RECHT UND KAPITALMARKT

Von der Kurzarbeit in die Restrukturierung

Unternehmen müssen bei Notwendigkeit eines Personalabbaus vielfältige arbeitsrechtliche Vorgaben beachten

Von der Kurzarbeit in die Restrukturierung

Von Timon Grau und Hermann Rasche *)Im Zuge der Covid-19-Krise setzen viele Unternehmen auf das Instrument der Kurzarbeit, um den geringeren Beschäftigungsbedarf zu überbrücken. Wie viele Arbeitsplätze hierdurch bisher effektiv erhalten werden konnten, ist statistisch zwar nicht erfasst und muss sich noch zeigen. Berücksichtigt man, dass laut aktuellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) von Anfang März bis Ende Juli 2020 bundesweit mehr als 895 000 Kurzarbeit-Anzeigen für fast 12,4 Mill. Arbeitnehmer bei den Arbeitsagenturen eingegangen sind, lässt sich die ungefähre Dimension zumindest erahnen. Gleichzeitig mehren sich die Fälle, in denen eine bloße Überbrückung trotz der aktuellen politischen Bestrebungen um eine erneute Ausweitung der Regelungen zur Kurzarbeit der schwierigen wirtschaftlichen Lage und der ungewissen Aussichten nicht mehr ausreichend Rechnung trägt.Richtet man den Blick auf die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts, wird schnell deutlich, dass das dicke Ende noch bevorstehen dürfte: Bereits im ersten Quartal 2020 ist es um 2 % abgerutscht, im zweiten Quartal dann laut Statistischem Bundesamt um fast 10 %. Für das Gesamtjahr 2020 wird ein Minus zwischen 5 und 8 % prognostiziert. Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich für viele Unternehmen die Existenzfrage. So sieht laut aktuellen Umfragen ein gutes Fünftel der deutschen Unternehmen das Überleben durch die Covid-19-Krise als gefährdet. Damit stehen Restrukturierungsplanungen derzeit bei vielen Unternehmen auf der Tagesordnung.Für Unternehmen, die Kurzarbeit eingeführt haben, stellen sich eine Reihe von Fragen, wenn sich parallel dazu die Notwendigkeit eines Personalabbaus ergibt. Insbesondere gelten für die Gewährung von Kurzarbeitergeld durch die BA einerseits und für die Rechtfertigung betriebsbedingter Kündigungen andererseits teils gegenläufige Voraussetzungen: So ist Kurzarbeit ein Instrument, das im Interesse des Arbeitsplatzerhalts einen vorübergehenden Arbeitsmangel überbrücken soll. Dementsprechend muss das Unternehmen begründen, warum der Arbeitsausfall lediglich vorübergehender Natur und danach mit einer Rückkehr zur Vollarbeit zu rechnen ist. SpannungsverhältnisBetriebsbedingte Kündigungen setzen hingegen immer voraus, dass der Beschäftigungsbedarf für die betroffenen Arbeitnehmer mit Ablauf der Kündigungsfrist auf Dauer entfällt. Dadurch ergibt sich ein Spannungsfeld, etwa im Hinblick darauf, bis zu welchem Stadium bei Restrukturierungsplanungen der Einsatz von Kurzarbeit möglich bleibt. Ferner stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen bei eingeführter Kurzarbeit auf betriebsbedingte Kündigungen umgeschwenkt werden kann.Der Bezug von Kurzarbeitergeld setzt unter anderem voraus, dass während der gesamten Bezugsdauer ein nur vorübergehender Arbeitsausfall vorliegt. Maßgeblicher Prognosezeitpunkt ist der Erlass des Anerkennungsbescheids durch die BA. Ändern sich die maßgeblichen Umstände wesentlich, kann die BA den Anerkennungsbescheid für die Zukunft aufheben. Damit ist noch nicht geklärt, ab welchem Stadium sich Planungen für einen Personalabbau derart verdichtet haben, dass nunmehr von einem dauerhaften Arbeitsausfall auszugehen ist. Laut den einschlägigen Weisungen der BA ist der Punkt, an dem die Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld entfallen, grundsätzlich erst erreicht, wenn der Arbeitgeber die unternehmerische Entscheidung zum Personalabbau final getroffen hat und bereits konkrete Umsetzungsschritte (z. B. der Ausspruch von Kündigungen oder der Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste) vorgenommen hat.Diese Sichtweise ist konsequent, weil in Betrieben mit Betriebsrat erst nach Abschluss des Interessenausgleichsverfahrens abschließend feststeht, welche Gestalt und Auswirkungen die beabsichtigte Betriebsänderung hat. Dennoch ist in der Praxis Vorsicht angezeigt, weil diese Prämissen nicht abschließend geklärt sind. So finden sich auch Stimmen, nach denen bereits eine finale Entscheidung des Arbeitgebers über einen “arbeitsmarktpolitisch relevanten” Personalabbau die Gewährung von Kurzarbeitergeld ausschließen kann. Vom Bundessozialgericht entschieden wurde dies für einen Fall, in dem der Aufsichtsrat eines Unternehmens die endgültige Betriebsstilllegung bereits beschlossen hatte.Festhalten lässt sich danach, dass eine sich abzeichnende Betriebseinschränkung mit Personalabbau nicht unmittelbar zum Wegfall der Voraussetzungen für das Kurzarbeitergeld führt. Vielmehr ist der Wegfall entweder an konkrete arbeitsrechtliche Umsetzungsschritte oder zumindest an das Vorliegen einer unternehmerischen Entscheidung geknüpft, den Betrieb zu schließen oder aber so einzuschränken, dass ein erheblicher Teil der Arbeitsplätze definitiv verloren gehen wird. Unternehmen sollten daher prüfen, zu welchem Zeitpunkt im Verlauf der oftmals komplexen Restrukturierungsüberlegungen eine Entscheidung sinnvollerweise getroffen werden kann. Im Zweifel sollte im Zusammenhang mit dem Kurzarbeitergeld rechtzeitig Rücksprache mit der BA genommen werden. Kündigungshindernis?Nicht weniger problembehaftet ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber tatsächlich Personal abbauen kann, nachdem Kurzarbeit eingeführt wurde. Unkritisch ist der Fall, wenn sich Kurzarbeit und Restrukturierung auf verschiedene Betriebe oder abgrenzbare Betriebsabteilungen beziehen. Denn hier lassen sich regelmäßig die Ursachen für den Arbeitsausfall und damit die jeweiligen Begründungen für Kurzarbeit und Kündigungen abgrenzen. Komplizierter wird es, wenn der Arbeitgeber feststellt, dass anstelle der Kurzarbeit eine dauerhafte Verringerung der Personalkapazität nötig ist. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts soll die eingeführte Kurzarbeit einen nur vorübergehenden Arbeitsmangel indizieren, der keine Kündigungen begründet.Um diese Indizwirkung zu entkräften, muss der Arbeitgeber ein Restrukturierungskonzept entwickeln, aus dem hervorgeht, aufgrund welcher Umstände sich die ursprüngliche Prognose einer bloß vorübergehenden Beschäftigungsdelle in einen dauerhaften Wegfall des Beschäftigungsbedarfs gewandelt hat. Hierbei muss gleichzeitig darauf geachtet werden, dass nicht durch die kündigungsrechtliche Begründung den Voraussetzungen für das bereits erhaltene Kurzarbeitergeld nachträglich der Boden entzogen wird, um ein Rückforderungsrisiko zu vermeiden. Um die erforderliche Abgrenzung sicherzustellen, bietet es sich regelmäßig an, die ins Auge gefasste Restrukturierung auf neue unternehmerische Gestaltungsentscheidungen zu stützen, die nicht Gegenstand der Kurzarbeitsbegründung waren.Als weiterer Hemmschuh für eine Restrukturierung können sich z. B. Betriebsvereinbarungen zur Einführung von Kurzarbeit erweisen. Nicht selten wurden solche Vereinbarungen mit Beginn der Covid-19-Krise mit heißer Nadel gestrickt und enthalten Zugeständnisse an die Arbeitnehmer bis hin zum temporären Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen. Gegebenenfalls muss der Arbeitgeber die Kurzarbeit in einem solchen Fall erst beenden, um solche Einschränkungen zu Fall zu bringen. Vorher empfehlen sich aber Verhandlungen mit dem Betriebsrat.Nach dem kürzlich bekannt gewordenen Konzept des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales soll die Aufstockung des Kurzarbeitergeldes und die Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge bis März 2022 verlängert werden. Zudem soll die Höchstbezugsdauer des Kurzarbeitergeldes von zwölf auf 24 Monate verlängert werden. Es ist zu wünschen, dass der Arbeitsmarkt hierdurch weiterhin entlastet werden kann, wenngleich sich in vielen Branchen die Anzeichen verdichten, dass unumgängliche Personalanpassungen hierdurch bestenfalls hinausgezögert werden. Damit werden sich viele Unternehmen mit dem Spannungsverhältnis zwischen Kurzarbeit und Restrukturierung auf kurz oder lang auseinandersetzen müssen. *) Dr. Timon Grau ist Partner, Hermann Rasche ist Associate im Arbeitsrechtsteam von Linklaters.