Recht und Kapitalmarkt

Unternehmen brauchen verlässlichen Steuerrahmen

Kampf gegen Steuerflucht darf nicht in willfährigem Handeln des Staates enden - Sorge über Zinsschranke

Unternehmen brauchen verlässlichen Steuerrahmen

Von Hanno Berger und Bela Jansen *) Vor kurzem erstattete die EU-Kommission den Finanzministern der Mitgliedstaaten Bericht über den Kampf gegen die Steuerhinterziehung im Hinblick auf die seit 2005 bestehende Zinsrichtlinie. Bereits zuvor hatte Finanzminister Steinbrück eine deutliche Ausweitung der Richtlinie zur Vermeidung der Steuerflucht gefordert. Fast zeitgleich übermittelte das Bundesfinanzministerium den Referentenentwurf zum Jahressteuergesetz 2009 an die Verbände zur Stellungnahme. Die Maßnahmen sind u. a. geprägt von einem Ziel: der Steuerflucht bzw. Aushöhlung der inländischen Bemessungsgrundlage entgegenzuwirken. InvestitionsfeindlichAus fiskalischer Sicht ist dies auf den ersten Blick ein nachvollziehbares Anliegen. Auf den zweiten Blick wird aber deutlich, dass viele Maßnahmen zur Verhinderung der Steuerflucht dem eigentlichen Ziel, die steuerliche Bemessungsgrundlage zu erhalten, entgegenwirken. Insbesondere die in der jüngeren Zeit ergriffenen mitunter verfassungsrechtlich äußerst zweifelhaften Maßnahmen haben dazu geführt, dass die steuerlichen Rahmenbedingungen für in- und ausländische Investoren abschreckend wirken und sie darüber nachdenken lassen, Investitionen in Deutschland nicht zu tätigen sowie Unternehmen und Kapital – legal – ins Ausland zu verlagern.Ein Beispiel ist die zum 1. Januar 2008 eingeführte Regelung zur sogenannten Funktionsverlagerung (§ 1 Abs. 3 Außensteuergesetz). Danach hat eine Ergebniskorrektur bei inländischen Unternehmen zu erfolgen, wenn Betriebsfunktionen (z. B. die Produktion von Gütern) auf ausländische Konzerngesellschaften übertragen bzw. von diesen zukünftig übernommen werden, um so eine Besteuerung der übertragenen zukünftigen Gewinnchancen zu sichern. Nach Auffassung der Finanzverwaltung soll dies auch dann gelten, wenn Produktionskapazitäten im Ausland geschaffen werden, ohne dass gleichzeitig Kapazitäten in Deutschland abgebaut werden, sofern innerhalb von fünf Jahren ein Abbau der Kapazitäten in Deutschland erfolgt. Unternehmen sehen sich damit gegebenenfalls noch lange in der Zukunft dem Vorwurf der Funktionsverlagerung ausgesetzt, wenn aus sonstigen betrieblichen Gründen Teile der Produktion eingestellt werden mussten. Noch drastischer wirken sich zwei Regelungen aus, die der Gesetzgeber ebenfalls zum 1. Januar 2008 eingeführt hat: Die Regelungen zur Verlustvernichtung bei der Übertragung von Unternehmen (Wegfall steuerlicher Verlustvorträge, wenn mehr als 25 % der Anteile an Kapitalgesellschaften übertragen werden) und die weitreichende Beschränkung der Abziehbarkeit von Fremdkapitalkosten (Zinsschranke) führen zu einer Substanzbesteuerung bzw. zur Besteuerung tatsächlich nicht erzielter Gewinne. Sorge bereitet die Zinsschranke auch deshalb, weil die Steuerlast steigt, wenn die Gewinne sinken. Denn die Abzugsfähigkeit von Zinsaufwendungen orientiert sich am steuerlichen Ebitda. Völlig losgelöst von der Frage, wie hoch die tatsächlichen Aufwendungen für Fremdkapital sind, kann das Unternehmen nur 30 % des Gewinns vor Steuern, Zinszahlungen und Abschreibungen abziehen. Die begründeten Sorgen, dass dies einen Eingriff in die Substanz des Unternehmens und die Finanzierungsfreiheit darstellt, werden offen missachtet. Staatssekretär Dr. Nawrath kommentierte die Substanzbesteuerung mit den Worten: “Die Unternehmen erwarten ja auch, dass ihr Müll abgeholt wird, wenn sie keine Gewinne erzielen.”Die geplanten Änderungen der Erbschaftsteuer beunruhigen vor allem Familienunternehmen. Aus den zahlreichen geplanten Verschärfungen sticht dabei die Behaltefrist von 15 Jahren für Betriebsvermögen heraus. Nur wenn das Unternehmen weitere 15 Jahre möglichst unverändert fortgeführt wird, sollen Bewertungsabschläge bei Übertragungsvorgängen erhalten bleiben. Abgesehen davon, dass die Frist auch durch eine spätere Insolvenz und damit eine entsprechende Übertragung der Vermögenswerte eine Nachversteuerung auslösen würde, sind 15 Jahre in der unternehmerischen Wirklichkeit weltfremd. Der Gesetzgeber ist daher – auch im Sinne der Verwaltungsvereinfachung – gefordert, die Regelung zu überarbeiten. Bewegt sich der Gesetzgeber in den genannten Fällen im politischen und gesetzgeberischen, wenngleich zweifelhaften Gestaltungsspielraum, überschreitet er mittlerweile an anderen Stellen bewusst die Grenze zulässigen gesetzgeberischen Handelns. Um zulässige, aber unerwünschte steuerliche Gestaltungsspielräume einzuschränken, greift der Gesetzgeber auf “klarstellende” rückwirkende Gesetzesänderungen zurück. Das jüngste Beispiel ist die beabsichtigte Änderung des § 15 AStG im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2009. Nach der geplanten Regelung soll die Zurechnung negativer Einkünfte von ausländischen Familien- und Unternehmensstiftungen entfallen. Das allein ruft nicht den Unmut hervor, wenngleich man auch hier europarechtliche Bedenken anmelden kann. Gänzlich unakzeptabel ist aber die beabsichtigte rückwirkende Änderung der gesetzlichen Regelung, die der Gesetzgeber fälschlicherweise als klarstellend zu rechtfertigen sucht. Unrühmliche HistorieEr versucht damit eine unrühmliche Historie fortzusetzen, denn in den Jahressteuergesetzen 2007 und 2008 änderte er mit dem schlichten Hinweis auf eine Klarstellung mehrere Gesetze in verfassungswidriger Weise rückwirkend. Mit der Änderung des § 14 Abs. 4 KStG änderte der Gesetzgeber rückwirkend (auch für bereits zeitlich vollständig abgeschlossene Veranlagungszeiträume) die Regelungen zur körperschaftsteuerlichen Organschaft. Ebenfalls rückwirkend führte er einen weitreichenden “Treaty Override” mit § 50 d Abs. 9 Nr. 1 EStG ein. Entsprechend kommentierte Prof. Wassermeyer, Vorsitzender Richter a. D. des 1. Senats des Bundesfinanzhofs, im Rahmen der Jahresarbeitstagung der Fachanwälte für Steuerrecht im Mai dieses Jahres die Bereitschaft, klare Gesetze rückwirkend zu ändern, als “skandalös und eindeutig verfassungswidrig”. Auch hier ist der Gesetzgeber im Sinne der Rechtsstaatlichkeit unzweifelhaft gefordert, vergangene Zeiträume und damit abgeschlossene Investitionsentscheidungen nachträglich nicht anzugreifen. Die Beispiele machen deutlich, dass der Gesetzgeber die Nöte und Sorgen der in Deutschland investierenden Unternehmen nur unzureichend berücksichtigt. Auch wenn es fiskalisch, möglicherweise volkswirtschaftlich, geboten ist, die Steuerflucht bzw. die Aushöhlung der Bemessungsgrundlage zu beschränken, darf der Gesetzgeber nicht zu einem willfährigen, rechtsstaatswidrigen Handeln neigen. Unternehmen brauchen verlässliche Rahmenbedingungen. Der Gesetzgeber sollte sich daher auf klare, eindeutige gesetzliche Regelungen besinnen und widersprüchliche, tatbestandlich unbestimmte Normen vermeiden. Er wirkt damit auch der geübten Verwaltungspraxis entgegen, dass unbestimmte Normen oder zulasten der Finanzverwaltung ergangene BFH-Entscheidungen durch Schreiben der Finanzverwaltung näher konkretisiert werden oder gar mit Nichtanwendungserlassen belegt werden. Eine Erbschaftsteuerreform, die die Fortführung von Unternehmen nicht zum Roulette werden lässt, die Beachtung des Grundsatzes der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Erhalt der Finanzierungsfreiheit als eine wesentliche unternehmerische Grundentscheidung sollten die Leitlinie des gesetzgeberischen Handelns sein. Der Gesetzgeber muss sein Handeln strikt an der Verfassung, insbesondere dem Rechtsstaats- und Gewaltenteilungsprinzip sowie dem Europarecht, ausrichten und damit nicht – wie gegenwärtig (siehe Pendlerpauschale) häufig zu beobachten – eine Zurückweisung seines Verhaltens durch die oberen Bundesgerichte, den Bundesfinanzhof oder den Europäischen Gerichtshof riskieren und nicht bis dahin aufgrund der “Generalpräventiv”-Wirkung der Gesetze versuchen, Steuerpflichtige von der Geltendmachung ihrer Rechte abzuhalten. Nur wenn der Staat sich selbst gesetzes- und verfassungstreu verhält, verliert er nicht die Legitimität, Gleiches auch von den Steuerpflichtigen zu verlangen. *) Dr. Hanno Berger und Dr. Bela Jansen sind Partner der Kanzlei Dewey & LeBoeuf LLP in Frankfurt.