Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Jens-Uwe Hinder

Verbot von Verlustabzug aus gekauften Firmenmänteln könnte fallen

Bundesverfassungsgericht entscheidet über Verfahrensfehler bei Gesetzgebung

Verbot von Verlustabzug aus gekauften Firmenmänteln könnte fallen

– Herr Dr. Hinder, der Gesetzgeber hat dem Kauf von Firmenmänteln zur Nutzung steuerlicher Verlustvorträge in den vergangenen Jahren einen Riegel vorgeschoben. Wie sehen die derzeitigen Regelungen zum Mantelkauf aus? Nach § 8 Abs. 4 KStG soll ein Handel mit Verlusten durch Körperschaften verhindert werden, indem die Abzugsfähigkeit von Verlusten bei einer Körperschaft unter dem Vorbehalt steht, dass die Körperschaft nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich mit der Körperschaft, die den Verlust erlitten hat, identisch ist. – Was heißt das genau?Die rechtliche Identität einer Körperschaft ist so lange gegeben, wie die Körperschaft keinen rechtlichen Veränderungen unterliegt. Von einer wirtschaftlichen Identität ist nach derzeitiger Rechtslage auszugehen, wenn beim Firmenkauf nicht mehr als die Hälfte der Geschäftsanteile übertragen werden und die Kapitalgesellschaft ihren Geschäftsbetrieb nicht mit überwiegend neuem Betriebsvermögen fortführt oder wieder aufnimmt. – Seit wann gilt diese Einschränkung?Diese Voraussetzungen für die Anerkennung einer wirtschaftlichen Identität gelten seit dem Veranlagungszeitraum 1997 und haben in erheblichem Maße den bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Regelungsinhalt des § 8 Abs. 4 KStG verschärft. Bis dahin fehlte es an einer wirtschaftlichen Identität der Kapitalgesellschaft erst dann, wenn mehr als drei Viertel der Geschäftsanteile übertragen worden waren und die Kapitalgesellschaft zeitlich nachfolgend ihren Geschäftsbetrieb mit überwiegend neuem Betriebsvermögen aufnahm. – Gemäß einem Vorlagebeschluss hat der Bundesfinanzhof (BFH) Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Verschärfungen der vergangenen Jahre. Was steckt hinter dieser Entscheidung?In den dem Normenkontrollantrag zugrundeliegenden Verfahren hatte der BFH darüber zu befinden, ob es der Klägerin, einer Kapitalgesellschaft, gestattet sei, Verlustvorträge für die Jahre 2000 bis 2002 unter Berücksichtigung der Regelung des § 8 Abs. 4 KStG geltend zu machen. Der BFH stellte zunächst fest, dass nach der aktuellen Fassung des § 8 Abs. 4 KStG der Klägerin die verbleibenden Verlustvorträge versagt werden müssten. Nach Überzeugung des BFH verstößt die damalige Neuregelung der Vorschrift im Rahmen des Steueränderungsgesetzes von 1997 jedoch gegen den verfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt. Bei den steuerverschärfenden Änderungen des § 8 Abs. 4 KStG, die auf einen damaligen Vorschlag des Vermittlungsausschusses zwischen Bundestag und Bundesrat zurückzuführen sind, sind nach Auffassung des BFH die gesetzgeberischen Grenzen überschritten worden, die den Beschlussempfehlungen des Vermittlungsausschusses gesetzt sind. Für eine verfassungsgemäße Änderung der Vorschrift fehle es an der notwendigen Mitwirkung des Deutschen Bundestages. Folglich sah sich der BFH gezwungen, das Verfahren zunächst auszusetzen, um die Verfassungsmäßigkeit des § 8 Abs. 4 KStG vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) klären zu lassen. – Nimmt das BVerfG auch zu den inhaltlichen Vorgaben der Regelung des § 8 Abs. 4 KStG Stellung? Nein, dazu hat es keine Veranlassung. Das BVerfG wird einzig darüber befinden, ob das damalige gesetzgeberische Änderungsverfahren nicht verfassungsgemäß durchgeführt wurde und die Verschärfungsregelung deshalb nichtig ist. – Bis wann ist mit einer Entscheidung zu rechnen? Eine zeitliche Prognose ist kaum möglich. Derzeit hat das BVerfG noch in einem anderen Fall mit nahezu identischer Rechtslage die Verfassungsmäßigkeit einer durchgeführten Gesetzesänderung zu beurteilen. Das Entscheidungsverfahren wurde schon im Jahre 2001 eingeleitet, jedoch steht eine Entscheidung bis jetzt noch aus. Es bleibt zu hoffen, dass das BVerfG aufgrund der ähnlich gelagerten Sachverhalte in dem aktuellen Verfahren zu einer zeitnahen Entscheidung kommt, sobald es den eben erwähnten “Altfall” entschieden hat. – Welche Optionen haben die Gesellschaften in der Zwischenzeit? Möglichst alle körperschaftsteuerlichen Bescheide, denen ein Sachverhalt zugrunde liegt, bei dem ein Verlustabzug aufgrund der derzeitigen Fassung des § 8 Abs. 4 KStG versagt wurde, sollten bis zu einer abschließenden Klärung der vorgenannten Rechtsfrage seitens des BVerfG offengehalten werden. Sofern das BVerfG die Verfassungswidrigkeit des Zustandekommens der Vorschrift feststellen sollte, wäre eine Versagung des Verlustabzugs bei davon betroffenen Steuerpflichtigen seitens der Finanzverwaltung rückgängig zu machen. Dr. Jens-Uwe Hinder ist Partner der Sozietät Hammonds in Berlin. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.