RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: HANS-JOACHIM FRITZ

Wenn das freie Denken die Arbeit bestimmen soll

New Work lässt sich in klassische Strukturen besser integrieren, als viele glauben

Wenn das freie Denken die Arbeit bestimmen soll

Herr Fritz, New Work macht Schlagzeilen. Worum geht es dabei?Wir erleben gerade eine Neubewertung der Arbeitsbeziehungen in Unternehmen und Organisationen: Der Begriff “New Work” drückt aus, was sich Mitarbeiter in einer aufgeklärten Gesellschaft von ihrem Arbeitgeber erhoffen: Jeder soll selbst entscheiden, was ihm gefällt, was er für sinnvoll hält oder wo, wann und wie Aufträge bearbeitet werden. Die Digitalisierung schafft schnell wechselnde Marktbedingungen und erzeugt einen ständigen Anpassungsdruck, um den Kundenwünschen gerecht zu werden. Starre Weisungsstrukturen stehen dem im Wege. Unternehmen heute brauchen flexible Organisations- und Arbeitsformen, mit denen ihre Innovationskraft gestärkt wird. Wie sehen denn solche flexiblen Arbeitsformen aus?Im agilen Unternehmen übernimmt das Team unternehmerische Verantwortung, die die Chefs an ihre Mitarbeiter abgeben. Diese Teams arbeiten crossfunktional, eigenständig und selbstverantwortet. Kreativität, Kommunikation und Fehlerakzeptanz sind unerlässlich. Das heißt?Die Teams genießen maximale Freiheiten, wie sie ihre – idealerweise selbstgesetzten – Ziele erreichen. Die Firmenleitung beschränkt sich auf strategische Themen und sorgt für die erforderlichen Rahmenbedingungen. Entscheidend ist: Wie können wir uns ständig verbessern? Und wenn die neuen Freiheiten zu Misserfolgen führen?Einige der wichtigsten Errungenschaften gäbe es nicht, wenn Fehlervermeidung stets die oberste Priorität gewesen wäre. Unternehmen müssen mit Fehlern neu umgehen: Nicht mehr nach Schuldigen suchen, sondern verstehen, was man für die Zukunft daraus lernen kann. Dies erfordert Frustrationstoleranz, Teamgeist und gegenseitiges Vertrauen. Wie passen New Work und aktuelle Konzernstrukturen zusammen – Stichwort: Matrixorganisation?Besser als man glauben würde! Gerade in der Matrixstruktur sind die klassischen Weisungsverhältnisse überwunden. Kennzeichen einer Matrixorganisation ist die Mehrlinigkeit von Leitungsstrukturen. Matrixmanager entscheiden entlang von Funktionen, Märkten und Produkten- oftmals konzernweit. Hier sehen wir eine wichtige Parallele zum agilen Arbeiten: Vorgesetzte geben Kompetenzen an die sachnähere Einheit ab und konzentrieren sich auf die strategische Führung. Die Matrix soll mehr Durchlässigkeit in einem komplexen, grenz- und jurisdiktionsüberschreitenden Konzern bringen. In einer Matrix und im agilen Arbeitsumfeld sind Teams vernetzt. Wie sieht es eigentlich mit der Managerhaftung aus, wenn Trial & Error umgesetzt wird und es keine Chefs im eigentlichen Sinne mehr gibt?Hier gibt es einen gewissen Handlungsbedarf – eventuell auch für den Gesetzgeber. Eine Führungskraft, die dem gesamten Team die Verantwortung überträgt, sollte nicht für das gewährte Vertrauen bestraft werden, wenn etwas schiefgeht. Immerhin sieht das deutsche Zivilrecht nach wie vor die Handelndenhaftung vor. Mithin besteht die Gefahr, dass Kreativität abgewürgt wird. Die Verantwortung sollte dort angesiedelt sein, wo über die strategische Ausrichtung des Unternehmens entschieden wird: In der Unternehmensspitze, die sich vom Einsatz neuer Arbeitsmethoden einen deutlichen Mehrwert verspricht. Hat New Work denn nur Vorteile? Wo sind die Nachteile?Alles Neue bringt auch negative Effekte: Home Office oder mobiles Arbeiten können zu einer Entkoppelung von Arbeitsort und -leistung führen. Arbeitszeitregelungen erscheinen reformbedürftig, zum Beispiel die Vertrauensarbeitszeit, die gerade zur Disposition steht, oder das Bemessen von Ruhepausen. Grundsätzlich gilt aber: Ein Unternehmen tut gut daran, sich schnell auf die flexiblen Arbeitsmethoden einzustellen, wenn es qualifiziertes Personal gewinnen und vor allem halten will. Dr. Hans-Joachim Fritz ist Partner bei Arnold & Porter in Frankfurt. Die Fragen stellte Walther Becker.