US-Sanktionen gegen Venezuela reichen weit
Von Amir-Said Ghassabeh *)Vor einem Jahr, am 23. Januar 2019, ernannte sich der bis dato weitgehend unbekannte Oppositionspolitiker Juan Guaidó selbst zum Präsidenten Venezuelas. Wie inzwischen bekannt wurde, handelte der 36-jährige Wirtschaftsingenieur und jüngste Präsident der venezolanischen Nationalversammlung auf Drängen der US-Regierung. Auf die Selbsternennung Guaidós erfolgte nicht nur die sofortige Anerkennung durch die US-Regierung und etlicher anderer Staaten (darunter Deutschland), sondern auch eine deutliche Verschärfung der US-Sanktionen gegen die gegenwärtige venezolanische Regierung. Anordnung weit formuliertUm den Druck auf die Maduro-Regierung zu erhöhen, erklärte das Office of Foreign Assets Control (OFAC), die Kontrollbehörde des US-Finanzministeriums für Außenwirtschaftsthemen, Venezuelas wichtigstes Staatsunternehmen Petróleos de Venezuela S.A. (PdVSA) zu einem Specially Designated National (SDN). Vor der Regierungszeit des sozialistischen Staatspräsidenten Hugo Chávez gehörte PdVSA zu den effizientesten Ölfördergesellschaften der Welt. Auch nach Jahren des Missmanagements durch die Chávez- und die Maduro-Regierung zählt PdVSA nach wie vor zu den weltweit größten Erdölunternehmen und spielt mit ihren Tochtergesellschaften eine beträchtliche Rolle für die gesamte Erdölindustrie.Die Benennung von PdVSA zum SDN führte dazu, dass alle ihre Vermögensgegenstände, die sich im Besitz oder unter der Kontrolle einer US-Person oder innerhalb der Vereinigten Staaten befinden, geblockt sind und es US-Personen generell untersagt ist, mit dem Unternehmen Geschäftsaktivitäten aufzunehmen bzw. fortzuführen. Das Verbot erfasst dabei nicht nur PdVSA selbst, sondern grundsätzlich auch alle ihre Tochterunternehmen, an denen sie zu mindestens 50 % beteiligt ist.Die SDN-Benennung von PdVSA erfolgte gemäß der Executive Order 13 850 des US-Präsidenten Donald Trump. Während anfangs noch angenommen wurde, dass die Präsidialanordnung in erster Linie nur von US-Personen beachtet werden müsse, besteht inzwischen Einigkeit, dass auch Nicht-US-Personen sich an die US-Sanktionen gegen die venezolanische Regierung halten sollten, und zwar auch dann, wenn gar kein US-Nexus gegeben ist.Trumps Anordnung ist denkbar weit formuliert. Die Executive Order sieht vor, dass das Vermögen von jeder Person geblockt werden kann, die SDNs materiell unterstützt oder finanzielle Hilfe leistet. Anders als an anderer Stelle spricht die Exekutivanordnung hier gerade nicht von US-Personen, sondern allgemein von Personen, und dehnt damit den Geltungsbereich der US-Sanktionen auch auf Nicht-US-Personen aus.Verschiedene Verlautbarungen aus den US-Regierungskreisen lassen zudem vermuten, dass diese extraterritoriale Ausdehnung kein Zufall war. So hieß es in einer offiziellen Erklärung des Weißen Hauses vom 6. August 2019 zu der Exekutivanordnung, dass sie den US-Finanzminister auch dazu ermächtige, in Absprache mit dem US-Außenminister Sanktionen gegen jede Person, die Nicholas Maduro und sein Regime unterstützt, zu verhängen. Zudem erklärte der damalige nationale Sicherheitsberater John Bolton auf einer Konferenz in Peru: “Wir senden ein klares Signal an alle, die Geschäfte mit dem Maduro-Regime machen wollen: Gehen Sie mit äußerster Vorsicht vor. Es gibt keinen Grund, ihre Geschäftsinteressen mit den Vereinigten Staaten für ein korruptes und sterbendes Regime unnötig zu riskieren.”Ähnlich wie die US-Sanktionen gegen den Iran beanspruchen also auch die US-Sanktionen gegen die Regierung Venezuelas weltweite Geltung und treffen somit auch deutsche Unternehmen. Aus US-Sicht ist es deutschen Unternehmen damit ebenfalls untersagt, bestimmte Geschäfte mit PdVSA oder eines ihrer Tochterunternehmen zu tätigen. Halten sie sich nicht an diese US-Vorgaben, droht ihnen selbst eine Aufnahme in die SDN-Liste. Ausschluss vom US-MarktDie SDN-Listung wirkt global und ungeachtet dessen, ob das betroffene Unternehmen überhaupt Vermögen oder Geschäft in den USA hat. Die unmittelbare Folge einer solchen Listung ist der vollumfängliche Ausschluss des Unternehmens vom US-Markt, was auch den Zugang zum US-Finanzmarkt einschließt. Unternehmen, die mit US-Banken oder US-Versicherern zusammenarbeiten, sind nicht nur gezwungen, sich neue Geschäftspartner zu suchen, sondern haben es in der Regel auch sehr schwer, überhaupt Ersatz zu finden. Denn inzwischen sehen die Compliance-Standards international agierender Banken und Unternehmen regelmäßig vor, Geschäfte mit sanktionierten Personen und Unternehmen grundsätzlich zu unterlassen.Anders als bei den US-Sanktionen gegen den Iran ist es europäischen Banken und Unternehmen auch nicht untersagt, die US-Sanktionen gegen die venezolanische Regierung zu beachten und einzuhalten. Denn weder die EU-Blocking-Verordnung noch das deutsche Boykotterklärungsverbot finden auf diese US-Regelungen Anwendung. HandlungsoptionenDeutsche Unternehmen mit Geschäftsbeziehungen zu PdVSA oder einer ihrer Tochtergesellschaften müssen daher sehr genau prüfen, ob und inwieweit ihre Geschäftsbeziehungen in den Anwendungsbereich der US-Sanktionen fallen. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn ihre Geschäftsaktivitäten als materielle Unterstützung oder finanzielle Hilfeleistung der PdVSA oder eines ihrer Tochtergesellschaften anzusehen sind und keine der im Rahmen der Venezuela-Sanktionen erlassenen General Licenses greift.In dem Bestreben, erhebliche Störungen der US-Ölindustrie und bestimmter US-Verbündeter zu verhindern, hat OFAC einige solcher Generallizenzen erlassen, die die Fortsetzung bestimmter Aktivitäten mit PdVSA oder einigen ihrer Tochterunternehmen (wie z. B. PDV Holding Inc., Citgo und die schwedische Nynas AB) unter verschiedenen Bedingungen ausnahmsweise erlauben.Fällt die Geschäftsaktivität nicht in den Geltungsbereich einer der General Licenses, bleibt den betroffenen Unternehmen noch die Möglichkeit, eine spezifische Ausnahmegenehmigung (Specific License) beim OFAC zu beantragen, wobei die Erfolgsaussichten eines solchen Antrags bei Nicht-US-Unternehmen erfahrungsgemäß eher niedrig sind. Am Ende bleibt deutschen Unternehmen daher regelmäßig nur die Möglichkeit, die bestehenden Geschäftsaktivitäten (zumindest temporär) einzustellen, um ein Sanktionsrisiko ausschließen zu können.Aus deutscher Sicht stellt sich dabei immer die Frage, ob und inwieweit deutsche Unternehmen sich gegenüber ihren Geschäftspartnern auf die extraterritorial wirkenden US-Sanktionen überhaupt berufen können. Denn trotz weltweiten Geltungsanspruchs der US-Regelungen kann solchen ausländischen Eingriffsnormen in Vertragsverhältnissen nur dann Wirkung verliehen werden, wenn dies nach dem geltenden Kollisionsrecht so vorgesehen ist. Eingriffsnormen von Drittstaaten fallen typischerweise nicht in den Anwendungsbereich von Kollisionsregeln.Deutsche Gerichte sahen sich in der Vergangenheit gleichwohl nicht daran gehindert, Eingriffsnormen von Drittstaaten als tatsächliche Gegebenheiten in die Auslegung zivilrechtlicher Generalklauseln einzubeziehen. Der EuGH hat diese Praxis im Rahmen einer Entscheidung zu der EU-Verordnung über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO) als mit dem europäischen Kollisionsrecht grundsätzlich vereinbar erachtet und klargestellt, dass die Rom I-VO es nicht verbiete, ausländische Eingriffsnormen von Drittstaaten als tatsächliche Umstände zu berücksichtigen, soweit eine materielle Vorschrift des nach den Bestimmungen der Rom I-VO auf den Vertrag anwendbaren Rechts dies vorsieht.Trotz dieser vom EuGH bestätigten Gerichtspraxis empfiehlt sich in jedem Fall, klare vertragliche Regelungen (z. B. in Form von Force-majeure-Klauseln) aufzunehmen, um jegliche Zweifel um die Berücksichtigungsfähigkeit von auch extraterritorial wirkenden Sanktionsregelung von Anfang an auszuräumen. *) Amir-Said Ghassabeh ist Principal Associate bei Freshfields Bruckhaus Deringer.