RECHT UND KAPITALMARKT

Was der Steuergesetzgeber erlaubt

Bundesfinanzhof hält neues Erbschaftsteuergesetz für verfassungswidrig

Was der Steuergesetzgeber erlaubt

Von Stefan Behrens *)—- Der Bundesfinanzhof hat mit Beschluss vom 5. Oktober 2011 (Aktenzeichen II R 9/11) Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der ab 1. Januar 2009 geltenden Neuregelung des Erbschaftsteuergesetzes geäußert. Er erwägt, auch diese Neuregelung dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, und hat das Bundesfinanzministerium zum Verfahrensbeitritt aufgefordert.Der Bundesfinanzhof (BFH) kritisiert, dass durch die bloße Wahl bestimmter Gestaltungen die Steuerfreiheit des Erwerbs von Vermögen gleich welcher Art und unabhängig von dessen Zusammensetzung und Bedeutung für das Gemeinwohl erreicht werden könne. Dadurch verstießen insbesondere die Vorschriften, die unter bestimmten Voraussetzungen unternehmerisches Vermögen begünstigen, gegen den Gleichheitssatz.Wie eine Handlungsanweisung an Steuerberater lesen sich die vom Bundesfinanzhof dargestellten Beispielsfälle:Bei der gewerblich geprägten Festgeld-GmbH & Co. KG ergibt sich die Steuerfreiheit der Schenkung oder des Vererbens der Kommanditbeteiligung daraus, dass es sich bei Festgeld um kein schädliches Verwaltungsvermögen handelt. Dies vertritt auch die Finanzverwaltung in den neuen Erbschaftsteuer-Richtlinien.Im Fall der Forderungs-GmbH geht es darum, dass eine GmbH an sich nicht begünstigte Vermögenswerte an eine Schwester-GmbH verkauft und die Kaufpreisforderung dann gestundet wird. Bei der Schwester-GmbH kommt es zu einer Saldierung der Aktiva mit der Kaufpreisverbindlichkeit. Die erstgenannte GmbH ist Inhaberin einer Forderung gegen ein verbundenes Unternehmen, die auch nach Verwaltungsansicht kein die erbschaftsteuerliche Begünstigung ausschließendes Verwaltungsvermögen darstellt.Für den Fall der Betriebsaufspaltung verdeutlicht der BFH, dass das Eingreifen der die erbschaftsteuerliche Begünstigung an sich unter strenge Voraussetzungen stellenden Lohnsummenregelung vermieden werden kann, und zwar dadurch, dass ein Gewerbebetrieb in ein wertvolles Besitzunternehmen mit weniger als 20 Arbeitnehmern und ein weitgehend wertloses Betriebsunternehmen mit vielen Arbeitnehmern aufgespalten wird.Auch nach Verwaltungsansicht ist in diesem Fall eine Zusammenrechnung der Arbeitnehmer beider Gesellschaften unzulässig, sodass bei der unentgeltlichen Übertragung von Anteilen an der wertvollen Besitzgesellschaft die Lohnsummenregelung aufgrund der geringen Zahl der Arbeitnehmer nicht eingreift.Die ausschließliche Abhängigkeit erbschaftsteuerlicher Vergünstigungen von der Wahl bestimmter Rechtsformen war vom Bundesverfassungsgericht schon bei früheren Gelegenheiten als Verstoß gegen den Gleichheitssatz kritisiert worden, insbesondere auch im Erbschaftsteuer-Beschluss vom 6. November 2007, der den Gesetzgeber zur Neufassung des Erbschaftsteuergesetzes zwang.Der Bundesfinanzhof hat nun festgestellt, dass die Möglichkeit, “durch Schaffung gewillkürten Betriebsvermögens und weitere Gestaltungen selbst beim Erwerb größter Vermögen von Todes wegen oder durch freigebige Zuwendung die Höhe der Steuerbelastung zu vermindern oder das Entstehen von Steuer zu vermeiden”, deutlich erweitert und die verfassungsrechtliche Problematik verschärft worden sei. Während nach altem Recht “das nach Abzug des Freibetrags von 225 000 Euro verbleibende begünstigte Betriebsvermögen mit 65 % anzusetzen war, beträgt nunmehr bereits der Verschonungsabschlag entweder 85 % des begünstigten Betriebsvermögens oder sogar 100 %”. WiedervorlageDem Vernehmen nach wird das Bundesfinanzministerium dem Verfahren beitreten. Es wird wohl nicht darauf verweisen können, dass die vom Bundesfinanzhof geschilderten Gestaltungen in der Praxis nur in seltenen Fällen umgesetzt würden. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit wird dem Bundesverfassungsgericht dann vermutlich erneut vorgelegt werden.Der Bundesfinanzhof lässt keinen Zweifel daran, dass er die geschilderten Gestaltungen für zulässig hält. Die Finanzämter und Finanzgerichte dürfen die erbschaft- und schenkungsteuerlichen Vergünstigungen also insbesondere nicht mit Hilfe einer restriktiven, angeblich verfassungskonformen Gesetzesauslegung und auch nicht mit dem Argument versagen, es liege ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten vor.Steuerliche Berater müssen ihre Mandanten über diese Möglichkeiten unterrichten, wenn sie das Risiko des Vorwurfs vermeiden wollen, nicht richtig beraten zu haben.—-*) Dr. Stefan Behrens ist Partner bei Clifford Chance in Frankfurt am Main.