Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Matthias Schüppen

"Übernahme-Kompromiss hat Charakter eines Trojanischen Pferdes"

Weniger Schutz für deutsche Unternehmen - Erleichterungen befürchtet

"Übernahme-Kompromiss hat Charakter eines Trojanischen Pferdes"

– Herr Dr. Schüppen, Herzstück des Kompromisses, der die Verabschiedung einer EU-Übernahmerichtlinie ermöglichte, waren Wahlmöglichkeiten im Hinblick auf die Streitpunkte Neutralitätspflicht und Break-through-Regel. Was findet sich davon im Referentenentwurf zur WpÜG-Reform?Mit dem am 19. Dezember 2005 vom Bundesfinanzministerium vorgelegten Entwurf eines ÜbernahmeRL-UmsetzungsG entscheidet sich der Gesetzgeber erwartungsgemäß gegen die allgemeine Geltung von strenger Neutralitätspflicht und Durchbrechungsregel. Doch werden im WpÜG neue, optional geltende Formulierungen eingefügt. Auf deren Grundlage können sich Unternehmen qua Satzungsänderung für die Geltung einer strengen Neutralitätspflicht und einer Durchbrechungsregel entscheiden. Flankiert werden diese Möglichkeiten von einer Übernahmebarrieren-Transparenz. – Das heißt?Künftig müssen im Lagebericht ausführliche Angaben zur Beteiligungsstruktur, zu Stimmrechts- und/oder Übertragungsbeschränkungen, zum rechtlichen Rahmen für die Vorstandsbesetzung und zu wesentlichen Change-of-Control-Vereinbarungen aufgenommen werden. – Welchen Anreiz gibt es für deutsche Unternehmen, von den Optionsmöglichkeiten Gebrauch zu machen?Hier muss ich die klassische Juristenantwort geben: Das kommt darauf an. Zunächst ist der Hintergrund zu sehen, dass nämlich die Richtlinie fast daran gescheitert wäre, dass es europaweit kein übernahmerechtliches Level Playing Field gibt. Daran hat sich durch die Richtlinie nichts geändert, und das kommt beispielsweise darin zum Ausdruck, dass Deutschland bereits 1998 in vorauseilender Harmonisierung Mehrstimmrechte- und Höchststimmrechte abgeschafft hatte. Richtig wäre es, diese Instrumente bis zu einer europaweiten Harmonisierung wieder einzuführen, da sich Unternehmen anderer Staaten durch diese Instrumente vor Übernahmen schützen. Wenn sich künftig ein deutsches Unternehmen trotz dieser ohnehin bestehenden Nachteile als eines mit besonders niedrigen Übernahmebarrieren öffentlich präsentieren will, so kann dies im günstigen Fall Ausdruck besonders ausgeprägter Shareholder-Orientierung, im ungünstigen Fall Ausdruck einer gezielten Anheizung von Übernahmespekulationen sein. Hierfür wäre ein Opting-in zugunsten strenger Neutralitätspflicht und der Durchbrechungsregel möglicherweise geeignet. – Sind die nötigen Satzungsänderungen ohne weiteres möglich?Die Einführung der strengen Neutralitätspflicht oder richtiger eines strengeren partiellen Abwehrverbotes – echte Neutralität fordert das Gesetz nicht – ist durch Satzungsregelung möglich. Als ohne Zustimmung der Hauptversammlung mögliche Abwehrmaßnahmen bleiben nur die Suche nach dem “Weißen Ritter” und der Vollzug eingeleiteter Maßnahmen im ordentlichen Geschäftsbetrieb. Schwieriger ist es mit der Satzungsänderung zur Einführung der Durchbrechungsregel. Durch diese werden Übertragungsbeschränkungen und Stimmrechtsbeschränkungen ausgehebelt und Sperrminoritäten für die erste HV nach der Übernahme entwertet. So wie die gesetzliche Regelung vorgesehen ist, wäre eine Satzungsänderung meines Erachtens daher nur mit Zustimmung der Betroffenen, faktisch also nur einstimmig möglich. Sollte im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens noch klargestellt werden, dass das durch Mehrheitsentscheidung gehen soll, liegt ein enteignungsgleicher Eingriff vor. – Werden Übernahmen deutscher Firmen durch die vorgesehene Gesetzesänderung erleichtert?Nein. Nur wenn vom Opting-in Gebrauch gemacht wird, würde eine Übernahme der entsprechend optierenden Unternehmen erleichtert. Im Übrigen ändert sich zunächst nichts. Mit den unternehmensindividuellen Optionsmöglichkeiten liegt das gesamte Arsenal bereit, und die Staaten haben sich verpflichtet, die Richtlinie nach fünf Jahren, also 2011, einer Revision zu unterziehen. Ich befürchte dann eine allgemeine Erleichterung von Übernahmen. Deshalb hat der Kompromiss den Charakter eines Trojanischen Pferdes. – Wir die Übernahmerichtlinie fristgerecht und inhaltlich zutreffend umgesetzt werden können? Der Gesetzentwurf orientiert sich eng an der Übernahmerichtlinie. In der Begründung ist von einer Umsetzung “1 : 1” die Rede. Leider gilt das in einem grundlegenden Punkt nicht: Die Richtlinie regelt nur Übernahme- und Pflichtangebote. Das WpÜG normiert auch öffentliche Wertpapiererwerbsangebote, auf die diese Qualifikation nicht zutrifft. Damit haben wir eine nationalstaatliche Überregulierung. Bedauerlich ist, dass die fristgerechte Umsetzung zum 20. Mai angesichts des erst jetzt begonnenen Gesetzgebungsverfahrens kaum möglich ist. Dr. Matthias Schüppen ist Partner der neuen Sozietät Graf Kanitz Schüppen & Partner. Die Fragen stellte Walther Becker.