Recht und Kapitalmarkt

Trauben für Aktionärsklagen in den USA höher gehängt

Geschädigte Investoren müssen direkten Zusammenhang zwischen falscher oder unterlassener Information und Schaden nachweisen

Trauben für Aktionärsklagen in den USA höher gehängt

Von Siegfried H. Elsing *)Durch eine wegweisende Entscheidung hat der oberste Gerichtshof der USA (Supreme Court) die Anforderungen an Klagen von Aktionären auf Schadenersatz wegen falscher oder unterlassener Unternehmensmitteilungen erhöht (Dura Pharmaceuticals vs. Broudo, 544 U.S., 2005). Es reicht demnach nicht aus, wenn ein Aktionär seinen behaupteten Schaden unter Hinweis auf einen Kurseinbruch darlegt. Er muss vielmehr einen direkten Zusammenhang zwischen einer falschen oder unterlassenen Mitteilung und seinem Schaden nachweisen.Der Supreme Court der USA sah sich zu dieser Klarstellung veranlasst, nachdem einzelne Bundesgerichte unterschiedliche Anforderungen an die Darlegung eines Zusammenhangs zwischen der falschen oder unterlassenen Information und dem behaupteten Schaden gestellt hatten. Frage der KausalitätIn dem nun entschiedenen Fall klagten mehrere Aktionäre eines Pharmaunternehmens auf Schadenersatz. Sie stützten ihren Anspruch auf das angebliche Verheimlichen von Informationen durch das beklagte Unternehmen im Hinblick auf die Nichtzulassung eines Inhalators durch die US-Arzneimittelbehörde (FDA). Bei Kauf der Aktien seien sie davon ausgegangen, dass der Inhalator zulassungsfähig und dieser Umstand im Aktienpreis berücksichtigt sei. Der Aktienkurs des Unternehmens brach allerdings nicht erst bei Offenlegung der Information ein, dass der Inhalator keine Zulassung erhalte. Er war schon acht Monate zuvor wegen einer Gewinnwarnung abgestürzt. Das erstinstanzliche Gericht wies die Klage mit der Begründung ab, dass ein Zusammenhang zwischen der nicht rechtzeitig erfolgten Mitteilung und dem behaupteten Schaden nicht hinreichend dargelegt worden sei. Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und hielt es für ausreichend, dass die Kläger einen “künstlich aufgeblähten” Aktienpreis gezahlt hätten, was sich schon aus der Tatsache ergebe, dass der Kurs eingebrochen sei.Der Supreme Court trat dieser Argumentation entgegen. Der Umstand der Zahlung eines überhöhten Kaufpreises für Aktien begründe für sich allein noch nicht den Nachweis für einen Schadenseintritt, lautet es in der Begründung. Sinke der Wert von Aktien, könne dies auch auf anderen Gründen, wie zum Beispiel der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung, beruhen. Zu fordern sei vielmehr, dass der als Schaden geltend gemachte Kursverlust eine direkte Folge des Fehlverhaltens der beklagten Unternehmen sei. Hierzu hätten die Kläger nicht ausreichend vorgetragen. Diese Schlussfolgerung ist umso bemerkenswerter, als Klageschriften in den USA nur dem Zweck dienen, den Beklagten über das Vorliegen eines Rechtsstreits und die ihm zugrundeliegenden Sach- und Rechtsbehauptungen zu informieren. Folglich ist eine detaillierte Darstellung des Sachverhalts mit Beweisangeboten in der Klageschrift (anders als in Deutschland) nicht erforderlich. Doch noch nicht einmal diese geringe Anforderung sah der Supreme Court mit dem Hinweis auf den Kurseinbruch durch die Kläger als erfüllt an und hob das Urteil des Berufungsgerichts auf.Die Entscheidung wird nicht ohne Auswirkungen auf die Praxis auch der unterinstanzlichen Gerichte bleiben. Soweit also Gerichte nicht ohnehin schon in der Vergangenheit der Ansicht des Supreme Court gefolgt sind, haben sie nun zukünftig die höchstrichterliche Rechtsauffassung zu berücksichtigen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Entscheidung des US Supreme Court mindert nicht die Bedeutung, die Mitteilungen (oder ihre Unterlassung) durch notierte Unternehmen in den USA haben. Zur Vermeidung einer Haftung ist es auch weiterhin dringend erforderlich, dass börsennotierte Unternehmen relevante Information zutreffend und rechtzeitig offen legen. Welche weitreichenden Konsequenzen ein Verstoß gegen die Offenlegungspflichten haben kann, musste zum Beispiel der deutsche Unternehmer Michael Otto feststellen. Ihm wurde im Zusammenhang mit der Insolvenz des US-Versandunternehmens Spiegel Inc. vorgeworfen, das Zurückhalten von Berichten über die schlechte finanzielle Situation des Unternehmens und damit die Benachteiligung von Gläubigern veranlasst zu haben, was sogar zu Ermittlungen der US-Börsenaufsicht SEC gegen ihn führte.Derartige Fälle sind auch nach der Dura-Entscheidung des Supreme Court nicht ausgeschlossen. Das Urteil trägt aber zu einer Eindämmung der Klageflut in den USA bei, insbesondere im Bereich von Aktionärsklagen. Der durch das Berufungsgericht angelegte Maßstab, der im völligen Gegensatz zur Rechtsprechung der meisten anderen Bundesberufungsgerichte stand, hätte es potenziellen Klägern um Schadenersatz noch einfacher gemacht, Klageverfahren einzuleiten. Ausreichend wäre dann nämlich nur der Hinweis auf einen Kurseinbruch verbunden mit der Behauptung gewesen, dieser Einbruch belege, dass der Aktienpreis beim Kauf zu hoch gewesen sei. Im Zusammenspiel mit weiteren Bestandteilen des US-Zivilprozesses, wie z. B. der Möglichkeit von Erfolgshonoraren für Rechtsanwälte oder der grundsätzlich fehlenden Kostenerstattungspflicht im Falle eines Unterliegens, wäre eine Prozessflut zu erwarten gewesen, hätte sich diese Auffassung durchgesetzt. Dieser einfache Weg ist potenziellen Klägern jedoch nicht eröffnet worden.Die neue Rechtslage betrifft selbstverständlich auch deutsche Investoren mit Beteiligungen an in den USA gelisteten Unternehmen. Häufig mussten sie nur abwarten, bis sich Aktionäre in den USA geschädigt fühlten und eine Sammelklage anstrengten, an der sich dann auch die deutschen Aktionäre beteiligen konnten. Auch wenn die Beteiligung an Sammelklagen weiterhin möglich ist, haben sich die Erfolgschancen für entsprechende Klagen durch die erhöhte Darlegungs- und Beweislast grundsätzlich verschlechtert. In den meisten Fällen wird Klägern der Nachweis schwer fallen, dass ihr Schaden gerade durch eine falsche oder unterlassene Mitteilung und nicht auch oder nur auf andere Einflüsse zurückzuführen ist. Zu viele andere Faktoren können den Aktienkurs ebenfalls beeinflussen. Vergleichsbereitschaft sinktDementsprechend ist zu erwarten, dass auch die Vergleichsbereitschaft betroffener Unternehmen sinkt. Die überwiegende Anzahl der Klageverfahren in den USA wird außergerichtlich beigelegt, und nur ein Bruchteil wird vor einer Jury verhandelt. Dies belegt den großen Vergleichsdruck, unter welchem Beklagte in einem US-Zivilverfahren stehen. Sie müssen regelmäßig abwägen, ob sie das kostenintensive Verfahren aufnehmen oder einen Teil der zu erwartenden Kosten als Vergleichssumme anbieten. Für Schadenersatzklagen durch Aktionäre ist der Vergleichsdruck aber nach der Dura-Entscheidung des Supreme Court erheblich gemindert. Dem deutschen Investor dürfte es deshalb zukünftig schwer fallen, in den USA einen Anwalt zu finden, der bereit ist, ihn auf Erfolgshonorarbasis zu vertreten. Er muss sich darüber hinaus fragen, ob er vor dem Hintergrund der geänderten Rechtslage die mit einem Klageverfahren in den USA verbundenen Kosten und Mühen weiterhin auf sich nimmt, auch im Hinblick auf den möglichen Einsatz von Sachverständigen. Der Nachweis, dass der behauptete Schaden unmittelbar durch die falsche oder unterlassene Information entstanden ist, lässt sich nur durch Sachverständigengutachten führen. Die damit verbundenen Kosten können beträchtlich sein. Als Erfolg gefeiertDas Urteil des Supreme Court wird in den USA als bedeutender Erfolg für börsennotierte Unternehmen bewertet. Bei Betrachtung der Hürden, die ein Aktionär künftig zu nehmen hat, um eine Schadenersatzklage erfolgreich zu führen, erscheint diese Einschätzung als gerechtfertigt. Die Praxis wird zeigen, ob die Entscheidung auch wirklich abschreckende Wirkung für Klagen hat oder ob betroffene Aktionäre bereit sind, die Herausforderung der gesteigerten Anforderungen anzunehmen, und trotzdem klagen.*) Dr. Siegfried H. Elsing, LL.M. ist Rechtsanwalt und Attorney-at-Law (New York). Er ist Partner im Düsseldorfer Büro der Kanzlei Hölters & Elsing.