Recht und Kapitalmarkt

Verstaatlichung systemrelevanter Banken gut begründet

Enteignung nach dem Rettungsübernahmegesetz garantiert hohe Transaktionssicherheit - Reformdiskussion noch am Anfang

Verstaatlichung systemrelevanter Banken gut begründet

Von Daniel Annoff *)”Der Staat bleibt auch in der Krise handlungsfähig!” Diese Botschaft wollen Regierung und Parlament mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz (FMStG) und dem Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz (FMStErgG) an Finanzunternehmen sowie Anleger senden. Beide Gesetze sind unter dem Eindruck krisenhafter Zuspitzung und unter enormem Zeitdruck entstanden. Zu Beginn der Finanzkrise hatte die Bundesregierung zunächst auf die selbstheilenden Kräfte des Marktes gesetzt. Nach dem Bankrott von Lehman Brothers war der politische Handlungsdruck auch in Deutschland so groß, dass ein Eingriff zur Rettung einzelner Finanzmarktteilnehmer unausweichlich wurde.Das FMStG war die Reaktion des Gesetzgebers auf den Zusammenbruch des weltweiten Interbankenhandels infolge des Lehman-Bankrotts. Das FMStG stand ganz im Zeichen der Überwindung dieser Liquiditätsengpässe. Bis zum 9. April 2009 haben sieben deutsche Banken (HRE, BayernLB, HSH Nord, Commerzbank, VW Bank, IKB, Aareal) vom neuen Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (Soffin) Garantie- (133 Mrd. Euro) und Rekapitalisierungsleistungen (19 Mrd. Euro) erhalten.Sorgenkind unter den deutschen Finanzunternehmen bleibt die Hypo Real Estate (HRE). Der Münchener Finanzkonzern war infolge milliardenschwerer Abschreibungen bei seiner irischen Tochter Depfa in die Schieflage geraten. Insgesamt hat der Bund bisher Garantie- und Kapitalleistungen von etwa 102 Mrd. Euro übernommen. Ohne staatliche Hilfe wäre die HRE dem Vernehmen nach insolvent wegen Überschuldung. Bei einem Industrieunternehmen wäre die Insolvenz als Quittung für Missmanagement eine angemessene Folge. Nach Richtlinien der BaFin zählt die HRE jedoch zu den Banken mit hoher Systemrelevanz. Die HRE hat eine Bilanzsumme von 400 Mrd. Euro mit 15 % Anteil am deutschen Pfandbriefmarkt und 100 Mrd. ungesicherten Verbindlichkeiten, insbesondere bei Renten-, Sozialversicherungen und Kirchenkassen. Eine Insolvenz der HRE kann sich der Staat daher nicht erlauben. Dies wäre der deutsche Fall Lehman.Auch eine Sanierung im Rahmen der Insolvenzordnung (übertragende Sanierung, Insolvenzplan) hilft nicht weiter. Wie Lehman gezeigt hat, konnte ein Ausverkauf den systemischen Schaden im Finanzsystem nicht beheben; ein Insolvenzplan ist für eine zügige Sanierung zu komplex und zeitintensiv. Systemische FolgenUnd eine kurzfristige Reform zur Einführung eines Sanierungsverfahrens à la Chapter 11 nach US-Recht? Hier ist ebenso Skepsis angesagt. Chapter 11 hat Wertvernichtungen mit systemischen Folgen nicht verhindert. Zudem würde ein solches Verfahren bei Eröffnung automatisch zur Fälligkeit zahlreicher langfristiger internationaler Finanzverträge mit einer sofortigen enormen Schuldenlast führen.Und anders als Großbritannien, das nach anderthalb Jahren Gesetzesarbeit im Februar den Banking Act 2009 erlassen hat, steht die Reformdiskussion hierzulande noch am Anfang. Das Bundesjustizministerium bevorzugt ein am Insolvenzplan orientiertes Verfahren, das Bundeswirtschaftsministerium hat ein Verwaltungsverfahren mit einer Art Staatskommissar ins Spiel gebracht. Mittel- und langfristig scheint es in jedem Fall lohnend, die Mittel zur Bewältigung von Bankenkrisen auf eine moderne rechtliche Grundlage zu stellen.Bei der HRE steht der Staat aber unter kurzfristigem Handlungszwang. Für eine Sanierung ist ein Staatseinstieg über den Erwerb von Anteilen selbst in Höhe einer satzungsändernden Mehrheit nicht ausreichend. Denn private Minderheitsaktionäre könnten sich vom öffentlichen Mehrheitsaktionär, für den eine Insolvenz keine Option ist, ihre Zustimmung zu notwendigen Sanierungsmaßnahmen mit grob marktwidrigen Sonderzahlungen abkaufen lassen. Dies könnte zu einem ähnlichen Problem führen, wie es von den sogenannten räuberischen Aktionären bekannt ist.Die Zeit ist jedoch knapp. Und erst bei 100 % würden sich die Refinanzierungskosten ganz erheblich verringern, was für den Steuerzahler weniger belastend wäre. Der Staat benötigt für eine Rettung der HRE also zwingend die uneingeschränkte Kontrolle über die Bank. Die Erlangung von 100 % der Aktien war schon vor FMStG und FMStErgG nach herkömmlichem Aktien- und Übernahmerecht möglich. Das FMStG hat als privates Sonderrecht zugunsten des Bundes Vereinfachungen für notwendige Kapitalmaßnahmen eingeführt. Allerdings nicht beschränkt auf die HRE, sondern allgemein in Bezug auf systemrelevante Banken. Doppelte StrategieDas FMStErgG verfolgt nun eine doppelte Strategie zur Bankenverstaatlichung. Zum einen sieht es weitere Vereinfachungen im Aktien- und Übernahmerecht vor. Zum anderen hat es die ideologisch (Marktwirtschaft vs. Verstaatlichung) wie politisch (Wahlchancen, Einbeziehung von Landesbanken) hoch umstrittene Möglichkeit zu einer Enteignung der Minderheitsaktionäre geschaffen.Der erste Weg, den der Bund im Fall HRE mit dem Übernahmeangebot vom 9. April eingeschlagen hat, garantiert jedoch auch mit den Vereinfachungen des FMStErgG nicht die für eine erfolgreiche Sanierung unerlässliche Transaktions- und Rechtssicherheit. Zwar wird dem “Erpressungspotenzial” von Minderheitsaktionären mit der Präzisierung ihrer Treuepflicht begegnet (Schadenersatz bei treuwidriger Zustimmungsversagung oder unbegründeten Rechtsmitteln); es verbleiben aber Anfechtungsrisiken bei Auskunftsmängeln.Und: Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Ausschluss von Minderheitsaktionären (Inhalts- und Schrankenbestimmung des Art. 14 Grundgesetz) ist offen, ob das neue Sonderrecht zugunsten des Bundes, mit dem dieser eine Beteiligung von einem Drittel auszuschließen vermag, nicht für eine verfassungswidrige Enteignung durch die Hintertür gehalten würde.Ein Vergleich mit dem Rechtsstreit um Northern Rock in England (Februar 2009) trägt nur bedingt, da es dort nur um die Höhe der Aktionärsentschädigung ging und das englische Recht weniger komplizierte verfassungsrechtliche Vorgaben kennt.Demgegenüber weist der zweite Weg, die Enteignung nach dem Rettungsübernahmegesetz, eine hohe Transaktionssicherheit auf. Würde der Bund auf dieser Grundlage die Verstaatlichung einer systemrelevanten Bank anstreben, wäre den Anforderungen nach Artikel 14 Grundgesetz allerdings auch im Einzelfall zu genügen. Sichergestellt werden müsste zum einen die Reprivatisierung an die ausgeschlossenen Aktionäre nach Sanierung; zum anderen müsste die Aktionärsentschädigung unter Beachtung der Besonderheiten des Handels in Aktien insolventer Emittenten sorgsam festgesetzt werden.Quintessenz bleibt indes: Als Ultima Ratio ist die Enteignung von Bankaktionären zur Finanzmarktstabilisierung grundsätzlich zulässig. Denn das Rettungsübernahmegesetz genügt den Anforderungen des Art. 14 Grundgesetz an die Verhältnismäßigkeit, weil – außer dem ausdrücklich vorgesehenen aktien- und übernahmerechtlichen Weg – keine ebenso geeigneten Maßnahmen zur Verstaatlichung einer systemrelevanten Bank bestehen. Über die Verfassungsmäßigkeit einer konkreten Enteignung entscheiden aber jeweils die Umstände des Einzelfalls.—-*) Daniel Annoff ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg.