung die Vorbereitung und Finanzierbarkeit von Übernahmeangeboten.Zwar kennt das deutsche Recht bislang keine explizite “Put up or shut up”-Regel, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) sollte aber im Rahmen ihrer Missstandsaufsicht (§ 4Abs. 1 WpÜG) die neuen britischen Regeln als Benchmark nehmen. Auch wenn Virtual Bids in der bisherigen Übernahmepraxis in Deutschland keine Bedeutung hatten, weil deren regelmäßig kurssteigernde Wirkung und die erweiterten Reaktionsmöglichkeiten durch die Zielgesellschaft befürchtet wurden, ist es in jüngster Zeit auch hierzulande zu über längere Zeit bestehenden Marktgerüchten gekommen, die die Bietinteressenten bestätigten und das Tagesgeschäft der betroffenen Unternehmen behindert haben.Ausgelöst insbesondere durch die UK-Übernahmepraxis haben Bieter in den letzten Jahren darauf gedrungen, vor Abgabe des Übernahmeangebots mit dem Management der Gesellschaft Investorenvereinbarungen abzuschließen, in deren Rahmen sich das Management z. B. verpflichtete, keine Angebote anderer Bieter zu initiieren oder zu unterstützen (sogenannte no shop bzw. non solicitation clause), anderen Bietern nur eingeschränkte Due Diligence zu ermöglichen (restrictive due diligence undertaking), dem Bieter ein Recht zur abschließenden Angebotsanpassung bei einem konkurrierenden Angebot (matching right) einzuräumen oder bei Scheitern des Übernahmeangebots eine Geldleistung zu zahlen (break bzw. inducement fee).Solche Deal Protection Measures werden im Grundsatz zukünftig verboten sein, was wiederum vor allem Private-Equity-Bieter betreffen wird. Eine Ausnahme vom Verbot soll nur bei einem von Zielgesellschaften initiierten Auktionsverfahren gelten, was sehr selten vorkommen wird. Es ist zu erwarten, dass diese Änderung des Takeover Code Auswirkungen auch auf die deutsche Diskussion der Vereinbarkeit solcher vertraglicher Regelungen mit den Sorgfaltspflichten der Geschäftsleitung (§§ 93, 116 AktG) haben wird.Als direkte Konsequenz der Cadbury-Übernahme gelten die neuen Regeln zur Veröffentlichung aller im Zusammenhang mit dem Übernahmeangebot stehenden Honorare und Gebühren sowie der Grundlage etwaiger erfolgsabhängiger Zahlungen. Zudem gilt die Regelung, dass in der Angebotsunterlage erklärte Absichten des Bieters für mindestens sechs Monate zutreffend bleiben müssten. Diese unter dem Titel “Truth in Takeovers” stehenden Änderungen könnten Auswirkungen auf die BaFin-Verwaltungspraxis der Billigung von Angebotsunterlagen haben, aber auch Indizwirkung für das Verständnis sonstiger kapitalmarktrelevanter Erklärungen über die Absichten eines Marktteilnehmers entfalten.Schließlich nähert das Takeover Panel die Pflichtenstellung des Managements der Zielgesellschaft dem traditionell deutschen Verständnis an, indem es betont, dass die Board-Mitglieder bei der Beurteilung eines Übernahmenangebots und den in Bezug hierauf betroffenen Maßnahmen nicht nur die Interessen der Aktionäre, sondern auch die anderer Stakeholder, insbesondere der betroffenen Arbeitnehmer, berücksichtigen müssen. Diskussion eröffnetDarüber hinaus werden die Kodex-Änderungen klarstellen, dass die Arbeitnehmervertreter der Zielgesellschaft während des Übernahmeverfahrens laufend informiert zu halten sind und die Zielgesellschaft die angemessenen Kosten für Berater der Arbeitnehmervertreter zur Vorbereitung von deren Stellungnahme zur Angebotsunterlage zu zahlen hat.Die Kodex-Änderungen werden bislang noch im Wortlaut erarbeitet und voraussichtlich erst im März 2011 in Kraft treten. Marktteilnehmer sind sich jedoch darüber einig, dass die vorgeschlagenen Änderungen faktisch vorwirken und das Takeover Panel sie bereits jetzt in seiner Überwachungspraxis berücksichtigen wird. Die Änderung der Marktpraxis und ihrer Regeln wird voraussichtlich auch Wirkungen auf den deutschen Übernahmemarkt und die für zulässig erachteten Marktpraktiken haben. Die Diskussion über eine Reform des europäischen und damit auch des deutschen Übernahmerechts ist eröffnet.—-*) Prof. Dr. Christoph H. Seibt ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht und Partner im Hamburger Büro von Freshfields Bruckhaus Deringer sowie Honorarprofessor an der Bucerius Law School, Hamburg.