Recht und Kapitalmarkt

Vorstoß zum Leerverkaufsverbot nicht praxisgerecht

Pläne des deutschen Gesetzgebers sind undifferenziert und wirken womöglich kontraproduktiv - Allenfalls kurzfristige Signale

Vorstoß zum Leerverkaufsverbot nicht praxisgerecht

Von Jochen Kindermann und Petra Brenner *)Die Märkte reagierten weltweit überrascht bis geschockt, als die BaFin Anfang vergangener Woche ein Verbot für bestimmte ungedeckte Leerverkäufe aussprach. Statt der erwünschten Beruhigung der Märkte folgten weitere Marktturbulenzen. Dabei hatte das Bundesministerium der Finanzen (BMF) erst Anfang Mai mit weitreichenden Vorschlägen auf die anhaltende – meist überzogene – Kritik an Leerverkäufen reagiert und einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt, den es gestern nochmals umfassend ergänzt hat. Gemessen an den Zielen – Stabilität des Finanzmarkts und Schaffung von Transparenz zur Identifizierung möglicher Risiken durch Leerverkäufe – sind die Vorschläge weder zielführend noch praxisgerecht. Reißleine gezogenVor dem Hintergrund der finanziellen Misere Griechenlands und der angespannten Finanzlage weiterer EU-Länder hat das BMF am 19. Mai 2010 die Reißleine gezogen. Mittels Allgemeinverfügung untersagte die BaFin ungedeckte Leerverkäufe in Schuldtiteln von EU-Mitgliedstaaten der Eurozone sowie bestimmte Transaktionen in Credit Default Swaps (CDS). Zeitgleich erneuerte die BaFin das Verbot ungedeckter Leerverkäufe in Aktien bestimmter Finanztitel.Die Allgemeinverfügungen der BaFin greifen damit einem vom BMF Anfang Mai veröffentlichten Diskussionsentwurf vor. Das BMF hat dazu letzte Woche einen eigenständigen Gesetzentwurf mit diversen Ergänzungen vorgelegt, zu denen die Marktteilnehmer bis morgen Stellung nehmen können.Neben den in den Allgemeinverfügungen der BaFin enthaltenen Regelungen zu Schuldtiteln und Kreditderivaten erstreckt sich das Verbot nach dem Entwurf im Wesentlichen auf sämtliche im regulierten Markt einer inländischen Börse gelisteten Aktien oder Schuldtitel. Ebenso werden Derivate auf derartige Wertpapiere neuerdings erfasst. Der Entwurf sieht auch Verbote ungedeckter Transaktionen in bestimmten Währungsderivaten vor, deren Wert sich unmittelbar oder mittelbar vom Devisenpreis des Euro ableitet, wenn sie nicht der Absicherung eigener Währungsrisiken dienen. Weiterhin sollen auch Geschäftsabschlüsse im Ausland erfasst werden, wenn sie die vorgenannten Werte betreffen. Mit diesen Änderungen würde sich der Anwendungsbereich der Leerverkaufsverbote signifikant ausweiten. Auch soll es der BaFin künftig gestattet sein, Anordnungen zur Sicherung des Finanzsystems treffen zu können sowie den Handel in Finanzinstrumenten vorübergehend zu untersagen.Das Verbot ungedeckter Leerverkäufe in Aktien bestimmter Finanztitel ist für Marktteilnehmer nicht neu. Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf ist abzusehen, dass es sich zukünftig im Wesentlichen auf alle inländischen im regulierten Markt gelisteten Aktien und Schuldtitel erstrecken wird. Für die Märkte überraschend kamen jedoch die Erstreckung des Verbots auf ungedeckte Leerverkäufe in bestimmten Schuldtiteln von Mitgliedstaaten der Eurozone sowie die Erfassung von Transaktionen in bestimmten Kreditderivaten, gemeint sind hier insbesondere Credit Default Swaps. Problematische FestlegungMit dem Verbot ungedeckter Leerverkäufe gehen BMF und BaFin über die am 2. März veröffentlichte Empfehlung des Ausschusses der europäischen Wertpapieraufsichtsbehörden (CESR) hinaus, die ein derartiges Verbot gerade nicht vorsieht. Problematisch ist nach Auffassung von Marktteilnehmern weniger die Tatsache eines Verbots ungedeckter Leerverkäufe – dieses spielt in der Praxis für die Mehrzahl der Marktteilnehmer ohnehin eine untergeordnete Rolle – als vielmehr die Festlegung, wann ein Leerverkauf “ungedeckt” ist.Der neue Gesetzesentwurf wie auch die Allgemeinverfügungen der BaFin stellen darauf ab, dass der Leerverkäufer entweder vor Abschluss eines Verkaufs der Instrumente deren Eigentümer ist oder der Leerverkäufer wenigstens einen unbedingt durchsetzbaren schuldrechtlichen oder sachenrechtlichen Anspruch auf Übereignung der Instrumente besitzt. Ausgenommen von dem Verbot sind lediglich Market Maker und die Parteien von Festpreisgeschäften.Frühere vergleichbare Leerverkaufsverbote in den USA zeigen, dass derartige Anforderungen oft kontraproduktiv waren. So gingen Leerverkäufer vorsorglich Wertpapierleihgeschäfte ein, um bei den oft zeitintensiven Leihegeschäften sicherstellen zu können, dass ihre Position rechtzeitig gedeckt war. In der Folge kam es zu einem erheblichen Liquiditätsrückgang und zu signifikanten Kostensteigerungen für Investoren. TransparenzpflichtenVerschiedene Studien gerade aus der jüngeren Vergangenheit belegen im Übrigen, dass Verbote von Leerverkäufen das Handelsvolumen reduzieren, den Spread ausweiten, die Volatilität erhöhen und damit letztlich eine effiziente Preisbildung verhindern. Zudem stellt sich die Frage, ob es überhaupt eines besonderen Verbots ungedeckter Leerverkäufe bedarf. Leerverkaufsaktivitäten, mit denen bewusst und zielgerichtet eine Kursbewegung herbeigeführt werden soll, um sich anschließend günstig eindecken zu können, können bereits jetzt als Marktmanipulation geahndet werden.Neben einem Verbot ungedeckter Leerverkäufe sieht der Diskussionsentwurf des BMF auch eine Mitteilungspflicht für Netto-Leerverkaufspositionen gegenüber der BaFin vor, wenn die Position 0,2 % der ausgegebenen Aktien eines betroffenen Unternehmens erreicht, über- oder unterschreitet. Weitere Mitteilungsschwellen bestehen für jede Erhöhung der Position um weitere 0,1 %. Wird die Schwelle von 0,5 % erreicht, über- oder unterschritten, muss der Inhaber der Positionen eine entsprechende Veröffentlichung im elektronischen Bundesanzeiger schalten. Die Mitteilungs- und Veröffentlichungspflicht ist bis zum Ablauf des folgenden Handelstags zu erfüllen. Fehlerhafte Meldungen oder Veröffentlichungen können mit einer Geldbuße von bis zu 200 000 Euro geahndet werden.Anders als die aktuell hierzu geltende Allgemeinverfügung der BaFin sieht der Diskussionsentwurf eine Publizitätspflicht für Netto-Leerverkaufspositionen über 0,5 % unter Nennung des Halters der Position vor. Dies wurde bereits auf CESR-Ebene heftig diskutiert. Viele Marktteilnehmer sehen durch eine Offenlegung des Halters die Gefahr des Nachlaufens anderer Marktteilnehmer – im Englischen treffend als “herding” bezeichnet. Im Ergebnis muss nach der Publikation einer Netto-Leerverkaufsposition statt mit der intendierten Marktberuhigung mit einer weitergehenden Preisabwärtsspirale gerechnet werden; dies liefe folglich dem Sinn der Regelung zuwider.Auch hier erscheint ein Blick in die USA hilfreich. Die dort zum 10. Mai in Kraft getretene Circuit-Breaker-Regelung erscheint wesentlich einfacher und geeigneter, um Abwärtsspiralen wirksam zu verhindern. Danach dürfen Leerverkäufe in einem Wertpapier nicht unter dem besten landesweiten Geldkurs durchgeführt werden, wenn der Aktienkurs an einem Tag um 10 % oder mehr gegenüber dem Vortagesschlusskurs fällt.Mit dieser Regelung versucht die SEC, übertrieben spekulative Geschäfte zu unterbinden, ohne dabei jegliche Leerverkäufe, die durchaus eine wirtschaftliche Berechtigung besitzen, zu verbieten. Weitere Leerverkäufe sollen erst wieder nach Ablauf eines weiteren Handelstags zulässig sein. Falsche AnnahmenDie Maßnahmen der BaFin und des BMF gehen von falschen Annahmen aus. Leerverkäufe waren auch in der Vergangenheit nicht der Motor von Finanzkrisen. Leerverkäufe tragen vielmehr zu einer effizienten Marktpreisfindung bei und verhindern Überhitzungen durch künstlich hochgehaltene Kurse. Ziel entsprechender Regelungen muss es daher sein, Exzesse zu verhindern, ohne die positiven Wirkungen von Leerverkäufen zu unterbinden.Das vorliegende Regelwerk ist dazu nicht geeignet, selbst wenn im neuen Gesetzesentwurf Auslandstransaktionen auch erfasst würden und bestimmte Derivateinvestments ebenfalls verboten werden. Ein sinnvolles Regelwerk, wie es die meisten Marktteilnehmer begrüßen würden, hätte wesentlich differenzierter sein müssen und vor allem eines internationalen Abstimmungsprozesses bedurft.Mit den aktuellen Entwürfen mag man vielleicht kurzfristige Signale setzen, nationale Alleingänge leisten in einem globalisierten Handel jedoch keinen wirkungsvollen Beitrag zur Stabilität des Finanzsystems. Entsprechende Transaktionen werden durch die Regelungen nicht unterbunden, vielmehr ist absehbar, dass außer einer Verlagerung der Geschäftsabschlüsse ins Ausland und damit möglicherweise sogar Wettbewerbsnachteilen für die deutschen Marktakteure kein wirklicher Schutz erreicht wird.—-*) Jochen Kindermann ist Partner, Dr. Petra Brenner Anwältin bei Simmons & Simmons in Frankfurt.