RECHT UND KAPITALMARKT

Übernahmen in der Champions League

Die Bedeutung fusionskontrollrechtlicher Hürden bei globalen Zusammenschlüssen - Prozesse immer intensiver und aufwendiger

Übernahmen in der Champions League

Von Bernd Meyring und Timo Engelhardt *)In den vergangenen Monaten hat die EU-Kommission gleich drei Großfusionen deutscher Konzerne ausgebremst. Andere schleppen sich durch intensive und hochkomplexe Verfahren, bis sie die Lust verlieren und von dem Projekt Abstand nehmen oder in letzter Minute Veräußerungen akzeptieren und so die wirtschaftliche Logik gefährden. Selbst Freigaben ohne einschneidende Auflagen ziehen sich häufig über mehr als ein Jahr hin, bevor eine Fusion erfolgen kann. Das schafft Verunsicherung und Risiken und verzögert Synergien. Für das Tagesgeschäft bleibt kaum noch Zeit und oft genug springen verunsicherte Leistungsträger und Kunden zwischenzeitlich ab. So wird die Fusionskontrolle zum Belastungstest für die Transaktion, schon lange vor der Integration.Natürlich haben Großkonzerne damit Erfahrung. Doch die vermeintliche Kenntnis der Prozesse kann trügerisch sein: Kann die Führungsebene über Beziehungen etwas bewegen? Lässt sich der Prozess beschleunigen? Brauchen wir nicht europäische Champions, um im Wettbewerb gegen chinesische Herausforderer bestehen können? Die gut geölte Maschine der EU-Kommission bearbeitet jedes Jahr mehrere hundert Fälle. Die Beamten prüfen, ob die Transaktion wirksamen Wettbewerb behindert oder nicht. Das ist das einzige Kriterium. Sowohl Freigaben als auch Untersagungen kontrolliert der Europäische Gerichtshof. Um hier zu bestehen, versucht die Kommission, sich nach allen Seiten abzusichern. Sie recherchiert akribisch, wie sich ein Zusammenschluss auf die Wahlmöglichkeiten der Kunden auswirkt.Insoweit hat sich in den vergangenen 15 Jahren oberflächlich nicht viel geändert. Dennoch steigen die Herausforderungen für fusionswillige Unternehmen, jedenfalls in konsolidierten Industrien. Die Verfahren werden komplexer. Noch vor einigen Jahren akzeptierte Auflagen gelten heute als ineffektiv. Beschwerden und Bedenken aus anderen Teilen der Welt schwappen im internationalen Dialog der Behörden nach Europa herüber und erschweren das Verfahren. Die gerichtliche Kontrolle wird immer intensiver. Die Kommission lässt ihre Entscheidungsentwürfe daher ausführlich auf ökonomische Kohärenz und eine konsistente Praxis prüfen, und auch die gerichtliche Kontrolle wird stärker. Für “pragmatische Lösungen”, selbst wenn sie politisch gewollt wären, bleibt immer weniger Raum. Längere DauerAuch der Prozess hat sich verändert. Das betrifft zunächst die Verfahrensdauer. Theoretisch gelten hier strenge Fristen. Länger als sieben Monate darf das Verfahren eigentlich nicht dauern. Dennoch läuft der Prozess von der Bekanntgabe bis zur Freigabe heute in komplexen Fällen doppelt so lange. In China sind es sogar 18 Monate. Selbst bei öffentlichen Übernahmen, wo besonderer Zeitdruck herrscht, gibt es inzwischen Fälle, in denen die sonst so auf Tempo bedachte Finanzmarktaufsicht bis zu 20 Monate veranschlagt, bis die Freigaben vorliegen müssen.Und das, obwohl die Unternehmen die Kommission oft schon Monate vor der Bekanntgabe vertraulich befassen, um Zeit zu sparen. Die längere Dauer liegt vor allem an der viel intensiveren Untersuchung. So ließ die Kommission Bayer im Zusammenhang mit dem Monsanto-Erwerb allein mehr als vier Millionen Seiten Dokumente aus den Archiven heraussuchen. Werden solche Anfragen nicht sofort bedient, verzögern sie den Prozess. Hinzu kommen oft tausendseitige Anmeldungen, eine detaillierte Marktanalyse, die so kaum je im Unternehmen vorhanden ist, ökonomische Studien, hunderte Kundenkontakte und eine Flut von Fragebögen. Sie alle wollen vollständig beantwortet sein, bevor die Verfahrensfrist überhaupt zu laufen beginnt. Wer dafür keine klaren Strukturen und Ressourcen aufbaut, muss mit Verzögerungen rechnen.Anmeldungen in mehr als 20 Staaten rund um die Welt sind bei globalen Fusionen keine Seltenheit. Der Vollzug muss bis zur letzten Freigabe warten. Insbesondere die Behörden der größten Märkte prüfen Zusammenschlüsse genau. Neben der EU sind das vor allem die USA und China. Obwohl die Regeln ähnlich sind, verfolgt jede Behörde auch ihre eigenen Ziele. China versucht, auch die eigene Industrie zu stärken. Zu veräußernde Unternehmensteile gehen bevorzugt an chinesische Käufer. Der Zugang zu Technologie und Rohstoffen spielt eine wichtige Rolle. Für die EU-Kommission stehen Konsumenten, Marktstruktur und Auswahlmöglichkeiten für Kunden im Vordergrund. Geht ihr die Konsolidierung zu weit, verlangt sie Veräußerungen. Bevorzugte Käufer sind ausländische Akteure ohne starke EU-Präsenz. Denn sie schaffen neuen Wettbewerb statt weiterer Konsolidierung. Die Fusion zwischen AB Inbev und SAB Miller bereitete so dem japanischen Brauer Asahi den Weg auf den europäischen Markt, Tayio Nippon Sanso profitierte von Linde/Praxair-Veräußerungen.Immer öfter müssen solche Veräußerungen bereits durchgeführt sein, bevor die eigentliche Fusion stattfinden kann. Die Partner müssen parallel zur Arbeit am eigenen Zusammenschluss komplexe Veräußerungen vorbereiten, um ihre Zeitpläne nicht zu gefährden. Nicht selten wird vor der Freigabe des eigenen Zusammenschlusses intensiv mit Käufern verhandelt; in einigen Fällen waren solche Veräußerungen bereits ausverhandelt und unterschrieben, bevor die Behörden sie überhaupt verlangt hatten. Das spart Zeit, bedeutet aber auch ein erhebliches Risiko. Wenn die Behörde wider Erwarten eine andere Veräußerung oder einen anderen Käufer bevorzugt, war die ganze Arbeit umsonst. Investoren unter der LupeNicht jeder Bieter kommt in einem solchen Prozess auch als Käufer in Frage. Oft fallen etablierte Wettbewerber von vornherein aus, da sie selbst zu marktmächtig würden. Andererseits soll der veräußerte Unternehmensteil weiter Erfolg haben. Derzeit beteiligen sich oft auch Finanzinvestoren an Bieterverfahren. Sie werben damit, dass sie unabhängige Strukturen schaffen und weitere Konsolidierung vermeiden. Ihr Kampf um Anlagen versüßt den Fusionspartnern die schmerzliche Veräußerung durch die Aussicht auf einen höheren Preis. Das kann schon einmal den Ausschlag dafür geben, ob sich der eigene Zusammenschluss trotz der Veräußerungsauflage noch lohnt oder nicht.Andererseits prüft die EU-Kommission ausführlich, ob der Finanzinvestor überhaupt in der Lage ist, das Unternehmen nachhaltig zu führen und seine volle Wettbewerbskraft zu erhalten. Wer kauft, um zu restrukturieren, zu zerschlagen und dann Einzelteile rasch mit Gewinn weiterzuverkaufen, ist als Käufer nicht hoffähig. Finanzinvestoren müssen sich darauf einstellen, ihre Planung detailliert zu erläutern und mit relevanten Beispielen zu belegen, dass sie in ähnlichen Situationen erworbene Unternehmen nachhaltig als starke Wettbewerber am Markt platziert haben. Wenn das veräußerte Geschäft in ein bestehendes Netzwerk eingebunden werden muss, um n erfolgreich zu sein, werden Finanzinvestoren oft das Nachsehen haben. Argusaugen des Marktes Während des langen Ringens um Freigabe, Auflagen und Käufer stehen die Märkte nicht still. Die immer strengeren Transparenzregeln zwingen börsennotierte Fusionspartner öfter, Zwischenstände der Verfahren publik zu machen. Investoren beobachten diese Kommunikation genau und versuchen daraus sofort abzuleiten, welchen Wert ein Zusammenschluss bei den zu erwartenden Auflagen noch schafft. Sind sie überrascht, wirkt sich das auf den Börsenkurs aus. Auch bei professionellster Kommunikation bedarf es oft einiger Standfestigkeit, eine schwierige Fusion nach diesen komplexen Verfahren auch sicher über die Ziellinie zu bringen und die Investoren dabei nicht zu verlieren.Hier hilft eine von vornherein realistische Einschätzung der Risiken und Synergien. Die Ankündigung einer strategischen Fusion ist ein großer Moment: als Befreiungsschlag bei Druck auf die Margen, als Neuausrichtung oder Zukunftsvision, die Börsenwert schafft. Nachhaltig ist das aber nur, wenn die Märkte auch dem Plan vertrauen, der Transaktion und Synergien durch die Fusionskontrolle bringen soll. *) Dr. Bernd Meyring und Dr. Timo Engelhardt sind Partner von Linklaters.