RECHT UND KAPITALMARKT

Umfangreiche Änderungen im Prospektrecht

Europäische Wertpapieraufsichtsbehörde präsentiert ihre Vorschläge - Die neue Verordnung soll Mitte nächsten Jahres in Kraft treten

Umfangreiche Änderungen im Prospektrecht

Von Karsten Müller-Eising *)Die Europäische Wertpapieraufsichtsbehörde (ESMA) hat jüngst umfangreiche Vorschläge zur Änderung des Prospektrechts vorgelegt. Seit Inkrafttreten der Prospektänderungsrichtlinie (2010/73/EU) im November 2010 steht fest, dass zahlreiche Details im Zusammenhang mit der Prospektzusammenfassung, der Struktur von Basisprospekten sowie dem Umfang der Prospektangaben im Zusammenhang mit Bezugsrechtsemissionen und Angeboten an Arbeitnehmer neu geregelt werden müssen. ESMA hat dazu im ersten Halbjahr 2011 umfangreich Marktteilnehmer angehört und jetzt zum einen die Ergebnisse des Anhörungsverfahrens und zum anderen konkrete Änderungsvorschläge zur Prospektverordnung präsentiert. Drei DokumenteIn Zukunft darf ein Basisprospekt aus drei separaten Dokumenten bestehen, einem Registrierungsformular, einer Wertpapierbeschreibung und einer Zusammenfassung. Nach ESMA-Auffassung muss ein Basisprospekt zwar alle Informationen enthalten, die zum Zeitpunkt der Billigung des Basisprospekts vom Emittenten in den Basisprospekt hätten aufgenommen werden können. Das soll aber auch künftig einen Emittenten nicht daran hindern, für den Investor hilfreiche Informationen in die endgültigen Bedingungen (Final Terms) aufzunehmen.ESMA schlägt jetzt eine umfangreiche Liste an Informationen vor, die regelmäßig oder unter bestimmten Umständen erst in den endgültigen Bedingungen festgelegt werden müssen. Demgegenüber müssen andere Informationen (z. B. die Risikofaktoren oder der Rang) bereits im Basisprospekt beschrieben sein. Umgekehrt bedeutet dies, dass für den Fall, dass sich nach der Veröffentlichung des Basisprospekts Informationen ändern, die nicht in die endgültigen Bedingungen aufgenommen werden dürfen, ein Nachtrag zum Basisprospekt erforderlich wird, der auch ein Widerspruchsrecht der Investoren nach sich zieht.Im Hinblick auf die von der Praxis gewünschte Kombination von endgültigen Bedingungen und Zusammenfassung verlangt ESMA für jede Wertpapieremission eine eigene Zusammenfassung (sofern nicht mehrere Emissionen nahezu identisch sind); diese Zusammenfassung darf aber an die individuellen endgültigen Bedingungen einer Emission angeheftet werden. Eine zusätzliche Billigung durch die BaFin ist nicht erforderlich, wenn die Zusammenfassung nur Informationen enthält, die bereits im Basisprospekt enthalten waren oder die der Ausfüllung von dort vorgesehenen Platzhaltern oder Gestaltungsoptionen dienen.Im Hinblick auf Umfang und Gestaltung von Zusammenfassungen von Prospekten wurde während des Anhörungsverfahrens teilweise noch der Wunsch geäußert, Zusammenfassungen auf zwei bis drei Seiten im Stil der nach der OGAV-IV-Verordnung geforderten wesentlichen Anlegerinformationen (Key Investor Information) zu reduzieren. Davon hat die Behörde jetzt in aller Deutlichkeit Abstand genommen.Zwar betont sie den Grundsatz, dass Zusammenfassungen in einfacher Sprache abgefasst werden sollen. Während aber die Prospektverordnung bisher keine Details enthielt, gibt ESMA nunmehr eine klare Gliederung der Zusammenfassung in fünf Abschnitte vor und stellt gleichzeitig im Rahmen eines neuen Anhangs zur Prospektverordnung eine detaillierte Liste auf, welche Aspekte in der Zusammenfassung anzusprechen sind.Hinsichtlich des Umfangs der Zusammenfassung wird die alte Grenze von 2 500 Worten, die insbesondere bei Aktien- und umfangreichen Basisprospekten schon in der Vergangenheit kaum eingehalten wurde, aufgehoben. Nunmehr darf eine Zusammenfassung höchstens 7 % der Gesamtlänge des Wertpapierprospekts betragen, dabei aber maximal 15 Seiten lang sein.Bereits im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens für die Änderung der Prospektrichtlinie war der Umgang mit Bezugsrechtsemissionen umstritten. In Deutschland wird – im Einklang mit der BaFin-Praxis – seit vielen Jahren der Standpunkt vertreten, dass Bezugsrechtsemissionen, die sich ausschließlich an bestehende Aktionäre richten und bei denen kein Bezugsrechtshandel eingerichtet ist, nicht als öffentliches Angebot gelten und daher prospektfrei durchgeführt werden können. Demgegenüber hat der Richtlinien-Gesetzgeber den Standpunkt eingenommen, dass auch Wertpapierangebote im Rahmen einer Bezugsrechtsemission grundsätzlich öffentliche Angebote sind.Um die Kapitalaufnahmemöglichkeiten durch Bezugsrechtsemissionen zu erleichtern, macht ESMA jetzt konkrete Vorschläge zu einer der besonderen Form der Emission angemessenen Offenlegung bei Bezugsrechtsemissionen und bei der Emission von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sowie Emittenten mit geringer Marktkapitalisierung (Small Caps). ESMA schlägt einen neuen Anhang für die Prospektverordnung vor, der die bei Bezugsrechtsemissionen erforderlichen Prospektinhalte festlegt. Insbesondere muss der verkürzte Prospekt nur noch die historischen Finanzzahlen des letzten Geschäftsjahres enthalten; einer Darstellung und Analyse der Geschäfts- und Finanzlage (OFR) bedarf es nicht. Diese und andere Erleichterungen stellen eine deutliche Vereinfachung gegenüber einem vollen Prospekt dar. Die Möglichkeit, sich auf eine angemessene, verkürzte Offenlegung zu beschränken, haben auch Gesellschaften, die im Entry Standard oder einem vergleichbaren Qualitätssegment des Freiverkehrs gelistet sind.Um nicht in die paradoxe Situation zu gelangen, bei einem öffentlichen Angebot einer ausschließlich im Freiverkehr notierten Gesellschaft deutlich höhere Standards als bei einer Bezugsrechtsemission einhalten zu müssen, schlägt ESMA einen neuen Anhang für einen verkürzten Prospekt auch für alle öffentlichen Angebote von KMU und Small Caps vor, die nicht im regulierten Markt notiert sind, und zwar unabhängig davon, ob es sich um ein IPO oder ein Folgeangebot handelt. Verlangt werden nur die Abschlüsse der letzten zwei Geschäftsjahre; eine OFR kann entfallen, wenn – was aus Haftungsgründen bisher regelmäßig vermieden wird – der Lagebericht im Prospekt enthalten ist. Als KMU zählen dabei weiterhin die Unternehmen, die zwei der folgenden Kriterien erfüllen: Arbeitnehmerzahl unter 250, Bilanzsumme nicht über 43 Mill. und Umsatz nicht mehr als 50 Mill.; als Small Caps gelten Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von nicht mehr als 100 Mill. Damit dürfte eine große Zahl Unternehmen ganz aus dem Anwendungsbereich eines vollständigen Prospekts herausfallen. Die verbleibenden Unternehmen, die oberhalb der genannten Grenzen liegen, profitieren allerdings von der durch die Prospektänderungsrichtlinie erleichterten Prospektausnahme, wenn das öffentliche Angebot sich an weniger als 150 nichtinstitutionelle Anleger richtet. Vereinfachtes RegimeESMA schlägt außerdem ein vereinfachtes Prospektregime für die Ausgabe von Nichtdividendenwerten durch Kreditinstitute vor, was insbesondere den Instituten hilft, die nicht auf einen Basisprospekt oder ein aktuelles Registrierungsformular zurückgreifen können. Noch nicht vorgelegt hat ESMA die Vorschläge für die vereinfachte Offenlegung bei Angeboten an Arbeitnehmer, was insbesondere für Emittenten außerhalb der EU bei globalen Aktienoptionsplänen wichtig ist.Nach dem von der Kommission vorgegebenen Zeitplan wird bis Ende 2011 die EU-Kommission die bisher vorgeschlagenen Änderungen zur Prospektverordnung förmlich beschließen und dem Europäischen Parlament und dem Ministerrat mitteilen. Sofern dort keine schwerwiegenden Einwände bestehen, kann die geänderte Prospektverordnung plangemäß zum 1. Juli 2012 in Kraft treten, ohne dass es eines weiteren Umsetzungsakts bedarf. Die Praxis kann sich daher schon jetzt auf die umfangreichen Änderungen vorbereiten. Der deutsche Gesetzgeber muss außerdem den vorliegenden Entwurf zur Änderung des Wertpapierprospektgesetzes durch das Gesetzgebungsverfahren bringen.—-*) Dr. Karsten Müller-Eising, Rechtsanwalt und Notar, ist Partner im Frankfurter Büro von Hogan Lovells.