RECHT UND KAPITALMARKT

Technologiesektor braucht neue Regulierung

In der Digitalisierung hinkt Deutschland hinterher - Staat sollte auf eigene Kosten Infrastruktur aufbauen

Technologiesektor braucht neue Regulierung

Von Tobias Faber *)Am 29. Oktober 2019 feierte das Internet Geburtstag. Fünfzig Jahre zuvor fand in Kalifornien der erste Datenaustausch zwischen zwei Computern statt. Auch heute noch sind die USA absoluter Technologieführer. Neben den Vereinigten Staaten und manchen technologischen Spitzenreitern in Asien digitalisieren sich zahlreiche Länder immer schneller und setzen entsprechende Pläne konsequent um, während Deutschland immer noch auf der Suche nach der passenden Strategie ist. 5G, Edge- und Cloud-Computing, Aufbau von leistungsfähigen Datencentern oder Künstliche Intelligenz – die Ansprüche der deutschen Politik sind groß, allerdings gibt es wenig Vorzeigbares. Schnelllebiger SektorCloud-Computing ist hierfür ein gutes Beispiel: Keiner der europäischen Anbieter spielt eine ernstzunehmende Rolle, sämtliche großen, wichtigen Anbieter gehören zu amerikanischen Konglomeraten (und so ist vielfach auch der Zugriff auf Daten in amerikanischer Hand). Immerhin: Auf dem letztjährigen Digitalgipfel hat das Bundeswirtschaftsministerium das ambitionierte Cloud-Infrastrukturprojekt Gaia-X vorgestellt.Obwohl Deutschland den Anschluss an die Spitzentechnologie-Nationen ein Stück weit verloren hat, besteht (noch) kein Grund zur Verzweiflung. Der Technologiesektor ist so schnelllebig wie kein Zweiter. Dies gibt Deutschland die Chance, auf neue Technologie zu setzen, ohne alte Technologien vollständig zu implementieren (sogenanntes “Leap Frogging”). So kann man sich fragen: Ist es noch zeitgemäß auf eine flächendeckende LTE-Netzabdeckung zu setzen (derzeit wohl rund 66 %, womit Deutschland im international Vergleich Rang 70 belegt), wenn LTE bereits durch 5G überholt ist? Ein Dreh- und Angelpunkt ist der rechtliche Rahmen für technologische Infrastruktur, um Deutschland zukunfts- und wettbewerbsfähig zu machen.Der Mut zur Lücke könnte helfen, die richtigen Schwerpunkte zu setzen. Wurde eine Technologie ausgewählt, die etabliert werden soll, sollte der Staat aber nicht nur “Investitionsanreize” für die Wirtschaft schaffen. Vielmehr sollte er aktiv am Aufbau und der Finanzierung der IT-Infrastruktur, beispielsweise durch einen staatlichen Roll-out, mitwirken. Der zögerliche Breitbandausbau oder der Aufbau des LTE-Funknetzes haben gezeigt, dass andernfalls dünn besiedelte und ländliche Regionen abgehängt werden – als Flächenland mit viel dezentraler Industrie ist die Abdeckung in der Fläche gleichwohl entscheidend. Nur so kann sichergestellt werden, dass auch in Zukunft viele mittelständische Unternehmen als Rückgrat der deutschen Wirtschaft ihre internationale Stellung halten. Nicht nur für Unternehmen, sondern auch für den Bürger stellt die IT-Infrastruktur bereits heute einen wesentlichen Bereich der Daseinsvorsorge dar. Henne-Ei-ProblemFür viele neue Schlüsseltechnologien – wie beispielsweise dem 5G-Netz – fehlen derzeit noch konkrete Anwendungsfälle (“Use Cases”) und kalkulierbare Cash-flows, um allein privates Kapital für den eigenfinanzierten Ausbau der Infrastruktur zu mobilisieren.Dieses Henne-Ei-Problem könnte dadurch überwunden werden, dass der Staat in Vorleistung geht und die Infrastruktur auf eigene Kosten aufbaut. Neben der Schaffung eines (kreditfinanzierten) staatlichen Digitalisierungsfonds sind auch Kooperationen mit privaten Unternehmen, sogenannte Öffentlich-Privat-Partnerschaften (ÖPP), denkbar. Ohne ÖPPs wäre es mutmaßlich nicht gelungen, aus den öffentlichen Haushalten genügend Kapital zu mobilisieren, um die hohen Investitionssummen für den Ausbau der Straßeninfrastruktur zu schultern. Eine grundlegende Verbesserung der digitalen Infrastruktur in Deutschland wird allerdings erst dann eintreten, wenn sie dieselbe Aufmerksamkeit und Ressourcen erhält, wie dies beispielsweise bei der Straßen- oder Schieneninfrastruktur oder beim Stromnetz der Fall ist. Steht die Infrastruktur zur Verfügung, folgen auch die Use Cases.Regulatorischen Verbesserungsbedarf gibt es auch im Bereich der Stromversorgung. Eine der größten Herausforderungen für die Technologiebranche ist ihr enormer Energiebedarf. Immer komplexere IT-Anwendungen, wie beispielsweise künstliche Intelligenz oder die Speicherung immenser Datenmengen in der Cloud, haben zu einem rasant steigenden Energiekonsum geführt. Insbesondere Rechenzentren und Supercomputer sind für diese Zunahme verantwortlich. So betrug allein der Stromverbrauch von Rechenzentren in Deutschland im Jahr 2019 rund 12 Mrd. Kilowattstunden. Dies entspricht in etwa dem Stromverbrauch der Stadt Berlin pro Jahr. So tragen die Stromkosten für Server, Storage, Netzwerk, Kühlung nicht selten zu mehr als 50 % zu den gesamten Betriebskosten eines Datencenters bei. Rechenzentren, Supercomputer & Co., 5G-Netz und Edge-Datencenter sind aber die kritischen Infrastrukturen, die benötigt werden, um die Geschäftsmodelle der Zukunft am Standort Deutschland entwickeln zu können. Ohne sie sind weder selbstfahrende Autos, KI-Anwendungen oder Geschäftsmodelle, die auf dem Internet of Things basieren, möglich.Viele Industriestaaten haben dies erkannt und werben aktiv mit Anreizen um die Ansiedlung solcher kritischer Infrastruktur. In Deutschland gibt es hier bisher kaum überzeugende Ansätze – und das, obwohl einer Umfrage von Borderstop zufolge 60 % der Rechenzentren-Betreiber angeben, ihre Datencenter erweitern zu wollen. Während der Anteil an vorhandenen Rechenzentren weltweit jährlich zweistellig wächst, sind die Wachstumsraten in Deutschland deutlich zurückgegangen Mit EEG-Umlage belastetSchon heute gehören die deutschen Strompreise zu den höchsten weltweit, und der Betrieb von Rechenzentren in Deutschland ist für viele Betreiber deutlich weniger wettbewerbsfähig, als in anderen Ländern. Datencenter sind in Deutschland nicht als stromintensive Unternehmen anerkannt. Unternehmen, die in diese Kategorie fallen, werden vom Gesetzgeber privilegiert und von der sogenannten EEG-Umlage befreit, die ein Aufschlag auf den Strompreis zur Finanzierung der erneuerbaren Energien ist. Stromintensive Unternehmen im Sinne des EEG zahlen damit faktisch weniger für den verbrauchten Strom.Hier bedarf es eines aktiven Ansatzes gegebenenfalls mit weiteren Incentivierungen, um Deutschland als IT-Infrastruktur-Standort nachhaltig zu stärken und um die Ansiedlung von Rechenzentren sicherzustellen, so dass auch in Zukunft (sensible) Daten in Deutschland gespeichert werden können. Grundlast ausgeschöpftDeutschland ist weltweit zwar führend beim Ausbau erneuerbarer Energien, gleichzeitig sind aber in vielen Ballungsräumen die lokalen Stromerzeugungskapazitäten der Grundlast ausgeschöpft. Das Stromnetz kommt häufig an seine Belastungsgrenzen. Das Rhein-Main-Gebiet mit dem größten Internetknotenpunkt der Welt (DE-CIX) ist hierfür ein gutes Beispiel.Dem dringenden Energiebedarf von Rechenzentren kann nur durch einen raschen Ausbau des Stromnetzes und mittels Energieerzeugungslagen der Grundlast (bspw. Gaskraftwerke) vor Ort entgegengewirkt werden. Gegen beides regt sich jedoch – fast immer – der Widerstand lokaler Interessensgruppen. Ein zentraler Aspekt in der Neuregulierung des IT-Infrastrukturrechts sollte also in der Beschleunigung der Genehmigungsverfahren liegen. Die bisherigen Erfahrungen mit diesem Thema haben jedoch gezeigt, dass allein dies eine Herkulesaufgabe für den deutschen Gesetzgeber ist.Der Gesetzgeber und die Politik müssen noch stärker und besser erklären, warum wir jetzt in unsere digitale Infrastruktur investieren müssen, um die Zukunftsfähigkeit Deutschland zu erhalten. Immer noch ist die Versorgungszuverlässigkeit des deutschen Stromnetzes europaweit Spitze und die Energieeffizienz der deutschen Rechenzentren nimmt im internationalen Vergleich einen Rang ganz vorn ein. Hierauf lässt sich aufbauen. *) Dr. Tobias Faber ist Partner von Hogan Lovells International in Frankfurt und Experte für Infrastruktur, Energie, Ressourcen und Projekte.