RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: BODO BENDER

Trendwende in grenzüberschreitender Verlustverrechnung

Neues Urteil könnte Marks & Spencer-Entscheidung weitgehend obsolet machen

Trendwende in grenzüberschreitender Verlustverrechnung

– Herr Dr. Bender, der Europäische Gerichtshof wird demnächst den Fall eines finnischen Unternehmens entscheiden, ob Verluste von Auslandstöchtern mit Gewinnen der Konzernmutter im Inland verrechnet werden können, was steckt dahinter?Eine finnische Kapitalgesellschaft – im Verfahren “A Oy” genannt – plante eine Fusion mit ihrer schwedischen Tochtergesellschaft und hatte in diesem Zusammenhang eine verbindliche Auskunft beantragt, ob die bestehenden schwedischen Verluste der Tochtergesellschaft nach einer Fusion im Rahmen der finnischen Körperschaftsteuer abgezogen werden können. Die finnischen Steuerbehörden hatten diesen Antrag abgelehnt, weil das finnische Steuerrecht lediglich die Übernahme von inländischen, nicht jedoch von ausländischen Verlusten vorsieht. Der Oberste Verwaltungsgerichtshof in Finnland hatte Zweifel, ob diese einschränkende Auslegung mit dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere der Niederlassungsfreiheit, vereinbar ist und die Frage daher dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.- Im vergleichbaren Fall von Marks & Spencer hatte der EuGH geurteilt, dass nur “endgültige Verluste” auf die Steuer der Mutter angerechnet werden können, was ist hierunter zu verstehen?Der EuGH geht von “endgültigen Verlusten” aus, wenn die ausländische Tochter die in ihrem Sitzstaat vorgesehenen Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Verlusten bereits ausgeschöpft hat und auch keine Möglichkeit mehr besteht, dass ihre Verluste dort künftig berücksichtigt werden. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn die Tochtergesellschaft liquidiert oder eine ausländische Betriebsstätte aufgegeben oder veräußert wird. Jedoch sind auch Jahre nach der Marks & Spencer-Entscheidung viele Fragen nicht in allen Einzelheiten geklärt. Dazu gehört etwa, in welchem Ausmaß dem Steuerpflichtigen “aktive Verlustverwertungsbemühungen” auferlegt werden können oder ob Verluste, die nach ausländischem Recht generell nur zeitlich befristet vorgetragen werden können, als “final” angesehen werden können. In den letztgenannten Fällen hatte der Bundesfinanzhof im Jahr 2010 Verluste nicht als “endgültig” erachtet.- Zeichnet sich im finnischen Fall nun eine Trendwende ab?Sollte der EuGH den Schlussanträgen der deutschen Generalanwältin Kokott folgen, wären die Grundsätze der Marks & Spencer-Entscheidung weitgehend obsolet. Man müsste sich sogar die Frage stellen, ob es hiernach überhaupt noch endgültige ausländische Verluste geben kann, die in einem anderen Mitgliedstaat berücksichtigt werden müssen. Der wesentliche Grund hierfür liegt darin, dass nach den Ausführungen der Generalanwältin die “Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse” zwischen den Mitgliedstaaten für sich betrachtet eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen soll. Im Fall Marks & Spencer hatte der EuGH eine Rechtfertigung hingegen in erster Linie unter den Gesichtspunkten “Verhinderung einer doppelten Verlustberücksichtigung” sowie “Verhinderung von Steuerflucht” geprüft. Im Ergebnis geht es nunmehr vorrangig um die Wahrung der Symmetrie zwischen Besteuerung von Gewinnen auf der einen Seite und Berücksichtigung von Verlusten auf der anderen Seite. Wenn ein Mitgliedstaat nicht das Recht hat, die Gewinne einer ausländischen Tochtergesellschaft oder Betriebsstätte zu besteuern, soll er auch nicht gemeinschaftsrechtlich verpflichtet sein, ausländische Verluste zulasten seines Steueraufkommens zu berücksichtigen. Andererseits ist nicht damit zu rechnen, dass der EuGH künftig jedwede Beschränkung der Grundfreiheiten unter Symmetriegesichtspunkten als gerechtfertigt ansehen wird, würde dies doch die bisherige Rechtsprechung in einigen Bereichen auf den Kopf stellen und die Grundfreiheiten weitgehend aushöhlen.- Was würde dies für die Konzerne bedeuten?Konzerne müssten sich darauf einstellen, dass eine grenzüberschreitende Nutzung ausländischer Verluste in Zukunft gar nicht mehr oder nur noch in Ausnahmefällen auf Gemeinschaftsrecht gestützt werden kann. Es würde für sie in steuerlicher Sicht noch wichtiger werden, die jeweiligen im Zielstaat geltenden Verlustverrechnungsvorschriften zu analysieren und Konzernstrukturen nach Möglichkeit dahingehend auszugestalten, dass keine Verlustinseln entstehen.—-Dr. Bodo Bender ist Partner bei Shearman & Sterling. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.