Recht und Kapitalmarkt

Verschmelzungsrichtlinie bringt Vorteile zur Europa AG

Zentrale Unterschiede bei der Mitbestimmung - Abwägung nach Art der grenzüberschreitenden Transaktion notwendig

Verschmelzungsrichtlinie bringt Vorteile zur Europa AG

Von Hendrik Kornbichler *) Am 15. Dezember 2005 ist die Richtlinie über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (2005/56/EG) in Kraft getreten. Deren gesetzgeberische Umsetzung für Deutschland steht bevor. Ein Gesetzesentwurf zur Umsetzung der gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen der Richtlinie wurde am 13. Februar 2006 vorgelegt. Mit dem Gesetzesentwurf zur Umsetzung von Artikel 16 der Richtlinie, der die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Fusionen betrifft, ist in Kürze zu rechnen. Bei grenzüberschreitenden Verschmelzungsvorhaben ist die Frage der Mitbestimmung der Arbeitnehmer auf Unternehmensebene bereits deshalb von zentraler Bedeutung, weil auch nach Maßgabe der Verschmelzungsrichtlinie ohne Klärung der Mitbestimmungsfrage keine Eintragung der Verschmelzung in das Handelsregister erfolgen kann. Bereits dies zeigt den maßgeblichen Einfluss des Mitbestimmungsrechts auf Transaktionen im grenzüberschreitenden Bereich. Für Unternehmen stellt sich die weitere Frage, ob Vorteile im Bereich der Mitbestimmung auf Unternehmensebene eher durch eine Cross-Border-Verschmelzung nach der Verschmelzungsrichtlinie oder durch eine Verschmelzung mit dem Konstrukt einer Europäischen Aktiengesellschaft (SE) erzielt werden können.Die Verschmelzungsrichtlinie behandelt die Frage der Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der fusionierten Gesellschaft im Wesentlichen entsprechend der Vorschriften, die auch bei Schaffung einer SE gelten: Die Prinzipien der “Sicherung erworbener Rechte” und die “Vorher-Nachher-Betrachtung” denen zufolge bei Nicht-Einigung das Mitbestimmungssystem Anwendung findet, welches das höchste Mitbestimmungsniveau garantiert, gelten in beiden Fällen. Deshalb kann es – ebenso wie bei der SE – zum “Import” des höchsten Mitbestimmungsregimes in die aus der Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft kommen. “Nulllösung”Ein Gleichlauf zwischen der Verschmelzungsrichtlinie und den Vorschriften der SE lässt sich auch beim so genannten “Vorrang der Verhandlungslösung” feststellen. Die europäischen Vorschriften setzen darauf, dass durch Einigung zwischen Unternehmensleitung und Arbeitnehmerseite eine Regelung zur Mitbestimmung getroffen wird. Dabei sind aber Unterschiede zwischen beiden Durchführungswegen festzustellen: Bei der SE kann die Arbeitnehmerseite mit Zwei-Drittel-Mehrheit beschließen, keine Verhandlungen aufzunehmen oder bereits begonnene Verhandlungen abzubrechen. Dies führt dann im Verschmelzungsszenario zu einer mitbestimmungsrechtlichen “Nulllösung”, das heißt eine Unternehmensmitbestimmung auf Ebene der SE findet nicht statt. Dagegen sieht die Verschmelzungsrichtlinie vor, dass in beiden Fällen, also bei Nicht-Eröffnung von Verhandlungen oder Abbruch derselben, zumindest die Mitbestimmungsregelung angewandt wird, die im Mitgliedsstaat der aus der Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft gilt. Die diesbezüglichen Unterschiede zwischen beiden Konstrukten dürften allerdings in der Praxis kaum relevant werden.Interessanter erscheint der Unterschied beim zeitlichen Ablauf der Verhandlungen zur Mitbestimmung: Während sich die Verhandlungen bei der SE über mindestens sechs Monaten erstrecken können bis eine “Auffangregelung” zur Mitbestimmung eingreift, gestattet die Verschmelzungsrichtlinie den Firmen allein zu entscheiden, ob die Auffangregelung sogleich, also ohne vorhergehende Verhandlung mit der Arbeitnehmerseite, gelten soll. Damit kann das Verfahren erheblich beschleunigt werden.Auch das Eingreifen der “Auffangregelung” zur Mitbestimmung selbst ist an unterschiedliche Voraussetzungen gekoppelt: Während bei der SE das höchste Mitbestimmungsregime im Wege dieser Auffangregelung bereits dann zu Anwendung kommt, wenn mindestens 25 % der Gesamtzahl der Arbeitnehmer der an der Fusion beteiligten Gesellschaften irgendeinem Mitbestimmungsregime unterliegen, beträgt dieser Schwellenwert bei der Verschmelzungsrichtlinie 33 1/3 %. Entsprechend kann sich beispielsweise die paritätische Mitbestimmung bei einem “Hinausverschmelzen” aus Deutschland dann nicht durchsetzen, wenn nicht mindestens 33 1/3% der Gesamtbelegschaft der fusionierten Gesellschaft irgendeiner Mitbestimmung unterlagen. “Hineinverschmelzen”Nichts anderes dürfte im umgekehrten Fall, also bei einem “Hineinverschmelzen” nach Deutschland gelten. Das deutsche Ausführungsgesetz wird insoweit klarzustellen haben, dass die Regelungen zur grenzüberschreitenden Verschmelzung den deutschen Mitbestimmungsgesetzen vorgehen. Damit unterläge dann auch eine deutsche AG oder GmbH bei entsprechendem Zahlenverhältnis bei mehr als 66 2/3 % der ausländischen Arbeitnehmer ohne Mitbestimmungsregime, weder der paritätischen noch einer sonstigen Mitbestimmung – auch wenn die deutsche Gesellschaft zuvor mitbestimmt war. Bemerkenswert ist weiterhin, dass die Verschmelzungsrichtlinie den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit eröffnet, den Anteil der Arbeitnehmervertreter im Verwaltungsorgan der aus der Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft zu begrenzen. Dabei darf eine Drittelparität nicht unterschritten werden, wenn diese bereits zuvor vorhanden war (Vorher-Nachher-Prinzip). Die Verschmelzungsrichtlinie scheint diese Möglichkeit allerdings nur den Mitgliedstaaten einzuräumen, in denen die Mitbestimmung im so genannte monistischen System stattfindet (Verwaltungsrat). Da Deutschland vom dualistischen System geprägt ist (Verwaltungs- und Aufsichtsorgan), wird der deutsche Gesetzgeber – unabhängig davon, ob dies politisch überhaupt durchsetzbar wäre – von dieser Option keinen Gebrauch machen können.Neben den genannten Vorteilen der Verschmelzungsrichtlinie, sind auch Nachteile gegenüber der SE-Konstruktion festzustellen: Zum einen sieht die Verschmelzungsrichtlinie eine Zementierung der Mitbestimmung in der neuen Gesellschaft für die Dauer von drei Jahren vor. Dies erschwert weitere Umstrukturierungen. Eine derartige Strenge findet sich in den Vorschriften zur SE nicht. Von Bedeutung ist schließlich die Frage, ob anlässlich einer grenzüberschreitenden Verschmelzung eine Verkleinerung der mitbestimmten Gremien unter die Mindeststandards des deutschen Mitbestimmungsgesetzes möglich ist. Kann beispielsweise ein Aufsichtsrat in Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 000 Arbeitnehmern an Stelle der im Mitbestimmungsgesetz vorgeschriebenen 20 Aufsichtsratsmitglieder in Zukunft nur noch 12 Mitglieder haben? Unter dem Regime der SE ist dies unproblematisch möglich. Bei einem “Hineinverschmelzen” auf eine deutsche Kapitalgesellschaft bliebe es eigentlich auch bei der Relevanz der deutschen Mitbestimmungsgesetze. Eine Verkleinerung der Gremiengröße käme dann nicht in Betracht. Kleinere AufsichtsräteDer deutsche Gesetzgeber ist allerdings aufgefordert, hier den Gedanken der Verschmelzungsrichtlinie – ebenso wie bei der SE – konsequent umzusetzen. Die Richtlinie beinhaltet ein eigenes System der Unternehmensmitbestimmung und muss daher deutschen Mitbestimmungsgesetzen vorgehen. Deshalb sollte es auch bei Cross-Border-Fusionen nach der Verschmelzungsrichtlinie möglich sein, Aufsichtsratsgremien zu verkleinern und die damit verbundenen Vorteile zu nutzen.Die mitbestimmungsrechtlichen Vor- und Nachteile des jeweiligen Durchführungswegs sind deshalb für die jeweilige Transaktion gesondert zu betrachten und zu bewerten. Bis zur wirksamen Umsetzung der Verschmelzungsrichtlinie, mit der zur Jahreswende zu rechnen ist, müssen Unternehmen bei Transaktionsvorhaben darüber hinaus die so genannte Sevic-Entscheidung des EuGH ins Kalkül einbeziehen. Danach sollen bereits jetzt grenzüberschreitende Zusammenschlüsse auch ohne Schaffung einer SE möglich sein. Hierdurch könnten ebenfalls mitbestimmungsrechtliche Vorteile erzielt werden.*) Dr. Hendrik Kornbichler ist Partner und Arbeitsrechtler im Münchner Büro der Sozietät Lovells.