RECHT UND KAPITALMARKT

Was der Staat in der Rezession nicht braucht

Finanztransaktionssteuer lässt sich nicht rechtfertigen - Ziel des Vorhabens unklar - Verfassungsrechtliche Probleme absehbar

Was der Staat in der Rezession nicht braucht

Von Johannes Frey und Florian Schmid *)Totgesagte leben länger. Seit nunmehr fast einem Jahrzehnt geistert die Idee einer gemeinsamen Finanztransaktionssteuer durch Europa. Geht es nach dem Willen der Bundesregierung, so soll eine solche Steuer noch in diesem Jahr vereinbart und ab 2021 erhoben werden. Dies bekräftigte die Regierung in einer am 5. August veröffentlichten Antwort auf eine Anfrage der FDP-Fraktion. Demnach haben sich die Finanzminister der beteiligten Mitgliedstaaten Mitte Juni auf einen solchen Zeitplan geeinigt. Der Bundesfinanzminister twitterte nach diesem Treffen gar: “Noch in diesem Jahr kommt die Grundlage für die Erhebung der Finanztransaktionssteuer ab 2021.”Olaf Scholz ist derzeit mit vielen umstrittenen Vorhaben ein viel beschäftigter Mann. Umso erstaunlicher ist es, dass er dem politischen Dauerbrenner Finanztransaktionssteuer nun scheinbar wieder hohe Priorität einräumt. Zum Vergleich: Mit einem geschätzten deutschen Aufkommen von 1 bis 1,5 Mrd. Euro hätte die Finanztransaktionssteuer eine ähnliche fiskalische Relevanz wie die Kaffeesteuer. Vorbild FrankreichNach Aussage der Bundesregierung soll die 2012 in Frankreich eingeführte Finanztransaktionssteuer als Vorbild dienen. Umgesetzt werden soll die Steuer für eine “Koalition der Willigen” bestehend aus derzeit zehn Mitgliedstaaten. Einen konkreten Entwurf gibt es bislang nicht.Damit hat das jetzige Vorhaben nicht viel mehr gemein mit dem 2013 von der EU-Kommission ausgearbeiteten Richtlinienentwurf als den Namen. Bezog der Richtlinienentwurf noch eine Vielzahl von Finanzinstrumenten ein, würde eine Steuer nach französischem Vorbild nur noch auf bestimmte Aktienverkäufe erhoben. Somit schrumpft das Aufkommen der Steuer dramatisch zusammen, hätte doch der Richtlinienentwurf deutsche Steuereinnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe erwarten lassen.Nach französischem Vorbild soll der Verkauf von Aktien gelisteter Unternehmen mit Sitz in einem der teilnehmenden EU-Staaten und einer Marktkapitalisierung von mindestens 1 Mrd. Euro besteuert werden, sofern er zu einer Rechteübertragung führt. Nach Aussage der Bundesregierung trifft dies derzeit in Deutschland auf 143 Unternehmen zu. Ausgenommen wären unter anderem Börsengänge sowie das sogenannte Intraday Trading. Der Steuersatz läge bei mindestens 0,2 % pro Aktienverkauf. Die Steuer soll unabhängig vom Ort der Transaktion anfallen, also auch an außereuropäischen Handelsplätzen. Anders als noch im Richtlinienentwurf vorgesehen, wäre die Steuer nach französischem Modell wirtschaftlich von den Aktienkäufern und nicht von den beteiligten Finanzinstituten zu tragen. Unklar ist zudem, wem das Aufkommen der Steuer zustünde. Diskutiert wird der EU Haushalt oder ein noch zu bestimmendes Eurozonen-Budget.Die geplante Finanztransaktionssteuer, die zunehmend Gestalt annimmt, bietet auf mehreren Ebenen Anlass zur Kritik. Unklar ist schon das Ziel der Steuer. Dieses hat sich nämlich im Lauf der Jahre gewandelt. Ursprünglich stand noch im Fokus, den Finanzsektor an den Kosten der Finanzkrise zu beteiligen und von übermäßig riskanten Tätigkeiten abzuhalten. Nun zog sich ein Arbeitspapier der französischen und deutschen Ecofin-Delegationen von Mai dieses Jahres schlicht darauf zurück, die Steuer diene der “engeren Kooperation und der Sicherung der Erfolge der Europäischen Union”. Was das im Detail bedeutet, bleibt völlig unklar. Jedenfalls stellt dies keinen tauglichen Belastungsgrund für eine Besteuerung dar.In ihrem nunmehr reduzierten Umfang kann die Steuer auch nicht zur Finanzmarktstabilisierung beitragen. Risikogeneigte Produkte (etwa Derivate) oder Tätigkeiten (Intraday Trading) wären gerade nicht umfasst. Im Übrigen ist eine Steuer hierzu auch ungeeignet, vielmehr bedarf es regulatorischer Vorgaben.In gesetzestechnischer Hinsicht ist unklar, wie die Steuer von Erwerbern betroffener Aktien an außereuropäischen Handelsplätzen eingetrieben werden soll. Mangels entsprechender Mitteilungspflichten wäre der Fiskus überhaupt nicht in der Lage, überhaupt Kenntnis von solchen Aktienumschlägen zu erlangen. Die Auskunftsansprüche nach Doppelbesteuerungsabkommen reichen hierfür jedenfalls nicht aus. Folglich spricht viel dafür, dass die Steuer insoweit verfassungswidrig ist, da ein strukturelles Vollzugsdefizit droht. In diesem Fall würde die Aufhebung der Steuer durch das Bundesverfassungsgericht drohen. Dies erinnert auch an die vergleichbare Diskussion zu Share Deals börsengelisteter Unternehmen im Rahmen der geplanten Grunderwerbsteuerreform. Beide Vorhaben erwecken den Eindruck, es gehe mehr um die politische Aussage denn die tatsächliche Umsetzung und eventuelle Steuereinnahmen.Die Steuer wirft zudem weitere verfassungsrechtliche Probleme auf, da sie durch die willkürlich erscheinende Schwelle einer Marktkapitalisierung von 1 Mrd. Euro nur auf eine geringe Anzahl von Unternehmen Anwendung findet. Kritisch sah etwa 2015 der Bundesfinanzhof, dass die Einführung der sogenannten Zinsschranke lediglich rund 1 200 Kapitalgesellschaften betraf. Von der Finanztransaktionssteuer wären sogar nur 143 Unternehmen betroffen.Ökonomisch schwerwiegend dürfte die psychologische Wirkung sein. Nicht nur wird impliziert, dass Aktienkäufe generell “spekulativ” seien und damit die Finanzmarktstabilität gefährdeten. Vielmehr könnten potenzielle Aktienkäufer trotz des geringen Steuersatzes vom Erwerb abgehalten werden.Während institutionelle Anleger grundsätzlich ihre Finanzprodukte in anderer Weise strukturieren können und somit von der Steuer möglicherweise überhaupt nicht betroffen wären, trifft die Steuer besonders nichtprofessionelle Anleger. Gerade angesichts der generellen Zurückhaltung hiesiger Sparer beim Aktienerwerb wäre die Einführung in einer Phase langanhaltender Niedrigzinsen fatal. Pensionskassen und Produkte zur Altersvorsorge dürften ebenfalls betroffen sein. Mit Blick auf das äußerst niedrige Aufkommen steht die Steuer daher in keinerlei Verhältnis zu den Risiken. Unklar bleibt auch, weshalb Veräußerungen von Aktien ausländischer Unternehmen, die nicht in einem der teilnehmenden Mitgliedstaaten ansässig sind, begünstigt werden. So würde beim Erwerb etwa US-amerikanischer Aktien keine Finanztransaktionssteuer anfallen. Dies erschwert letztlich die Kapitalbeschaffung der betroffenen deutschen und europäischen Unternehmen.Im Ergebnis handelt es sich mithin um eine Steuer, deren Rechtfertigung völlig unklar bleibt, die äußerst diskriminierende Tendenzen hat, die Nachfrage drosselt und deutsche Unternehmen gegenüber ausländischen Unternehmen benachteiligt.Ob, und wenn ja in welcher Form, die Finanztransaktionssteuer tatsächlich noch in diesem Jahr beschlossen wird, lässt sich derzeit nicht absehen. Vereinfachung angeratenRechtfertigen lässt sich die Steuer in ihrer jetzigen Konzeption nicht. Welche Auswirkungen eine solche Steuer auf das Sparverhalten und den Aktienhandel hat, vermag die Regierung nicht abzusehen. Zudem ist die Einführung neuer Steuern bei einer kränkelnden Wirtschaft gerade das, wovon jeder Wirtschaftsexperte abrät. Hierdurch wird die Nachfrage bei den Konsumenten reduziert. Dadurch werden die bestehenden Probleme zusätzlich verschärft. Dies gilt umso mehr als Deutschland über ein deutlich positives Budget verfügt und keinerlei Steuermehreinnahmen benötigt. Sinnvoller erscheint es, den Standort Deutschland attraktiver zu machen, indem das derzeitige Steuerrecht vereinfacht wird. So sollte die Bundesregierung dringend von der Einführung Abstand nehmen. Es ist Zeit, das Schreckgespenst Finanztransaktionssteuer endgültig zu begraben.*) Dr. Johannes Frey ist Partner und Dr. Florian Schmid Associate von Skadden, Arps, Slate, Meagher & Flom.