Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Erich Michel

Verschmelzung über Grenzen hinweg sicherer

Aber großer Spielraum für nationale Gesetzgeber

Verschmelzung über Grenzen hinweg sicherer

– Herr Michel, grenzüberschreitende Verschmelzungen ermöglichen seit Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinie europaweit agierenden Konzernen Einsparpotenzial im Wege der Konzernrestrukturierung. Was sind da die Knackpunkte, wenn man deutsch-französische Transaktionen anschaut?Über das Einsparpotenzial hinaus gibt es speziell bezogen auf französische Tochterunternehmen weitere Gründe, die eine Verschmelzung auf die deutsche Mutter sinnvoll erscheinen lassen. Hier ist vor allem auf die erweiterte Durchgriffshaftung hinzuweisen, durch die die französische Rechtsprechung die Haftungsbeschränkung von französischen Gesellschaften zunehmend aufweicht. Damit fällt aber der wesentliche Grund für eine selbständige Tochter in Frankreich für deutsche Konzerne weg. Demgegenüber bestehen die Nachteile der rechtlichen Selbständigkeit fort. Die Rechnung geht somit für die deutsche Konzernmutter nicht mehr auf.- Verleihen die vereinfachten Möglichkeiten mit der Umsetzung der EU-Richtlinie grenzüberschreitenden Verschmelzungen einen neuen Schub?Das ist nach unserer Erfahrung auf jeden Fall zu bejahen. Zwar waren auch vor der Umsetzung der EU-Verschmelzungsrichtlinie grenzüberschreitende Verschmelzungen faktisch möglich. Dabei ist man mit weitgehender Duldung der deutschen Handelsregister auf andere rechtliche Konstruktionen ausgewichen, die im Ergebnis ebenfalls zu einer Art “Verschmelzung” geführt haben. Die Umsetzung der EU-Richtlinie ermöglicht nun aber rechtssichere Verschmelzungen über EU-Grenzen hinweg. Dies hat bereits zu einem starken Anstieg der Zahl der grenzüberschreitenden Verschmelzungen geführt, auch wenn genaue Zahlen hierzu noch nicht vorliegen.- Die Besonderheit bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen besteht ja darin, dass unterschiedliches Recht auf die beteiligten Rechtsträger Anwendung findet. Was gilt da?Im Grundsatz gilt, dass jeder Mitgliedstaat die rechtlichen Regelungen für die Gesellschaft festlegt, die ihren Sitz in dem betreffenden Mitgliedstaat hat. Das bedeutet, dass bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung von Frankreich nach Deutschland die Verschmelzung für das französische Tochterunternehmen französischem Recht unterliegt und sich für die deutsche Konzernmutter nach deutschem Recht beurteilt. Im Einzelfall offenbart die praktische Umsetzung der neuen Regelungen vor diesem Hintergrund noch viele unbeantwortete Fragen. Dies liegt an dem relativ großen Spielraum, den die Richtlinie dem nationalen Gesetzgeber bei der Ausgestaltung gelassen hat.- Was ist da herausgekommen?Ein bunter Strauß an nationalen Regelungen zum Verschmelzungsverfahren, die im Detail inhaltlich erheblich voneinander abweichen. Bis zur Klärung dieser Punkte durch Gerichte müssen Unklarheiten durch sorgfältige Planung und Strukturierung des Verschmelzungsverfahrens ebenso wie durch eine enge Abstimmung mit dem für die Eintragung der Verschmelzung zuständigen Rechtspfleger aufgefangen werden.- Was bedeutet ein solcher Schritt für Kreditinstitute und Versicherungen im Zusammenhang mit Erleichterungen und möglichen Kosteneinsparungen aufgrund aufsichtsrechtlicher Aspekte?Für Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen bedeutet eine Verschmelzung insbesondere Erleichterungen und Kosteneinsparungen durch den Wegfall der doppelten Aufsichtspflicht. Der sogenannte “europäische Pass” erlaubt es Unternehmen, ohne lokale Zulassung in anderen EU-Staaten tätig zu werden. Für die deutsche Konzernmutter besteht in diesem Fall nur noch eine Berichtspflicht gegenüber der deutschen Aufsichtsbehörde, und das betreffende Unternehmen unterliegt im Wesentlichen nur noch der deutschen Aufsicht. Dadurch können im Ergebnis erhebliche Strukturkosten eingespart werden.—-Dr. Erich Michel ist Partner bei Orrick Hölters & Elsing in Frankfurt.Die Fragen stellte Walther Becker.