Recht und Kapitalmarkt

Übernahme-Novelle bleibt beim Pflichtprogramm

Verteidigungsmöglichkeiten werden beibehalten - Offenlegung von Übernahmehindernissen künftig im Lagebericht

Übernahme-Novelle bleibt beim Pflichtprogramm

Von Stephan Oppenhoff und Nina Seider *) Deutschland wird das Übernahmerecht nicht über den von der Europäischen Union geforderten Rahmen hinaus liberalisieren und grundsätzlich keine weiteren Hindernisse zur Übernahme deutscher Unternehmen abbauen. Einen entsprechenden Entwurf des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes hat das Bundesfinanzministerium (BMF) vorgestellt. Damit bleiben den Unternehmen die derzeit zulässigen Verteidigungsmöglichkeiten grundsätzlich erhalten. Überraschend kamen diese Vorschläge aus Berlin nicht.Die Übernahmerichtlinie soll die nationalen Regelungen für Übernahmen in den EU-Mitgliedsstaaten vereinheitlichen und durch den Abbau von Übernahmehindernissen liberalisieren. Das zum 1. 1. 2002 in Kraft getretene deutsche Übernahmegesetz (WpÜG) berücksichtigte bereits den im Herbst 2001 nur sehr knapp im Europäischen Parlament gescheiterten Entwurf einer Übernahmerichtlinie, der gleichzeitig die Grundlage für die jetzt umzusetzende Übernahmerichtlinie bildet. Damit entspricht das deutsche Recht bereits in wesentlichen Teilen der Richtlinie. SpielraumZur Umsetzung der Richtlinie ist nur die Regelung einzelner, wenn auch wesentlicher Punkte erforderlich. Sie betreffen vor allem die Bereiche Verhinderungsverbot und die Durchbruchsregelung, übernahmerechtlicher Squeeze-out und Sell-out, Offenlegungspflichten, Ermittlungsbefugnisse der BaFin, Anwendungsbereich sowie eine Reihe von Einzelfragen. Wirklicher Gestaltungsraum bleibt der Bundesregierung beim möglichen Abbau von Übernahmehindernissen – sie kann über die Umsetzung des Verhinderungsverbots und der Durchbruchsregelung entscheiden. Das Verhinderungsverbot verbietet dem Unternehmensmanagement, Maßnahmen zu ergreifen, durch die ein Übernahmeangebot vereitelt werden könnte. Das WpÜG sieht zwar bereits ein Verhinderungsverbot vor. Dieses wird jedoch durch Ausnahmen so sehr eingeschränkt, dass eine erkleckliche Zahl von Verteidigungsmaßnahmen zulässig bleibt. Dazu zählen Vorratsbeschlüsse durch die Hauptversammlung, die in der Praxis ohne jede Bedeutung geblieben sind, sowie Maßnahmen, denen der Aufsichtsrat zugestimmt hat oder die auch die Verwaltung eines nicht von einem Übernahmeangebot betroffenen Unternehmens vorgenommen hätte. Diese Ausnahmen hätten bei Übernahme des Verhinderungsverbots der Richtlinie wesentlich eingeschränkt werden müssen. Die Durchbruchsregelung setzt an einer anderen Stelle an: Sie durchbricht für den Fall einer Übernahme bestehende Stimmrechts- oder Übertragungsbeschränkungen. Eine vergleichbare Regelung gibt es im deutschen Recht nicht. Zur Umsetzung des Verhinderungsverbots und der Durchbruchsregelung sieht die Übernahmerichtlinie ein doppeltes Optionsmodell vor, dessen Komplexität sich allein mit den schwierigen Verhandlungen erklären lässt, die zu einer Einigung notwendig waren. Auf einer ersten Stufe kann jeder Mitgliedstaat entscheiden, ob er das Verhinderungsverbot und die Durchbruchsregelung umsetzt. Entscheidet er sich dagegen, muss er den Unternehmen die Möglichkeit einräumen, die Regelungen durch Beschluss der Hauptversammlung für das betreffende Unternehmen für verbindlich zu erklären. Die Mitgliedstaaten können zulassen, dass die Geltung des Verhinderungsverbots und der Durchbruchsregelung im konkreten Übernahmefall wieder dahin eingeschränkt wird, dass sie nicht gilt, soweit der Bieter nicht vergleichbaren Einschränkungen unterliegt. Der Gesetzentwurf schöpft die Optionen voll aus: Verhinderungsverbot und Durchbruchsregelung werden nicht generell übernommen. Unternehmen erhalten die widerrufliche Wahlmöglichkeit, durch Beschluss der Hauptversammlung die Regelungen gleichwohl anzuwenden. Die Hauptversammlung kann dann aber beschließen, sie nicht anzuwenden, wenn der Bieter bei einer Übernahme nicht vergleichbaren Einschränkungen unterliegt. Squeeze-out und Sell-outDer Gesetzesentwurf sieht in Ergänzung des aktienrechtlichen Squeeze-out die Einführung eines übernahmerechtlichen Squeeze-out vor. Der Bieter ist zum Ausschluss der übrigen Inhaber von stimmberechtigten Aktien berechtigt, wenn ihm im Anschluss an Übernahme- oder Pflichtangebot mindestens 95 % der stimmberechtigten Aktien gehören und er über mindestens 95 % der Stimmrechte an der Zielgesellschaft verfügt. Soweit ihm zugleich Aktien in Höhe von 95 % des Grundkapitals gehören, sind ihm auch die stimmrechtslosen Vorzugsaktien zu übertragen. Unerheblich ist, auf welche Weise der Bieter diese Schwellenwerte erreicht. Daher zählen für die erforderlichen Mehrheiten auch Aktien, die außerhalb des formellen Angebotsverfahrens erworben wurden, z. B. durch den außerbörslichen Kauf von Aktienpaketen, wenn sie in engem zeitlichem Zusammenhang mit dem Angebot stehen. Die Art der Abfindung hat der Gegenleistung des Übernahme- oder Pflichtangebots zu entsprechen, wobei stets eine Abfindung in Geld anzubieten ist. Der übernahmerechtliche Squeeze-out bringt wesentliche verfahrenstechnische Erleichterungen für den Bieter: Es bedarf keiner Zustimmung durch die Hauptversammlung. Wenn der Bieter infolge des Angebots mindestens 90 % der vom Angebot betroffenen Aktien erworben hat, wird die im Rahmen des Angebots angebotene Gegenleistung unwiderlegbar als angemessen angesehen. In Anbetracht der derzeit zu beobachtenden Annahmequoten und der hohen Beteiligungsschwellen wird der übernahmerechtliche Squeeze-out in der Praxis jedoch oft nicht zur Verfügung stehen. Sofern der Bieter berechtigt ist, den übernahmerechtlichen Squeeze-out zu beantragen, also die Annahmeschwellen erreicht wurden, steht den übrigen Aktionären der Sell-out, d. h. ein Andienungsrecht, zu, das dem deutschen Recht bislang unbekannt war. Danach können die Aktionäre des Unternehmens, die das Angebot des Bieters bisher nicht angenommen haben, ihre Anteile innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der Angebotsfrist andienen.Sowohl im Lagebericht der Gesellschaft als auch im Konzernlagebericht sind zukünftig Übernahmehindernisse offen zu legen. Diese Verpflichtung gilt unabhängig davon, ob ein Übernahmeangebot vorliegt oder zu erwarten ist. Potenzielle Bieter sollen sich ein umfassendes Bild von der möglichen Zielgesellschaft machen können. Zudem ist eine Erweiterung der Ermittlungsbefugnisse der BaFin um ein Auskunftsrecht gegenüber jedermann und das Recht zur Betretung von Geschäftsräumen vorgesehen. Insoweit werden die Ermittlungsbefugnisse der BaFin im Übernahmerecht an die Befugnisse nach dem Wertpapierhandelsgesetz angeglichen. Damit wird Erfahrungen aus der Praxis Rechnung getragen, dass die bisherigen Befugnisse für eine effektive Durchsetzung der Verpflichtungen nicht ausreichend waren. Die Begründung zum Gesetzesentwurf bezieht sich, ohne es auszusprechen, wohl auf die Ermittlungen im Hinblick auf ein Acting in Concert bei der Deutsche Börse AG. Schließlich wird der Anwendungsbereich des WpÜG geändert. Es gilt zukünftig auch für Unternehmen mit Sitz im europäischen Ausland, deren Wertpapiere aber nicht dort, sondern in Deutschland zum Handel zugelassen sind. Umgekehrt gilt das Gesetz für Unternehmen mit Sitz in Deutschland, deren Wertpapiere ausschließlich im Ausland zum Handel zugelassen sind, nur noch hinsichtlich gesellschaftsrechtlicher Fragen. Level Playing FieldInsgesamt geht der Entwurf des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes kaum über das Pflichtprogramm der Richtlinie hinaus und greift damit nur wenige der in der Praxis aufgefallenen Problemfälle auf. Der wesentliche Grund ist, dass sich das Übernahmegesetz in den letzten Jahren bewährt hat. Der Entwurf erhält deutschen Unternehmen ihre bisherigen Verteidigungsmöglichkeiten. Wegen der möglicherweise in vielen Mitgliedstaaten geltenden Gegenseitigkeitsregeln kann dies in Einzelfällen aber zu einer Behinderung deutscher Unternehmen bei Akquisitionen im EU-Ausland führen.*) Stephan Oppenhoff ist Rechtsanwalt und Partner, Nina Seider Rechtsanwältin im Frankfurter Büro von Linklaters Oppenhoff & Rädler.