Trickserei oder Lücke im Übernahmerecht?
Von Richard Mayer-Uellner *)Der österreichische Chip- und Sensorhersteller AMS macht den Aktionären des börsennotierten Münchener Lichtkonzerns Osram ein neues Übernahmeangebot. Das erste Übernahmeangebot war daran gescheitert, dass nur knapp 52 % der Aktien des MDax-Unternehmens angedient wurden. AMS hatte das Angebot unter eine Mindestannahmeschwelle gestellt: Danach hätte es für mindestens 62,5 % der Aktien angenommen werden müssen, damit die Übernahme zustande kommt.Das Scheitern des ersten Angebots hätte nach dem Übernahmegesetz eigentlich eine Sperrfrist zur Folge gehabt: Danach ist ein erneutes Übernahmeangebot desselben Bieters vor Ablauf eines Jahres unzulässig, wenn das erste Angebot entweder von der Aufsichtsbehörde BaFin untersagt wurde oder einer Mindestannahmeschwelle unterlag, die nicht erreicht wurde. In diesen Fällen ist ein weiteres Angebot innerhalb der Sperrfrist nur zulässig, wenn die BaFin den Bieter auf Antrag befreit und die Zielgesellschaft der Befreiung zustimmt.Um die Sperrfrist zu umgehen, hat AMS eine GmbH erworben, die das zweite Angebot als Bietervehikel abgibt. Das erste Angebot hatte eine andere Tochter-GmbH unterbreitet. Bei beiden Gesellschaften handelt es sich um hundertprozentige Tochterunternehmen der Konzernmutter. Die neue Angebotsunterlage wurde bereits gestattet. Dies erfolgte erstmals, indem die BaFin ihre Prüfungsfrist verstreichen ließ, anstatt durch ausdrückliche Gestattung. Dieses Vorgehen ändert aber nichts an der Gestattungswirkung. Die BaFin hat damit anerkannt, dass das zweite Angebot durch einen neuen Bieter im Sinne des Übernahmegesetzes abgegeben wurde. Damit war ein Verstoß gegen die Sperrfrist ausgeschlossen.Die Entscheidung der BaFin wurde vielfach kritisiert, unter anderem von der Gewerkschaft IG Metall, die AMS Trickserei vorwarf. Der Konzernbetriebsrat von Osram hat sogar vorläufigen Rechtsschutz gegen die BaFin-Entscheidung beantragt. Das zuständige Oberlandesgericht hat diesen Antrag jedoch mit der Begründung zurückgewiesen, der Betriebsrat sei nicht in seinen Rechten verletzt. Das Bundesfinanzministerium hat sich ebenfalls geäußert und dabei die Auffassung vertreten, der Wortlaut der Vorschrift sei eindeutig: Bieter in diesem Sinne sei nur das Bietervehikel, nicht aber dahinterstehende Personen oder Unternehmen. Kein RichtungswechselDie Entscheidung der BaFin war kein Richtungswechsel, sondern entsprach ihrer bisherigen Verwaltungspraxis. Zumindest in einem Fall im Jahr 2018 hatte die BaFin nach der Untersagung eines öffentlichen Erwerbsangebots an die Aktionäre des Spezialpharmaunternehmens Biofrontera dem Übernehmer gestattet, unmittelbar ein erneutes Angebot durch ein anderes Tochterunternehmen abzugeben.Wäre die Entscheidung der BaFin in rechtlicher Hinsicht richtig, würde sie eine breite Regelungslücke offenbaren. Allerdings ist ihre Auslegung der Vorschrift keineswegs so eindeutig, wie es nun scheint. Die juristische Literatur hat sich schon lange sehr kontrovers mit der Frage auseinandergesetzt, wie der Bieter-Begriff in diesem Zusammenhang zu verstehen ist. Mit ihrer Verwaltungspraxis hat sich die BaFin einer sehr engen, streng am Wortlaut orientierten Interpretation angeschlossen.Zwar erscheint der Wortlaut der Regelung auf den ersten Blick eindeutig: So gilt die Sperrfrist nur für “ein erneutes Angebot des Bieters”. Viele andere übernahmerechtliche Vorschriften beziehen daneben ausdrücklich auch “mit dem Bieter gemeinsam handelnde Personen” ein. Dies wäre im Fall der Osram-Übernahme eindeutig auch ein neues Bietervehikel von AMS (ebenso wie die Konzernmutter selbst). Aus dem Fehlen dieser Ergänzung ließe sich folgern, dass der Gesetzgeber bewusst darauf verzichtet hat, auch andere Konzernunternehmen des Bieters in den Anwendungsbereich der Sperrfrist aufzunehmen. Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass der enge Wortlaut der Vorschrift ein Versehen des Gesetzgebers war. Sonst könnte er möglicherweise durch eine erweiternde Auslegung, die auch gemeinsam handelnde Personen umfasst, korrigiert werden. Eine Gesetzesänderung wäre nicht erforderlich.Trotz des engen Wortlauts könnte die Regelung aber auch so interpretiert werden, dass ein neues Angebot desselben Bieters ebenso vorliegt, wenn die hinter dem ersten Angebot stehende Person oder Gesellschaft auch das zweite Angebot veranlasst hat. Ein typischer Fall wäre, dass sich ein Konzern zur Abgabe des Übernahmeangebots eines Bietervehikels bedient. Alle Angebote durch dessen Konzernunternehmen wären als “neues Angebot” anzusehen. Da hinter beiden Osram-Angeboten AMS stand, wäre das zweite Angebot danach unzulässig. MissbrauchskontrolleAngebote von eng mit dem Bieter des ersten Angebots verbundenen Personen oder Unternehmen könnten auch im Wege der allgemeinen Missbrauchskontrolle in die Sperrfrist-Regelung einbezogen werden. So könnte es missbräuchlich sein, wenn der Übernehmer nur deshalb ein neues Bietervehikel gründet oder kauft, weil er damit eine gescheiterte Übernahme innerhalb der Sperrfrist wiederholen will.Ein solches Angebot zu untersagen könnte sogar rechtsstaatlich geboten sein, wenn der Regelungszweck der Vorschrift andernfalls umgangen werden könnte. Die Sperrfrist soll das Interesse der Zielgesellschaft an einer ungestörten Fortführung ihrer Geschäftstätigkeit schützen. Andernfalls müssten die Gesellschaft, ihre Mitarbeiter und Aktionäre befürchten, dass die personellen und finanziellen Ressourcen des Unternehmens über einen langen Zeitraum zu einem großen Teil für aufeinander folgende Übernahmeversuche aufgewendet werden müssen. Dies könnte die Weiterentwicklung des operativen Geschäfts massiv beeinträchtigen.Diesen Gesetzeszweck durch ein neugegründetes oder erworbenes Bietervehikel zu umgehen, erscheint jedenfalls dann missbräuchlich, wenn das erste Angebot wegen erheblicher Rechtsverstöße des Bieters untersagt wurde. In diesem Fall überwiegen die Interessen der Zielgesellschaft diejenigen des nicht schutzwürdigen Bieters an einem erneuten Übernahmeversuch. Scheitert das erste Angebot dagegen wie im Fall von Osram und AMS, weil die Mindestannahmeschwelle nicht erreicht wurde, ist ein Missbrauch weniger naheliegend. Wenn man das enge und am Wortlaut orientierte Verständnis der BaFin in juristischer Hinsicht für richtig hält, wäre ein Tätigwerden des Gesetzgebers wünschenswert.Die Praxis der BaFin führt nämlich dazu, dass die Sperrfrist praktisch irrelevant wird. Ein neues Bietervehikel kann jederzeit mit minimalem Aufwand im Rahmen eines kurzen Notartermins gegründet oder auch von speziellen Anbietern gekauft werden. Die Sperrfrist könnte daher so leicht umgangen werden, dass das Regelungsziel des Gesetzgebers nicht mehr erreicht werden kann. Börsennotierte Gesellschaften müssten befürchten, zum Ziel fortgesetzter Übernahmeversuche durch dasselbe Unternehmen zu werden. Sobald ein Übernahmeangebot gescheitert ist, könnte ohne Verzögerung ein neues Angebot erfolgen – dies eventuell sogar in Fällen, in denen das erste Angebot untersagt wurde, weil der Bieter zu Lasten der Zielgesellschaft oder ihrer Aktionäre gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen hat. Die Chancen von Übernehmern, mit wiederholten Versuchen letztlich zu einer erfolgreichen Übernahme zu kommen, könnten steigen. Fall für die Gerichte?Diese Schwierigkeiten ließen sich vermeiden, wenn der Gesetzgeber die Regelung dahingehend ergänzt, dass neben einem erneuten Angebot des Bieters auch ein Angebot von mit dem Bieter gemeinsam handelnden Personen innerhalb der Sperrfrist unzulässig ist. Möglicherweise wird die BaFin-Praxis aber auch noch zu einem Fall für Gerichte. Die gegen den Betriebsrat von Osram ergangene Entscheidung schließt dies nicht aus. In diesem Fall wäre nicht ausgeschlossen, dass sich die Richter eine der weiten, am Regelungszweck orientierten Interpretationen zu eigen machen. *) Dr. Richard Mayer-Uellner ist Partner der Kanzlei CMS Deutschland in Köln.