RECHT UND KAPITALMARKT

Trendthema Sanierungsgesellschaftsrecht

Praxiserfolge treiben die Entwicklung voran - Benchmark-Transaktion Praktiker - Spezifischere Lösungen in der Restrukturierung

Trendthema Sanierungsgesellschaftsrecht

Von Christoph H. Seibt und Franz Aleth *)Die Restrukturierungspraxis hat in den vergangenen zwölf Monaten zahlreiche innovative Sanierungsstrukturen entwickelt, die zu einem wesentlichen Teil durch gesetzliche Neuregelungen – wie das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (Esug) – ermöglicht wurden und sowohl bei außergerichtlichen Restrukturierungen als auch bei Insolvenz(plan)verfahren zur Anwendung kamen. Die Weiterentwicklung dieses “Neuen Sanierungsgesellschaftsrechts” wird 2013 das Trendthema der Unternehmensfinanzierung sein.Im Feld der außergerichtlichen Restrukturierungen stach die umfassende Refinanzierung der Praktiker AG, die mit miteinander verschränkten Investorenbeteiligungsverfahren für eine breite Finanzierungspalette verknüpft war, als Benchmark-Transaktion heraus. Zur Eigenkapitalzuführung wurde – im Ausgangspunkt nach dem Conergy-Modell – eine sogenannte Bis-zu-Kapitalerhöhung ohne festen Ausgabepreis und mit einem Zielemissionserlös gewählt. Allerdings wurde Vorstand und Aufsichtsrat durch die konkrete Beschlussformulierung bei der Durchführung der Aktienemission eine größere Flexibilität als bei früheren Sanierungskapitalerhöhungen eingeräumt, um noch unabsehbaren Änderungen am Gesamtfinanzierungsplan begegnen zu können.Die Aktienemission selbst wurde sehr frühzeitig und weitgehend durch eine Backstop-Vereinbarung mit einem Finanzinvestor gesichert, der neben dem Erhalt einer angemessenen Garantievergütung und einer Break-up-Gebühr zur Kompensation eines etwaig ausbleibenden Investitionserfolges auch zur Übernahme von Optionsanleihen unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre zugelassen wurde (Besonderheit: zweimalige Nutzung der Regelfallprivilegierung des § 186 Abs. 3 S. 4 AktG).Diese Ausgestaltung zeigt zwei wesentliche Tendenzen bei Sanierungskapitalerhöhungen auf, die der Bestandssicherung des Unternehmens dienen: (i) Der Handlungsspielraum der Unternehmensverwaltung bei Kapitalmaßnahmen wird im Verhältnis zur Hauptversammlung erhöht (Stichwort: Verschiebung der Grenze zum genehmigten Kapital); (ii) Der Wertschutz zugunsten der Aktionäre wird stärker betont als ein Quotenschutz. ErnüchterungErnüchterung gab es allerdings bei der Restrukturierung von Anleihen unter Nutzung des Schuldverschreibungsgesetzes (SchVG): Die von Pfleiderer und Q-Cells erstrebten Maßnahmen für eine außergerichtliche Restrukturierung (d. h. außerhalb eines Insolvenzverfahrens) scheiterten jeweils an der engen Gesetzesauslegung des SchVG durch das OLG Frankfurt.Damit das vom Reformgesetzgeber erstrebte Ziel, Anleihenrestrukturierungen durch Mehrheitsbeschlüsse zu ermöglichen, tatsächlich noch erreicht wird, erarbeitet derzeit eine Gruppe von Wissenschaftlern und Praktikern detaillierte Änderungsvorschläge zum SchVG. Diese sollen insbesondere (i) ein Opt-in von Alt- und Auslandsanleihen ausdrücklich zulassen, (ii) klare Vorgaben für die Durchführung virtueller Gläubigerversammlungen schaffen, (iii) die erforderliche Mitwirkung der Anleihegläubiger bei einem Debt-to-Equity-Swap klarer regeln und (iv) das Rechtsschutzsystem umfassend reformieren, das zukünftig nicht mehr auf die Kassation, sondern die Wertkompensation rechtswidriger Beschlüsse gerichtet sein sollte.Entgegen einiger Expertenbedenken ist das sog. Schutzschirmverfahren (§ 207b InsO), das durch das Esug zum 1. März 2012 eingeführt worden ist und noch zahlungsfähigen Krisenunternehmen zur Vorbereitung einer Sanierung mit Eigenverwaltung dienen soll, inzwischen bei einigen bedeutenden Unternehmen bereits erfolgreich genutzt worden: So hat Centrotherm Photovoltaics im Schutzschirmverfahren einen Insolvenzplan erarbeitet, demzufolge die Gesellschaft unter Beibehaltung der Börsennotierung fortgeführt und ihre Kapitalstruktur nach Kapitalherabsetzung und Einbringung der Forderungen ungesicherter Gläubiger umgestaltet worden ist.Die Solarwatt nutzte das Schutzschirmverfahren dazu, umfangreich Arbeitsplätze abzubauen, sich zu entschulden und über einen Kapitalschnitt auf null und eine nachfolgende Kapitalerhöhung einen neuen Mehrheitsinvestor aufzunehmen. Der Motorradbekleidungshersteller Hein Gericke Deutschland GmbH wählte dieses an sich vorläufige Insolvenzverfahren, um insbesondere Tochtergesellschaften im Ausland zu sanieren und in diesem Zuge Geschäfte der insolventen Hein Gericke (UK) Ltd. zu erwerben. Das Automobilzuliefererunternehmen Neumayer Tekfor schließlich unterstellte sich dem Schutzschirmverfahren, um ein finanzielles und operationelles Sanierungskonzept zu erarbeiten und auf dieser Basis anschließend einen – derzeit noch laufenden – Verkaufsprozess durchzuführen.Diese Transaktionsbeispiele belegen, dass (i) das neue Schutzschirmverfahren für das Management noch zahlungsfähiger Krisenunternehmen attraktiv ist und (ii) Praxis und Insolvenzgerichte in diesem Rahmen eine breite Palette teilweise auch endgültig wirkender Sanierungsmaßnahmen entwickelt und genehmigt haben. InnovationEine weitere Innovation auf dem Gebiet des neuen Sanierungsgesellschaftsrechts hat die Pfleiderer AG im Rahmen ihres Insolvenzplanverfahrens in Eigenverwaltung aufgezeigt und erfolgreich ihrer Gläubigerversammlung zur Beschlussfassung vorgelegt: Auf der Basis der durch das Esug eingeführten Vorschrift des § 225 a Abs. 3 Insolvenzordnung (InsO) (“Im Plan kann jede Regelung getroffen werden, die gesellschaftsrechtlich zulässig ist”) hat die Gesellschaft im Wege der vereinfachten Kapitalherabsetzung (§§ 299 ff. AktG) einen Kapitalschnitt auf null und eine nachfolgende Kapitalerhöhung mit gemischter Bar- und Sachleistung unter vollständigem Bezugsrechtsausschluss der Altaktionäre durchgeführt. Als Sacheinlage wurde die Verpflichtung zur Abtretung einer von einem Finanzinvestor erworbenen Regressforderung gegen die Pfleiderer AG bestimmt, die aus einer Schuldübernahme herrührte.Der neue § 225a InsO ermöglicht es, die gesellschaftsrechtlichen Strukturen der Schuldnerin durch Aufnahme eines Debt-to-Equity-Swap und/oder anderer gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen in den gestaltenden Teil des Insolvenzplanes grundlegend zu ändern. Die Rechte der Aktionäre werden dann ausschließlich – unter Verdrängung der aktienrechtlichen Kompetenzordnung – durch die InsO geschützt, insbesondere durch die Einbeziehung der Aktionäre als Gruppe in den Insolvenzplan und den InsO-Minderheitenschutz. Da in der Regelinsolvenz den Pfleiderer-Aktionären – als den im letzten Rang stehenden Berechtigten (§ 199 InsO) – kein Schuldnervermögen zugeflossen wäre, wurden die Aktionäre durch den Insolvenzplan (und den dort geregelten Kapitalschnitt) nicht schlechter gestellt, als sie es ohne Insolvenzplan gewesen wären.Gerade die Fälle von Praktiker und Pfleiderer verdeutlichen das Nebeneinander des in der Praxis entwickelten Sanierungsaktienrechts einerseits und des gesetzlich neu eingeführten Insolvenzplansanierungsrechts andererseits. Die Praxis kann jetzt deutlich spezifischere und rechtssichere Lösungen zur Unternehmenssanierung innerhalb und außerhalb des Insolvenzverfahrens anbieten, was das Ausweichen auf Rechtsinstitute in anderen Jurisdiktionen (z.B. ein englisches “Scheme of Arrangement”) zurückdrängen dürfte. VorbildEs bleibt allerdings weiterhin Aufgabe der Wissenschaft und Praxis, einheitliche Grundlinien und eine systemgerechte Wechselbezüglichkeit von Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht in einem “Neuen Sanierungsgesellschaftsrecht” herzustellen. So könnte z. B. der Ausschluss der Differenzhaftung für eine überbewertete Sacheinlage bei einem Debt-to-Equity-Swap im Rahmen eines Insolvenzplans (§ 254 Abs. 4 InsO) gesetzgeberisches Vorbild auch für ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren sein. Und in jedem Fall hat der Gesetzgeber das Schuldverschreibungsgesetz nachzubessern, um mit einem wettbewerbsfähigen deutschen Recht Anleihenrestrukturierungen mittels Mehrheitsbeschluss auch faktisch zu ermöglichen.—-*) Prof. Dr. Christoph H. Seibt ist Partner im Hamburger Büro, Dr. Franz Aleth ist Partner im Kölner Büro der Anwaltssozietät Freshfields Bruckhaus Deringer.