Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Michael Schlitt

"Wandelanleihen beschäftigen weiter die Gerichte"

BGH-Urteil schafft nur teilweise Klarheit zum Bezugsrechtsausschluss - "Baustelle" Mindestausgabebetrag

"Wandelanleihen beschäftigen weiter die Gerichte"

– Herr Dr. Schlitt, der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich kürzlich in einem Beschluss (Az. II ZR 152/06) zur Möglichkeit eines sog. erleichterten Bezugsrechtsausschlusses bei Wandelanleihen geäußert. Was macht diese Frage so bedeutsam für die Praxis?Wandelanleihen stellen, gerade in Zeiten volatiler Märkte, einen wichtigen Baustein der Unternehmensfinanzierung dar. Die Platzierung erfolgt typischerweise im Rahmen eines beschleunigten Bookbuilding-Verfahrens bei institutionellen Investoren. Daher sind die Emittenten darauf angewiesen, das Bezugsrecht der Aktionäre auszuschließen. Das Aktiengesetz erleichtert bei Kapitalerhöhungen den Bezugsrechtsausschluss, wenn der Kapitalerhöhungsbetrag 10 % des Grundkapitals nicht übersteigt und die neuen Aktien marktnah platziert werden, d. h. der Ausgabebetrag den aktuellen Börsenkurs um nicht mehr als 3 bis 5 % unterschreitet. In diesem Fall bedarf es keiner sonst vom BGH geforderten “sachlichen Rechtfertigung” des Bezugsrechtsausschlusses. Die Praxis greift auf diese Grundsätze auch bei der Emission von Wandelanleihen zurück. – Wo lag dann das Problem?Leider hat eine Minderheit im juristischen Schrifttum in Frage gestellt, ob diese Grundsätze auf einen erleichterten Bezugsrechtsausschluss auf Wandelanleihen übertragen werden können. – Hat die Entscheidung des BGH Klarheit gebracht?Ja und nein. Die erhoffte Aussage, dass die Regelungen über den erleichterten Bezugsrechtsausschluss entsprechend auf die Emission von Wandelanleihen anwendbar sind, hat der BGH leider nicht getroffen, sondern diese Frage offengelassen. Der BGH hat jedoch festgestellt, dass die Hauptversammlung im Ermächtigungsbeschluss zur Ausgabe von Wandelanleihen Festlegungen treffen kann, die den gesetzlichen Vorgaben für den erleichterten Bezugsrechtsausschluss entsprechen. – Wie läuft nun die sinngemäße Anwendung des erleichterten Bezugsrechtsausschlusses bei Wandelanleihen?Während bei einer Kapitalerhöhung hinsichtlich der Voraussetzung einer marktnahen Platzierung auf den Börsenkurs abgestellt werden kann, ist dies bei einer Wandelanleihe nicht möglich. Denn die Anleihe wird vor ihrer Platzierung noch nicht gehandelt, so dass ein Marktpreis zum Ausgabezeitpunkt noch nicht existiert. – Wie geht man also bei einer Anleihe vor?Nach der ganz überwiegenden Auffassung ist daher auf ihren theoretischen Marktwert abzustellen, der nach anerkannten finanzmathematischen Methoden zu ermitteln ist. Der Ausgabepreis darf diesen theoretischen Marktwert nicht wesentlich unterschreiten. Im Ergebnis bedeutet das, dass der Wert des hypothetischen Bezugsrechts der Aktionäre auf die Wandelanleihe gegen null tendieren muss. Weiterhin darf die Anleihe nur zur Wandlung in Aktien im Umfang von maximal 10 % des Grundkapitals berechtigen. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist der Aktionärsschutz sichergestellt. – Hat sich die Rechtssicherheit für die Praxis insoweit erhöht?Der BGH hat klargestellt, dass ein Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung zur Ausgabe von Wandelanleihen nicht deswegen anfechtbar ist, weil er eine entsprechende Anwendung der Voraussetzungen für einen erleichterten Bezugsrechtsausschluss vorsieht. Nach Ansicht des BGH kommt es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bezugsrechtsausschlusses auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Managements über die konkrete Ausgabe der Wandelanleihe an. – Das heißt?Durch diese Verlagerung des maßgeblichen Zeitpunkts erhöht sich insoweit die Rechtssicherheit für die von der Hauptversammlung gefassten Ermächtigungsbeschlüsse. Im Bereich der Ermächtigungen stellt aber ohnehin die sog. 80-Prozent-Mindestgrenze derzeit die größere “Baustelle” dar. – Was ist unter dieser Problematik zu verstehen?Die einer Wandelanleihe zugrunde liegenden Aktien stammen im Regelfall aus bedingtem Kapital, das üblicherweise gleichzeitig mit der Ermächtigung zur Ausgabe der Anleihen beschlossen wird. Das Aktienrecht gibt vor, dass beim bedingten Kapital der Ausgabebetrag der Aktien oder die Grundlagen seiner Berechnung festzulegen sind. Es entsprach jahrzehntelang der ganz überwiegenden Praxis, insoweit einen Mindestbetrag festzulegen (üblicherweise 80 % des Börsenkurses), der dem Management die notwendige Flexibilität bei der Festlegung der Anleihebedingungen gibt. – Und das soll nun nicht mehr möglich sein?Dieses Verfahren ist in der jüngeren Vergangenheit von einigen Instanzgerichten als rechtswidrig angesehen worden mit der Folge, dass das die Wandlungsrechte sichernde bedingte Kapital und die Ermächtigungsbeschlüsse nichtig seien. Die hierfür gegebene Begründung ist sehr formal, berücksichtigt den Gesetzeszweck nicht, wird durch den Aktionärsschutz nicht gefordert und schließlich den Bedürfnissen der Praxis nicht gerecht. Sie wird daher von der ganz herrschenden Auffassung im juristischen Schrifttum und von anderen Landgerichten zu Recht einhellig abgelehnt. – Was ist den Unternehmen insoweit zu raten? Unternehmen, deren Hauptversammlung eine neue Ermächtigung zur Ausgabe von Wandelanleihen beschlossen hat, haben dieser Rechtsprechung bereits zum Teil durch einen neuen, die Flexibilität bei der Preisbemessung der Anleihe leider beschränkenden Wortlaut vorsorglich Rechnung getragen. Unternehmen, die auf Grundlage einer “alten” Ermächtigung eine neue Wandelanleihe begeben möchten, sollten bei der Ausgestaltung der Anleihebedingungen vorsorglich bestimmte Vorkehrungen treffen. Dies kann etwa in Form einer Barzahlungsoption oder einer Belieferungsmöglichkeit mit eigenen Aktien erfolgen. Dr. Michael Schlitt ist Partner der internationalen Anwaltsgesellschaft Fried, Frank, Harris, Shriver & Jacobson und Lehrbeauftragter für Kapitalmarktrecht an der Universitätzu Köln. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.