RECHT UND KAPITALMARKT

Unterstützung für Gewerbemieter

Neue Regelungen im Zuge der Pandemie werden den Erwartungen in Einzelhandel und Gastronomie nur bedingt gerecht

Unterstützung für Gewerbemieter

Von Christian Hilmes und Michael Fink *)Die Covid-19-Pandemie hält das Land fest im Griff. Mit weiteren Verschärfungen dauern der zweite Lockdown und damit die weitgehende Schließung von Einzelhandel, Gastronomie und Hotellerie an. Die Betreiber als Adressaten der Maßnahmen sind häufig Mieter oder Pächter. Seit Beginn der staatlichen Eingriffe zur Pandemiebekämpfung im März 2020 sind Mieter und Vermieter verunsichert, wie mit den wirtschaftlichen Folgen umzugehen ist und welche Auswirkungen diese auf bestehende Mietverträge haben.Während Umsätze einbrechen, bleiben die Fixkosten einschließlich Miete und Pacht im Grundsatz unverändert. Die Gerichte haben die öffentlich-rechtlich angeordneten Gebrauchsbeschränkungen bisher überwiegend den persönlichen und betrieblichen Umständen der Mieter zugeordnet, also nicht als Mangel der Mietsache angesehen, und eine automatische Mietminderung nach § 536 BGB abgelehnt.Mit dem am 30.12.2020 verkündeten “Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht” beabsichtigt der Gesetzgeber u. a., die Position von Gewerbemietern zu verbessern und mehr Rechtssicherheit zu schaffen.Anders als noch im Frühjahr letzten Jahres, als der Gesetzgeber Mietern durch eine Beschränkung des vermieterseitigen Kündigungsrechts wegen ausbleibender Mietzahlungen half, soll nunmehr eine Ergänzung der Vorschriften zur Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1 BGB) die ersehnte Erleichterung für gewerbliche Mieter und Pächter bringen.Durch den neuen Art. 240 § 7 EGBGB wird nun gesetzlich vermutet, dass staatliche Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung, die die Verwendbarkeit des Mietobjekts für den Betrieb des Mieters erheblich einschränken, schwerwiegende Veränderungen der Geschäftsgrundlage für das Mietverhältnis darstellen. Überdies sind durch den ebenfalls neu eingeführten § 44 EGZPO Streitverfahren über Miet- und Pachtanpassungen wegen solcher staatlicher Maßnahmen von den Gerichten vorrangig und beschleunigt zu behandeln. Die Regelungen traten am 31.12.2020 in Kraft. Keine RisikoallokationViele Mieter hatten gehofft, dass die neuen Regelungen ihre Position deutlich stärken und insbesondere Mietreduzierungen künftig einfacher durchzusetzen sind. Auch der politische Diskurs und das mediale Echo im Vorfeld ließen weitreichende Regelungen erwarten. Diesen Erwartungen werden die neuen Regelungen nur bedingt gerecht. Insbesondere hilft die vermeintliche Klarstellung durch die eingefügte gesetzliche Vermutung einer Geschäftsgrundlagenstörung durch hoheitliche Covid-19-Maßnahmen den Parteien nur teilweise.Die wohl wesentlichste Aussage findet sich nicht im Gesetzestext, sondern in dessen Begründung: es sollen primär Unsicherheiten beseitigt werden, die im Zusammenhang mit dem sogenannten Covid-19-Insolvenzfolgen-Abmilderungsgesetz vom 27.3.2020 in der Praxis aufkamen. Art. 240 § 2 Abs. 1 Satz 1 EGBGB schützte Mieter vor Kündigungen, soweit diese aufgrund der Covid-19-Pandemie ihre Miete vorübergehend nicht leisten konnten. Der Gesetzesbegründung entnahmen Teile der Praxis und einzelne Gerichte, dass das Risiko staatlicher Eingriffe grundsätzlich die Mieter zu tragen hätten und eine Anwendbarkeit der Grundsätze über die Störung der Geschäftsgrundlage zumindest für den Zeitraum April bis Juni 2020 ausgeschlossen sei. Dies ist jedoch nicht der Fall und die Klarstellung insoweit zu begrüßen.Die eigentliche Frage, unter welchen Voraussetzungen Mietkonditionen infolge staatlicher Maßnahmen anzupassen sind, bleibt jedoch nach wie vor unbeantwortet. Es handelt sich hierbei nicht um ein gesetzgeberisches Versehen, sondern eine bewusste Entscheidung. Die bestehenden zivilrechtlichen Instrumentarien sollen unverändert gelten, sofern ihre jeweiligen Voraussetzungen erfüllt sind.Dies gilt auch für § 313 BGB. Unter strengen Voraussetzungen ermöglicht diese Norm eine Anpassung oder gar Aufhebung des Vertrages, um im Falle unbilliger Lastenverteilung die Vertragsgerechtigkeit aufrecht zu erhalten. Damit eine Vertragsanpassung verlangt werden kann – anders als bei Mietminderungen nach § 536 BGB treten die Rechtswirkungen bei § 313 Abs. 1 BGB nicht automatisch ein -, müssen drei Elemente vorliegen: (i) ein Umstand, der zur Vertragsgrundlage wurde, hat sich nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert (reales Element), (ii) die Parteien hätten den Vertrag nicht oder nicht so geschlossen, wenn sie die Veränderung vorausgesehen hätten (hypothetisches Element), und (iii) der betroffenen Partei ist das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zumutbar (normatives Element).Die jetzt eingeführte Vermutung gilt nur für das reale Element. Die weiteren Elemente bleiben unberührt; im Streitfall ist ihr Vorliegen also weiterhin durch den Mieter darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Überdies ist die Vermutung widerlegbar; die Gesetzesbegründung nennt als Beispiel etwa Fälle, in denen der Mietvertrag zu einem Zeitpunkt geschlossen wurde, in dem eine pandemieartige Ausbreitung des Coronavirus bereits absehbar war. Damit dürften insbesondere Mietverträge, die während des ersten oder zweiten Lockdowns geschlossen wurden, häufig aus der Vermutungswirkung herausfallen, sodass der Mieter auch das Vorliegen des realen Elements nachweisen muss.Auf der Rechtsfolgenseite ist zu beachten, dass eine Vertragsanpassung nur in angemessenem Umfang stattfindet. Was dies bedeutet, ist stets von den Umständen des Einzelfalls abhängig – die denkbaren Anpassungen sind vielfältig und umfassen bloße Mietstundungen ebenso wie vorübergehende, ggf. erhebliche Mietreduzierungen. Ausnahmsweise kann auch eine Vertragsaufhebung in Frage kommen.Zu berücksichtigen ist neben der konkreten Höhe von Umsatzausfällen auch, ob diese etwa durch einen höheren Online-Absatz kompensiert wurden und wie angespannt die Liquiditätssituation des Mieters ist. Gleiches gilt für erhaltene staatliche Ausgleichsleistungen, denn § 313 Abs. 1 BGB soll keine Überkompensation bewirken. EinzelfallentscheidungAll diese Umstände im Einzelfall aufzuarbeiten, abzuwägen und in eine Entscheidung einfließen zu lassen, wird die ohnehin bereits überlasteten Gerichte vor zusätzliche Herausforderungen stellen und – entgegen der Vorstellung des Gesetzgebers – in aller Regel nicht innerhalb von wenigen Wochen oder Monaten zu Entscheidungen führen. Hieran wird auch das eingeführte Vorrang- und Beschleunigungsgebot wenig ändern. Es ist zu erwarten, dass viele Mieter die Chance auf eine Vertragsanpassung nutzen werden und Mietreduzierungen nach gescheiterten Vermietergesprächen notfalls gerichtlich durchsetzen wollen, insbesondere im Hinblick auf die Ungewissheit, ob die Beschränkungen im Februar gelockert werden. Eine entsprechende Klagewelle ist nicht auszuschließen, auch wenn sich – wie in der Praxis bereits zu beobachten – viele Vertragsparteien außergerichtlich einigen werden. Gerichte am DrückerEs bleibt daher abzuwarten, wie die Gerichte die Herausforderungen meistern und die Lastenverteilung vornehmen werden, gerade auch mit Blick auf offene Detailfragen wie etwa dem zeitlichen Beginn der Anpassungswirkungen (typischerweise der Zeitpunkt des Anpassungsverlangens) und der Behandlungen von nach März 2020 geschlossenen Mietverträgen.Bei allen Unwägbarkeiten stehen zwei Dinge doch fest: Zum einen wird die Position der gewerblichen Mieter durch die Neuregelungen entgegen der politischen Selbstdarstellung nur eingeschränkt gestärkt – es bleiben die Vertragsparteien und Gerichte, die Lösungen finden müssen. Zum anderen wird auch eine Anwendung von § 313 Abs. 1 BGB die wirtschaftlichen Lasten hoheitlicher Eingriffe nicht in allen Fällen befriedigend lösen können; ohne staatliche Ausgleichsleistungen dürften Mieter – zur schnellen Klärung der Situation – darauf angewiesen sein, dass sich auch die Vermieter dem Motto “geteiltes Leid ist halbes Leid” verschreiben, so dass die Lasten auf mehrere Schultern verteilt werden. *) Dr. Christian Hilmes ist Partner und Dr. Michael Fink Counsel bei Allen & Overy.