RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: CLAUDIA SCHOPPEN

Umweltverbände erhalten mehr Klagerechte

"Für Großprojekte steigen Investitionsrisiken" - Nicht mit einer Welle zu rechnen

Umweltverbände erhalten mehr Klagerechte

– Frau Schoppen, morgen steht eine wichtige Entscheidung des EuGH im Umweltrecht an. Worum geht es dabei?Das Oberverwaltungsgericht in Münster hat den EuGH angerufen, damit dieser den Umfang der Klagerechte von Umweltverbänden klärt. Anlass ist die Klage eines Umweltverbandes gegen die Errichtung des Steinkohlekraftwerks in Lünen, das sich übrigens schon im Bau befindet. Laut Oberverwaltungsgericht könnte die Genehmigung eventuell gegen umwelt- und naturschutzrechtliche Vorschriften verstoßen. Allerdings sieht sich das Gericht bislang nicht in der Lage, abschließend zu entscheiden. Denn nach deutschem Recht können Umweltverbände zwar mittlerweile Genehmigungen vor den Verwaltungsgerichten anfechten – erstaunlicherweise aber nicht wegen Verstößen gegen umweltrechtliche Vorschriften. Also stellte sich nun für das Gericht die Frage, ob dieses eingeschränkte Klagerecht der Umweltverbände europarechtswidrig ist.- Wie entscheiden sich die EuGH-Richter Ihrer Meinung nach?Ich erwarte, dass der EuGH letztlich zugunsten der Umweltverbände entscheiden wird. Er wird wohl sagen, dass die deutsche Umsetzung des Verbandsklagerechts im Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz europarechtswidrig ist. Darauf deuteten bereits die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom Dezember vergangenen Jahres hin. Die Generalanwältin sieht die Umweltverbände im Vergleich zu sonstigen Klägern in einer einzigartig privilegierten Position. Sie seien die Einzigen, die sozusagen stellvertretend für die Umwelt klagen könnten. Nach europäischem Recht stehe ihnen damit automatisch ein weiter Zugang zu den Gerichten zu, den das deutsche Recht nicht gewähre. Deshalb hält sie die deutsche Umsetzung des Verbandsklagerechts im Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz für europarechtswidrig.- Warum ist die Entscheidung des EuGH so wichtig?Wenn der EuGH den Schlussanträgen der Generalanwältin folgt – wovon ich ausgehe -, würde eines der Grundprinzipien des deutschen Verwaltungsprozessrechts über den Haufen geworfen werden. Eine kleine Revolution! Denn nach deutschem Recht kann bisher nur die Verletzung in eigenen Rechten eingeklagt werden. Zu den eigenen Rechten gehören aber eben nicht die Umweltbelange. Deshalb konnten Verbände in der Regel nicht stellvertretend für die Natur – also die Fledermaus oder den Fisch – klagen. Nur zögerlich hat sich das deutsche Recht in der Vergangenheit einer Verbandsklage geöffnet. Das wird sich jetzt wohl ändern müssen.- Und was wären die konkreten Folgen, z. B. für das Steinkohlekraftwerk in Lünen?Wenn den Umweltverbänden in Zukunft ein erweitertes Klagerecht zusteht, können Projekte wie das Steinkohlekraftwerk auch im Hinblick auf die Einhaltung von Umweltvorschriften umfassend gerichtlich überprüft werden. Aber das Urteil des EuGH betrifft ja nicht nur konventionelle Kraftwerke. Selbst Anlagen zur Erzeugung von erneuerbaren Energien können betroffen sein, etwa Windparks. Auch gegen Infrastrukturprojekte wie Autobahnen oder den Ausbau der Stromnetze werden Umweltverbände künftig mit mehr Aussicht auf Erfolg klagen können. Das Klagerisiko und damit das Investitionsrisiko wird also steigen. Mit einer Klagewelle, wie von vielen befürchtet, rechne ich allerdings nicht. Auch in anderen EU-Mitgliedstaaten, die ein umfangreiches Klagerecht eingeführt haben, sind solche Szenarien ausgeblieben.- Was würden Sie Unternehmen und Behörden nun raten?Zunächst ist einmal der genaue Wortlaut des Urteils abzuwarten und auch, wie der deutsche Gesetzgeber es umsetzen wird. Erst dann wird sich zeigen, wie Genehmigungsbehörden und Verwaltungsgerichte mit der neuen Rechtslage in der Praxis umgehen. Unternehmen und Behörden kann man nur raten, Genehmigungsverfahren äußerst sorgfältig durchzuführen, um den Umweltverbänden von vornherein den Wind aus den Segeln zu nehmen. Klagen wird man gerade bei politisch umstrittenen Projekten wie Kohlekraftwerken nicht verhindern können, aber man kann ihnen die Grundlage entziehen.—-Claudia Schoppen ist Partnerin der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, spezialisiert auf Umweltrecht sowie öffentliches Wirtschaftsrecht. Die Fragen stellte Walther Becker.