Recht und Kapitalmarkt

US-Urteil bringt deutschen Unternehmen Rechtssicherheit

Fall "Stoneridge": Tendenz amerikanischer Gerichte zur extensiven Auslegung eingeschränkt - Haftungsrisiko für Berater und Prüfer sinkt

US-Urteil bringt deutschen Unternehmen Rechtssicherheit

Von Hermann J. Knott *) Die USA sind bekannt als Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Die im Interesse des Konsumentenschutzes entstandenen strengen Regeln zur Produkthaftung verursachen allerdings hohe Kosten für Geschäftsaktivitäten in- und ausländischer Firmen. Es entspricht der Betonung des Verbraucherschutzes, Investoren an den US-Finanzmärkten umfassenden Schutz zu gewähren, der im Wesentlichen auf nach dem Börsencrash von 1929 vom Kongress verabschiedeten Gesetzen beruht. Die Anschaffung eines Wertpapiers ist für den unerfahrenen Anleger so riskant wie die eines Autos für den Normalverbraucher.Die amerikanischen Gerichte sind mit Klagen überhäuft, in denen Anleger Unternehmen, Banken, Wirtschaftsprüfern, Beratern und anderen Beteiligten vorwerfen, den Börsenkurs negativ beeinflussende Umstände verschleiert zu haben. Kaum ein signifikanter Kursrückgang wird nicht begleitet von einer Klage. Den Anlegern kommt dabei ein prozessuales Instrument zur Hilfe, über dessen Nutzen auch in Europa intensiv diskutiert wird: die Sammelklage, also Class Action. Auf Antrag eines Klägers kann das Gericht beschließen, den Prozess stellvertretend für eine ganze Gruppe vergleichbar Geschädigter zu führen. Das bündelt die anderenfalls verstreute Schlagkraft aller Kleinaktionäre. Derlei Verfahren enden meist in einem teuren Vergleich. Im WettbewerbMan hat in den USA längst erkannt: Im globalen Wettbewerb der Finanzmärkte gibt es kräftigen Gegenwind. Nach einer Studie von McKinsey drohen die asiatischen und europäischen Finanzmärkte den amerikanischen zu überholen, was Größe und Wettbewerbsfähigkeit anbetrifft. Dazu tragen Kosten des Anlegerschutzes nicht unwesentlich bei. In dieser Ausgangslage war der U.S. Supreme Court in seiner Entscheidung vom 15. Januar 2008 im Fall Stoneridge versus Scientific-Atlanta mit einer der größten Sammelklagen konfrontiert, die bisher überhaupt in den USA erhoben worden sind. Die für den Fall entscheidende Frage war, ob bei einem Geschäft, das zum Zwecke eines Anlegerbetruges durchgeführt wurde, auch der Geschäftspartner den Anlegern gegenüber nach den Vorschriften zum Anlegerschutz haftet. Der Fall Ende 2000 zeichnete sich für das Management des Kabelfernsehunternehmens Charter ab, dass sie die von Wall Street prognostizierten Zahlen für Kundenwachstum und operativen Cash-flow nicht würden erfüllen können. Um die entsprechenden Bilanzkennzahlen den Erwartungen anzupassen, einigte man sich mit zwei Zulieferern von Konvertierungsboxen auf folgendes Vorgehen: Charter kaufte die Boxen zu einem über dem Marktniveau liegenden Preis ein; der Mehrerlös der Zulieferfirma floss über die Buchung von Werbezeiten wieder an Charter zurück; Charter verbuchte die Werbeeinnahmen als laufende Einkünfte und verteilte den Preis für die Anschaffung der Boxen auf deren Nutzungsdauer. Damit dem Abschlussprüfer (Arthur Andersen) dieser Zusammenhang verborgen blieb, wurden die Kaufverträge für die Boxen einvernehmlich rückdatiert. Nach Aufdeckung dieser Manipulationen kam es zu einem Einbruch des Börsenkurses von Charter.Die betroffenen Investoren klagten daraufhin ihren Schaden ein. Charter selbst fehlte im Zweifel die Zahlungskraft für die im Raum stehenden Beträge. Als Haftende kamen dann neben dem Abschlussprüfer noch die Zulieferer in Betracht. Sie hatten ja immerhin an den gefälschten Transaktionen mitgewirkt.Die Situation der Zulieferer ähnelt der rechtlichen Lage, in der sich die von den geschädigten Anlegern vor den amerikanischen Gerichten verklagten Banken der spektakulär zusammengebrochenen Gesellschaften Enron und Parmalat befinden. Umfassender SchutzAusgangspunkt der Haftung ist Section 10(b) des Securities Exchange Act aus dem Jahr 1934. Danach ist es verboten, im Zusammenhang mit dem Kauf oder Verkauf von Wertpapieren direkt oder indirekt täuschende oder manipulierende Handlungen zu begehen. Das ist eine Verbotsnorm, die vom Wortlaut her keine Grundlage für einen kapitalmarktrechtlichen Schadenersatzanspruch darstellt. Die Vorschrift ist primär die Basis für Ermittlungen und Sanktionen seitens der amerikanischen Wertpapieraufsichtsbehörde SEC. Der Supreme Court hatte aber 1971 entschieden, dass auf die genannte gesetzliche Regelung auch zivilrechtliche Klagen gestützt werden können.Von 1994 an setzte sich in den USA zunehmend die Erkenntnis durch, dass der Anlegerschutz zu weit reiche. Der Supreme Court entschied damals im Fall Central Bank, zivilrechtliche Klagen könnten nicht gegen Gehilfen, sogenannte “aiders and abetters”, des den Anlegerbetrug begehenden Unternehmens gerichtet werden. 1995 wurde – über ein Veto von Präsident Bill Clinton hinweg – vom Kongress eine Reform des Rechts der zivilrechtlichen Anlegerschutzklagen verabschiedet, welche die Klagevoraussetzungen in derartigen Fällen erheblich verschärfte. Die Untersuchungs- und Sanktionskompetenz der SEC wurde explizit auf Gehilfen erweitert, von einem Privatklagerecht wurde trotz Kenntnis der Entscheidung im Fall Central Bank abgesehen. Weitere Restriktionen für zivilrechtliche Klagen ergeben sich aus Entscheidungen des Supreme Court in den Jahren 2005 und 2007.Entsprechend dieser Rechtslage hat der Supreme Court im Fall Stoneridge eine kapitalmarktrechtliche Haftung der Zulieferer aufgrund ihrer Stellung als Gehilfen von Charter abgelehnt mit der Feststellung, diese hätten keine Mitteilung an die Aktionäre gemacht, auf die sich die geschädigten Investoren hätten verlassen können. Ihre Mitwirkung an den Geschäften, die zu der Bilanzmanipulation geführt hätten, sei nicht an die Öffentlichkeit kommuniziert worden und daher für eine Haftung nach den kapitalmarktrechtlichen Vorschriften nicht zurechenbar. Eine Haftung der Zulieferer nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen, insbesondere wegen kollusiven Zusammenwirkens, der sogenannten Conspiracy, bleibe von der Ablehnung einer kapitalmarktrechtlichen Haftung unberührt. KomplotthaftungDie Anlegervertreter hatten sowohl im Fall Stoneridge als auch in den gegen die finanzierenden Banken von Enron und Parmalat angestrengten Klagen die Haftung unter anderem auf eine Primärverantwortung der kommerziellen Partner gestützt. Sie argumentierten dabei, dass diese ihrerseits gegenüber den Anlegern täuschende Handlungen im Sinne der Vorschrift begangen hätten. Diese “Tätereigenschaft” ergebe sich aus ihrer Mitwirkung an dem Komplott, die Bilanzkennzahlen von Charter falsch darzustellen. Das Berufungsgericht für den 9. Bezirk in Kalifornien hatte 2006 in der Entscheidung Simpson versus AOL Time Warner dieser Auslegung zugestimmt, soweit das Verhalten des kommerziellen Partners für sich genommen den Zweck und die Wirkung hatte, die Anleger zu täuschen. Dieser Betrachtung erteilte der Supreme Court in der Stoneridge-Entscheidung eine deutliche Absage. Andernfalls würde, so das Gericht, eine unübersehbare Schar in- und möglicherweise auch ausländischer kommerzieller Partner eines Unternehmens, das einen Anlegerbetrug begeht, in das Risiko einer Haftung nach dem US-Kapitalmarktrecht hineingezogen. Abgesehen von ihrer Mitwirkung an einer fragwürdigen Transaktion hätte die Mehrheit dieser Unternehmen keinerlei Verbindung zum US-Kapitalmarktrecht. Hohes RisikoDie Entscheidung schafft Rechtssicherheit für die unübersehbare Gruppe der Handelspartner, die mit börsennotierten US-Unternehmen im Geschäftsverkehr steht. Allein wegen ihrer kommerziellen Beziehung zu einem in den USA gelisteten Unternehmen sind sie Investoren gegenüber nicht haftbar.Amerikanische Gerichte bejahen ihre Zuständigkeit in großzügigem Maße, es genügen sogenannte “Minimum Contacts”. Hierdurch bestünde für ausländische Handelspartner tatsächlich das Risiko, in den USA verklagt zu werden. Sie können allerdings weiterhin von der SEC als Gehilfen des Wertpapierbetrugs strafrechtlich verfolgt werden oder nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Rechts der jeweiligen US-Bundesstaaten haftbar sein. Aufgrund der Entscheidung in Sachen Stoneridge dürfte sich zudem das Haftungsrisiko für Wirtschaftsprüfer und Berater verringern: Ihre Mitwirkung an den Transaktionen begründet für sich genommen keine Haftung nach US-Kapitalmarktrecht.*) Dr. Hermann J. Knott, LL.M. (University of Pennsylvania), ist Rechtsanwalt und Attorney-At-Law (New York). Er ist Partner der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft.