Whistleblowing und Reputationsrisiken

Wege zu einer Risikokultur - Banken und Versicherer besonders gefordert - Entwurf der BaFin über Mindestanforderungen

Whistleblowing und Reputationsrisiken

Von Daniela Weber-Rey *) Wie soll sich ein Arbeitnehmer verhalten, der Kenntnis erlangt, dass Vorgesetzte oder andere Arbeitskollegen im Rahmen ihrer Tätigkeit für das Unternehmen Rechtsverstöße begehen? Ganz gleich, welche Lösung man im konkreten Fall als zutreffend erachten mag, angenehm wird es sicher weder für den Arbeitgeber noch den Arbeitnehmer. Wie können der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer verhindern, dass zwischen ihnen ein Konflikt entsteht?Rechtsverstöße eines Unternehmens führen nicht nur zu Sanktionen durch Behörden und Gerichte, sondern sie wirken sich oft auch erheblich auf die Reputation eines Unternehmens aus. Ein Umstand, der noch viel mehr ins Gewicht fallen kann als die eigentliche Sanktion, denn das Ansehen in der Öffentlichkeit ist für Unternehmen von höchster Bedeutung. VertrauensfrageGanz besonders trifft dies auf Banken und Versicherungen zu; dort ist das Ansehen ein unverzichtbares Gut und wird derzeit besonders strapaziert. Der Anleger gibt sein Geld nur in die Hände derer, denen er vertraut. Wird einer Bank öffentlich das Vertrauen entzogen, kann es im schlimmsten Fall zu einem Bank Run kommen. Traurige Realität, wie zuletzt im Fall der Northern Rock Bank in England zu beobachten war.Nun muss nicht jeder Vorschriftenverstoß gleich vor dem Insolvenzgericht enden, aber zumindest auf finanzielle Einbußen darf man sich gefasst machen – ein Umstand, den jede Geschäftsleitung gerne vermeiden möchte. Damit wird klar, wo das sogenannte Whistleblowing im Unternehmen anzusiedeln ist: Whistleblowing ist ein Compliance- und Risikomanagement-Thema.So sehen es auch die Mindestanforderungen an das Risikomanagement für Versicherungsunternehmen (MaRisk VA), die gerade von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erarbeitet werden und im Entwurf vorliegen (MaRisk VA-E). Sie sind voraussichtlich ab dem 1. Januar des Jahres 2009 anzuwenden. Die MaRisk VA sollen § 64 a Versicherungsaufsichtsgesetz konkretisieren, der für Versicherungsunternehmen verbindlich den Betrieb eines internen Risikomanagements vorschreibt, und darüber hinaus die Verwaltungspraxis der BaFin nach außen transparent machen. Ein wesentliches Anliegen der BaFin ist es, innerhalb der Versicherungsunternehmen eine eigene Risikokultur zu etablieren. Darunter versteht die BaFin den Umgang eines Versicherers mit unternehmensindividuellen Risiken. Untrennbar gehört die unternehmensinterne Kommunikation von Risiken zu einer gelebten Risikokultur. Whistleblowing ist nichts anderes als Kommunikation von Risiken, insofern treffen die MaRisk VA-E abweichend von den MaRisk der Banken deutliche Aussagen zum Whistleblowing, ohne jedoch den Begriff zu verwenden. Es soll nach den MaRisk VA-E jedoch in der Hand des jeweiligen Unternehmens bleiben, wie es die Kommunikationswege hierfür ausgestaltet. In diesem Zusammenhang regt die BaFin auch an, Anreizsysteme für den Whistleblower zu schaffen. Adressat der kommunizierten Risiken kann eine Vertrauensperson sein. Whistleblowing ist nach Vorstellung der Aufsichtsbehörde intern zu betreiben. Problematische FälleProblematisch sind immer Fälle, in denen der Whistleblower aufgrund eines Verhaltens der Geschäftsleitung aktiv wird. Gerade in diesen Fällen sollte darauf geachtet werden, die Anonymität des Arbeitnehmers zu wahren. So sehen es auch die MaRisk VA-E für Fälle vor, in denen der Geschäftsleitung ein wesentlicher Mangel gemeldet wurde und sie dennoch untätig blieb. Eine erneute Meldung an die Geschäftsleitung ergibt keinen Sinn, denn diese kann sich bewusst weigern, tätig zu werden. Dem Arbeitnehmer bleibt dann der Weg zur unabhängigen Risikocontrolling-Funktion des Versicherungsunternehmens, die Bestandteil des internen Risikomanagements des Versicherungsunternehmens zu sein hat. An das Risikocontrolling soll der Arbeitnehmer anonym den wesentlichen Mangel melden können. Nach dem Verständnis der MaRisk VA-E soll also selbst bei einem Untätigbleiben der Geschäftsleitung das Whistleblowing (weiter) intern betrieben werden können. Ein externes Whistleblowing scheint gerade nicht erwünscht zu sein. Abweichen vom LeitbildAnders ist die Zulässigkeit des externen Whistleblowing allerdings nach dem Entwurf des neuen § 612 a Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu beurteilen, der einen Arbeitnehmer berechtigen soll, sich an eine zuständige außerbetriebliche Stelle zu wenden, sofern der Arbeitgeber dem Verlangen des Arbeitnehmers nicht nachkommt, dem gemeldeten Mangel Abhilfe zu schaffen. In Ausnahmefällen soll sich der Arbeitnehmer sogar direkt an Externe wenden können. Hier wird von dem Leitbild der MaRisk VA-E für den Finanzsektor abgewichen. Die vorgeschlagene Neuregelung des BGB verfolgt das Ziel, Whistleblower, die durch Informationen dazu beitragen, Gefahren abzuwenden, durch klare und eindeutige Regelungen zu schützen. Dieser Schutz besteht jedoch bereits dann, wenn ein Betrieb über interne Handlungsanweisungen verfügt, die die Anforderungen der MaRisk VA umsetzen. Für eine darüber hinausgehende gesetzliche Fixierung besteht keine Notwendigkeit. Einen Mehrwert bringt der Gesetzesvorschlag ohnehin nicht. Vielmehr schreibt er nur nieder, wie die Gerichte bereits seit Jahren urteilen. Die Rechte des Arbeitnehmers werden jedoch nicht erweitert; allenfalls transparenter gestaltet. Gefährlich erscheint, dass der geplante § 612 a BGB neue Anreize schaffen könnte, sensible Themen der Unternehmen in die Öffentlichkeit zu tragen. Gerade unter Reputationsgesichtspunkten gilt es dies aber zu vermeiden.Das Thema Whistleblowing kann sowohl aus aufsichtsrechtlicher als auch aus arbeitsrechtlicher Sicht aufgegriffen werden. Wenn jedoch eine aufsichtsrechtliche Pflicht der Unternehmen besteht, ein Whistleblowing-System zu betreiben, so kann auch arbeitsrechtlich kein Zweifel bestehen, dass ein Arbeitnehmer nicht kündbar ist, der sich an diese Systemvorgaben hält. Im Übrigen kann das Risiko einer Überregulierung durch das Arbeitsrecht auch der gewünschten Kommunikation und Transparenz innerhalb des Unternehmens entgegenstehen.Über den Regelungsbereich der MaRisk VA hinaus könnten sich auch Unternehmen mit dem Thema Whistleblowing befassen, die nicht Adressaten aufsichtsrechtlicher Rundschreiben sind. Ganz besonders kann dies auf (kapitalmarktorientierte) Aktiengesellschaften zutreffen. Das Aktiengesetz ordnet bislang nur an, dass Aktiengesellschaften über ein System zur Erkennung bestandsgefährdender Risiken verfügen müssen. SorgfaltspflichtDie Regierungsbegründung zum Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz stellt allerdings heraus, dass eine Sorgfaltspflichtverletzung vorliegen kann, wenn über die Risikoerkennung hinaus kein Risikomanagementsystem betrieben wird (das Gesetz soll nach der Sommerpause des Bundestags verabschiedet werden). Jedes kapitalmarktorientierte Unternehmen muss daher gut überlegen, ob es ein Risikomanagementsystem in angemessenem Umfang etablieren sollte. In diesem Rahmen bliebe dann nach dem Leitbild der MaRisk VA für kapitalmarktorientierte Unternehmen kaum eine andere Wahl, als auch über interne Regelungen zum Whistleblowing nachzudenken.Die Anforderungen an das Whistleblowing sollten jedoch keinesfalls überspannt werden. Ein eigenes Whistleblowing-System sollte jedenfalls nicht die Regel werden und hat sich in der überregulierten US-Welt des Sarbanes-Oxley Act nicht bewährt. Selbstregulierung empfohlenDas Thema Whistleblowing sollte der Selbstregulierung, allenfalls in sensiblen Industriezweigen dem Aufsichtsrecht überlassen bleiben. Es wäre unglücklich, wenn sich kapitalmarktorientierte Unternehmen über das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz gezwungen sähen, als Teil des Risikomanagementsystems auch interne Regelungen zum Whistleblowing zu treffen. Eine gesetzliche Überregulierung als Reaktion auf Einzelfälle ist unbedingt zu vermeiden – ganz besonders in Zeiten einer europaweit ursprünglich in Brüssel angestrebten Deregulierung, die im Zuge der Kredit- und Liquiditätskrise ohnehin in eine Überregulierung umzukippen droht. *) Daniela Weber-Rey ist Partnerin im Frankfurter Büro der internationalen Anwaltssozietät Clifford Chance.