RECHT UND KAPITALMARKT

Vertrieb von Coco-Bonds an Private umstritten

Im BaFin-Journal geäußerte Rechtsauffassung kein Substitut für Produktverbot nach Londoner Vorbild - "May pay" bringt es auf den Punkt

Vertrieb von Coco-Bonds an Private umstritten

Von Kai Schaffelhuber *)Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vertritt offenbar die Auffassung, dass Contingent Convertible Bonds (Coco-Bonds) sich aufgrund ihrer komplexen Struktur und schwierigen Bewertung sowie des potenziellen Interessenkonflikts auf Bankenseite nicht für aktiven Vertrieb an Privatkunden eignen, und äußert erhebliche Zweifel, ob sie überhaupt ein geeignetes Anlageprodukt für Private darstellen (BaFin-Journal 10/2014).Die britische Financial Conduct Authority (FCA) hat Emission und Vertrieb an Privatanleger zunächst für ein Jahr bis zum 1. Oktober 2015 untersagt und im Hinblick auf ein dauerhaftes Verbot das Anhörungsverfahren eingeleitet, weil Coco-Bonds hoch komplex seien und Risiken mit sich brächten, deren Bewertung, Modellierung und Bepreisung außerordentlich schwierig seien. Das Verbot der FCA erstreckt sich auch auf den Vertrieb von Fonds, die in Coco-Bonds investieren. Frage der KernkapitalquoteCoco-Bonds im Sinne des Basel-III/CRD-IV-Regimes sind als bankaufsichtsrechtliches Eigenkapital in der Form von zusätzlichem Kernkapital anerkannte, tief nachrangige ewige Anleihen ohne Tilgungsanreize, die bei Eintritt eines Auslöseereignisses in handelsrechtliches Eigenkapital – das bankaufsichtsrechtlich hartes Kernkapital ist – gewandelt werden. Dies erfolgt entweder durch Wandlung in eigentliche Eigenkapitalinstrumente – insbesondere Aktien (es handelt sich dann um bedingte Pflichtwandelanleihen) – oder durch dauerhafte oder vorübergehende Herunterschreibung ihres Nennwerts; dann handelt sich um Write-down/Write-up Securities.In letzterem Fall wird durch Entnahme aus dem Kapital des Coco-Bonds ein Ertrag erzielt, der etwa durch Reduzierung eines entstandenen Bilanzverlusts das handelsrechtliche Eigenkapital stärkt. Von den in Deutschland nach früherem Recht unter dem Kreditwesengesetz seit langem als bankaufsichtsrechtliche Eigenkapitalinstrumente anerkannten Write-down/Write-up Securities in Form von nachrangigen Genussrechten und zu Vertriebszwecken in Schuldverschreibungen “verpackten” stillen Beteiligungen unterscheiden sie sich ganz maßgeblich dadurch, dass die Wandlung beziehungsweise Herabsetzung des Nennwerts primär nicht an die Entstehung eines Bilanzverlusts, sondern an ein Herabsinken der aufsichtsrechtlichen Kernkapitalquote unter einen Wert von mindestens 5,125 % anknüpft. Auch nach freiem BeliebenZudem kann die Emittentin Zinszahlungen nicht nur ausfallen lassen, wenn ansonsten ein Bilanzverlust einträte, sondern auch nach freiem Belieben. Da auch eine Verknüpfung mit der Dividendenzahlung durch Dividend Pusher oder Dividend Stopper aufsichtsrechtlich unzulässig ist, kann die Emittentin Zinszahlungen sogar ausfallen lassen, wenn sie Dividende zahlt. Letzteres gilt auch für die Entscheidung über die Wiederauffüllung eines aufgrund einer Heranziehung zur Verlustdeckung heruntergesetzten Nennbetrags. Ob die Aufnahme einer zusätzlichen Wandlungsoption der Inhaber vor Eintritt der bedingten Pflichtwandlung – die das Instrument aus Investorensicht attraktiver machen würde – aufsichtsrechtlich zulässig ist, das heißt für den Zeitraum vor Eintritt der Wandlung die Anerkennung als zusätzliches Kernkapital nicht hindert, ist noch ungeklärt.Es handelt sich demnach rechtlich betrachtet um reine “May pay”-Instrumente, bei denen der Investor der Emittentin vollständig ausgeliefert ist: Diese zahlt allein aus Gründen ihrer Reputation und künftigen Kapitalmarktfähigkeit. Dies sollte allerdings in der Praxis, außerhalb von Situationen, in denen die Aufrechterhaltung der Kapitalmarktfähigkeit keine maßgebliche Rolle mehr spielt, durchaus reichen, um Investoren vor willkürlichen Entscheidungen der Emittentin zu schützen.Zudem steht tendenziell auch nicht zu erwarten, dass die Aufsicht die Emittentin zum Entfallenlassen von Zinszahlungen oder zur Nichtwiederauffüllung eines durch Heranziehung zur Verlustdeckung herabgesetzten Nennbetrags anweist, wenn dafür nicht ein nachvollziehbarer Grund in Form einer niedrigen Kernkapitalquote besteht. Derartiges Verhalten der Aufsicht würde sich auf den Markt für bankaufsichtsrechtliche Eigenkapitalinstrumente nachteilig auswirken und daher der nachhaltigen Verfolgung und dem Erreichen der Aufsichtsziele entgegenstehen. Dass eine Emittentin trotz Zahlung einer Dividende an die Aktionäre die Zinszahlung auf Coco-Bonds ausfallen lässt, sollte daher eher kein praktisch relevantes Szenario sein.Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach dem sachlichen Grund für die angeblich mangelnde Eignung der Instrumente für Privatkunden. Im Hinblick auf den in der Vergangenheit durchaus üblichen öffentlichen Vertrieb von Write-down/Write-up Securities in Form von nachrangigen Genussrechten und zu Vertriebszwecken in Schuldverschreibungen “verpackten” stillen Beteiligungen wurden vergleichbare Bedenken nämlich, soweit ersichtlich, niemals angemeldet. Die Frage ist: Trägt die Tatsache, dass Zinszahlungen sowie die Wiederauffüllung eines aufgrund Heranziehung zur Verlustdeckung heruntergesetzten Nennbetrags nicht mehr ausschließlich von dem objektiven Kriterium der Entstehung eines Bilanzverlusts beziehungsweise des Vorhandenseins eines Bilanzgewinns abhängen, die pauschale Einordnung als für Privatanleger ungeeignet, wenn doch die faktischen Bindungen im praktischen Ergebnis regelmäßig auf das Gleiche hinauslaufen? Auch gegen Aktien?Letztlich müssten die gegen den Vertrieb von Coco-Bonds vorgebrachten Bedenken dann doch in gleicher Weise auch gegen den Vertrieb von Aktien eines Kreditinstituts sprechen. Dass die Tatsache des Vertriebs der Instrumente an eigene Privatkunden der Emittentin – aufgrund der bei diesen Kunden geweckten Erwartungen – diese von der Ausübung der ihr nach den Emissionsbedingungen zustehenden Rechte abhalten und dadurch die Ermessensausübung in einer für die Anerkennung als bankaufsichtsrechtliches Eigenkapital schädlichen Weise beeinflussen könnte, wird man jedenfalls schon im Hinblick auf die in Frage stehenden Volumina regelmäßig eher nicht annehmen können.Was bedeutet nun aber die von der BaFin doch recht pauschal behauptete mangelnde Geeignetheit von Coco-Bonds für Privatkunden für deren Vertrieb? Begründet sie gar regelmäßig zivilrechtliche Rückabwicklungsansprüche des Kunden unter dem Gesichtspunkt des Schadenersatzes, die im praktischen Ergebnis die Anerkennung als bankaufsichtsrechtliches Eigenkapitalinstrument hindern? Da die Geeignetheit sich nach dem Gesetz ausschließlich danach beurteilt, ob das konkrete Geschäft, das dem Kunden empfohlen wird, den Anlagezielen des betreffenden Kunden entspricht, die hieraus erwachsenden Anlagerisiken für den Kunden tragbar sind und der Kunde mit seinen Kenntnissen und Erfahrungen die hieraus erwachsenden Anlagerisiken verstehen kann (§ 31 Abs. 4 Satz 2 WpHG), wird man das nicht ernsthaft behaupten können. Schwierig zu bewertenAuf die quantitativen Elemente der Bewertung, Modellierung und Bepreisung der Risiken durch den Anleger kommt es danach sowieso nicht an. Coco-Bonds sind definitiv schwierig zu bewerten, wohingegen von einer komplexen Produktstruktur – die die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Privatinvestors übersteigt – nicht ernsthaft die Rede sein kann: “May pay” bringt es auf den Punkt.Eine im BaFin-Journal geäußerte Rechtsauffassung ist jedenfalls kein geeignetes Substitut für ein Produktverbot nach dem Vorbild der FCA. Dass eine korrekte Risikoaufklärung erforderlich ist und – beim Vertrieb durch die Emittentin selbst (dazu etwa ESMA/EBA/EIOPA, Placement of financial instruments with depositors, retail investors and policy holders vom 31. Juli 2014, JC 2014) – Herausforderungen an das Management von Interessenkonflikten bestehen, ist eine ganz andere Frage.—-*) Kai A. Schaffelhuber ist Partner bei Allen & Overy in Frankfurt.