Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Gerd Krieger

"Wenig Schutz für Unternehmen vor schädlichen Minderheitseinflüssen"

Dividendenbonus für Stimmrechtsabgabe "würde HV-Präsenzen verbessern"

"Wenig Schutz für Unternehmen vor schädlichen Minderheitseinflüssen"

– Herr Dr. Krieger, im Zusammenhang mit der Hedgefonds-Debatte wird diskutiert, wie Unternehmen ihre Aktionäre stärker an sich binden können. Gibt es hier Defizite bei deutschen Gesellschaften?Das Defizit besteht in den immer stärker zurückgehenden Präsenzen in den Hauptversammlungen. Man sagt, der Streubesitz sei in den Hauptversammlungen im Schnitt in einer Größenordnung von 25 % vertreten. Das hat zur Folge, dass kurzfristig orientierte Anleger in Publikumsgesellschaften schon mit relativ kleinen Paketen eine Hauptversammlungsmehrheit erreichen können. – Wird das Problem der niedrigen Präsenzen nicht schon durch das UMAG aufgegriffen, welches voraussichtlich noch in diesem Jahr in Kraft treten wird?Zurzeit ist die HV-Teilnahme in der Regel von einer vorherigen Hinterlegung der Aktien abhängig. Das empfinden viele, namentlich ausländische institutionelle Investoren als Teilnahmehindernis. Dieses Hinterlegungserfordernis wird das UMAG beseitigen. Ich bezweifele aber, ob das allein das Problem löst. – Sind zusätzliche Stimmrechte als “Treueprämie” für ein längerfristiges Engagement der Anteilseigner sinnvoll, und ist dies im deutschen Recht zulässig?Zusätzliche Stimmrechte als “Treueprämie” sind aus Frankreich bekannt, wo viele Publikumsgesellschaften Regelungen haben, wonach Aktien, die länger als ein Jahr gehalten werden, ein Doppelstimmrecht erhalten. Das deutsche Recht lässt solche Regelungen nicht zu, sondern dazu bedürfte es einer Änderung des Aktiengesetzes. Ich würde das aber nicht für sinnvoll halten. Dass jemand länger dabei ist, heißt nicht, dass er die besseren Einsichten und die besseren Argumente hätte. Im Ergebnis würde ein Treuestimmrecht auch nicht viel nützen. Denn das Problem ist nicht, dass kurzfristig orientierte Aktionäre gleichberechtigt mitstimmen können, sondern, dass die meisten Streubesitzaktionäre an der HV nicht teilnehmen. Daran würde sich mit einem Treuestimmrecht nicht viel ändern – Im Gespräch ist auch ein Dividendenbonus für Aktionäre, die ihre Stimme auf der HV abgeben. Halten Sie solche Instrumente für zweckmäßig – und wie müsste die rechtliche Konstruktion hierzulande aussehen?Die Idee des Dividendenbonus will einen wirtschaftlichen Anreiz zur Teilnahme an der Hauptversammlung schaffen. Das würde nach meiner Einschätzung zu einer beträchtlichen Verbesserung der HV-Präsenzen führen. Man kann natürlich kritisch fragen, ob solche Zusatzleistungen für die Stimmrechtsausübung gerechtfertigt sind. Auch für die Beteiligung an politischen Wahlen gibt es ja keine Abstimmungsprämien. Gleichwohl scheint mir dieser Weg erwägenswert. Rechtstechnisch sollte man solche Regelungen der Satzung überlassen, die dann zum Beispiel bestimmen könnte, dass aus dem zur Ausschüttung gelangenden Gewinn vorab ein Teil auf die Aktien zu verteilen ist, die in der Hauptversammlung vertreten waren. An sich lässt das deutsche Aktienrecht solche Regelungen zu (§ 60 Abs. 3 AktG). Man kann sie aber de facto nicht nachträglich in die Satzung einführen, weil dazu alle Aktionäre zustimmen müssten. Es bedürfte also insoweit einer Gesetzesänderung. – Welche weiteren Möglichkeiten könnten in diesem Zusammenhang empfehlenswert sein?Für die Unternehmen selbst gibt es kaum effektive Möglichkeiten, sich vor schädlichen Minderheitseinflüssen zu schützen. Auch für den Gesetzgeber sehe ich wenig Alternativen. In der Diskussion hat es den Vorschlag gegeben, gesetzlich zu regeln, dass jede nicht vertretene Aktie automatisch als Stimme für den Verwaltungsvorschlag zähle. Mit einer solchen Regelung würde man aber nicht nur den Einfluss von Minderheitsaktionären begrenzen, sondern man würde de facto die Hauptversammlung insgesamt entmachten und eine Kontrolle der Verwaltung durch die Aktionäre abschaffen. Einen solchen Vorschlag kann man m. E. nicht ernsthaft erwägen. Denken könnte man auch an eine Verschärfung der Regelungen des WpÜG, nach denen ein Pflichtangebot zu machen ist, wenn ein Aktionär oder eine abgestimmt handelnde Aktionärsgruppe mindestens 30 % der Stimmrechte auf sich vereinigt. In der Praxis kommt diese Regelung vielfach nicht zum Zuge, weil einzelne Aktionäre weit unterhalb der 30 %-Schwelle bleiben und ein “acting in concert” nicht nachgewiesen werden kann. Gleichwohl wäre ich mit einer Verschärfung dieser Regelungen zurückhaltend, weil ich fürchte, dass dabei leicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet werden könnte und langfristig orientierte Investoren abgeschreckt würden. *) Prof. Dr. Gerd Krieger ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Hengeler Mueller in Düsseldorf und Mitglied im Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.