Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Olaf Müller-Michaels

Wertpapierleihe zum Erreichen des Squeeze-out hat ausgespielt

Das Lindner-Urteil - "BGH dürfte der Auffassung des OLG München folgen"

Wertpapierleihe zum Erreichen des Squeeze-out hat ausgespielt

– Herr Dr. Müller-Michaels – , das OLG München hat mit seinem Lindner-Urteil vom 23. November 2006 (23 U 2306/06) eine weitreichende Entscheidung zum Zwangsausschluss von Aktionären (Squeeze-out) gefällt. Worum ging es in der Entscheidung?Einen Squeeze-out kann nur betreiben, wem mindestens 95 % des Grundkapitals gehören (§ 327a Abs. 1 AktG). Bisher ist man überwiegend davon ausgegangen, dass es unerheblich ist, wie der Hauptaktionär an die 95 % gekommen ist. Ein nicht unübliches Modell war, sich die zur Überschreitung der 95%-Schwelle erforderlichen Aktien zur Hauptversammlung über eine sogenannte Wertpapierleihe zu beschaffen. – Das heißt?Bei der Wertpapierleihe überträgt der Verleiher dem Entleiher gegen Entgelt Aktien für eine bestimmte Zeit; nach Ablauf dieser Zeit übereignet der Entleiher dem Verleiher die gleiche Anzahl an Aktien wieder zurück. Juristisch korrekt spricht man bei dieser Konstruktion von einem Wertpapierdarlehen. – Wie sahen die Vereinbarungen im Fall Lindner aus?Im Fall des OLG München war in den Wertpapierdarlehensverträgen weiter wie üblich vereinbart, dass während der “Leiheö ausgeschüttete Dividenden oder Bezugsrechte dem Darlehensgeber zustehen sollen. Außerdem war nach den Abreden zwischen den Beteiligten klar, dass der Entleiher mit den Aktien keinen eigenen wirtschaftlichen Gewinn (durch Weiterveräußerung) erzielen wollte. Er hatte sie sich nur für den Squeeze-out geliehen. Dieses Modell hält das OLG München für einen Rechtsmissbrauch oder für eine Gesetzesumgehung. – Wie begründet das OLG München seine Auffassung?Das OLG München hebt hervor, dass der wesentliche wirtschaftliche Wert der Aktien in der bei Lindner gewählten Gestaltung beim Darlehensgeber blieb. In einem solchen Fall könne sich der Darlehensnehmer (Hauptaktionär) nicht auf seine formale Eigentümerstellung berufen. Es spreche sogar einiges dafür, dass der für den Squeeze-out erforderliche Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung von 95 % mit Hilfe eines Wertpapierdarlehens – unabhängig von der näheren Ausgestaltung – stets als rechtsmissbräuchlich anzusehen sei. – Welche Auswirkungen hatte das auf den Squeeze-out-Beschluss? Der mit Hilfe der Wertpapierleihe zustande gekommene Hauptversammlungsbeschluss ist nach Ansicht des OLG München nicht nur anfechtbar, sondern sogar nichtig. Denn der so gefasste Beschluss verletze, so das Gericht, Vorschriften, die im öffentlichen Interesse gegeben sind (§ 241 Nr. 3 AktG). Das war bisher umstritten. Damit unterliegt eine Klage gegen einen solchen Hauptversammlungsbeschluss weder der Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG noch den Beschränkungen hinsichtlich der Anfechtungsbefugnis (§ 245 AktG). – Da gab es doch gesetzliche Änderungen. Haben die hier eine Rolle gespielt? Obwohl für die Entscheidung nicht tragend, setzt sich das OLG München auch damit auseinander. Es geht um die Frage, ob die durch das UMAG zum 1. November 2005 eingeführte Voraussetzung, dass Anfechtungsklage nur erheben darf, wer schon vor der Bekanntmachung der Tagesordnung zu der fraglichen Hauptversammlung Aktionär gewesen ist (§ 245 Nr. 1 AktG), auch für Altfälle gilt. Dies lehnt das OLG München ab. Wenn der Gesetzgeber eine Rückwirkung gewollt hätte, hätte er das ausdrücklich regeln müssen. Das Argument der beklagten Lindner Holding KGaA, dass den meisten Klägern die Anfechtungsbefugnis fehle, da sie ihre Anteile erst kurz vor der Hauptversammlung erworben hätten, hätte daher auch nicht durchgreifen können. – Ist damit das letzte Wort gesprochen? Nein. Das OLG München hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache die Revision zugelassen. Lindner hat wie erwartet von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Es wird spannend, wie der BGH entscheidet. Ich denke, dass der BGH der Auffassung des OLG München folgen wird. Auf jeden Fall kann man das Wertpapierleihmodell für den Squeeze-out erst einmal zu den Akten legen. Und das gilt wohl nicht nur für den Squeeze-out, sondern auch, wenn es um die Beschaffung einer Mehrheit für andere Strukturmaßnahmen, wie etwa Umwandlungen, Eingliederungen oder den Abschluss von Unternehmensverträgen, geht. *) Dr. Olaf Müller-Michaels ist Rechtsanwalt und Partner bei Hölters & Elsing in Düsseldorf. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.