Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Christian Reichel

"Zeitwertkonten für alle Mitarbeiter interessant"

Instrument ist auch zur Altersvorsorge einsetzbar - Steuern werden gestundet

"Zeitwertkonten für alle Mitarbeiter interessant"

Zeitwertkonten bieten Mitarbeitern eines Unternehmens die Möglichkeit, Arbeitszeit oder Gehalt anzusparen. Das so gesammelte Guthaben kann in arbeitsfreien Zeiten, etwa bei Sabbaticals oder im Ruhestand, ausgezahlt werden. Für die Altersvorsorge sind Zeitwertkonten – obwohl dies gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehen ist – inzwischen so wichtig, dass Fachleute sie als den “sechsten Durchführungsweg” der privaten Altersvorsorge bezeichnen. – Herr Reichel, welchen Zweck sollen Zeitwertkonten nach der Intention des Gesetzgebers erfüllen?Gesetzgeber, Sozialversicherungsverbände und Steuerbehörden haben einen relativ klaren Rahmen für die Bildung von Zeitwertkonten geschaffen. Mitarbeiter können Überstunden, übergesetzlichen Urlaub, vor allen Dingen jedoch Vergütungsbestandteile wie Gehalt und Boni durch Gehaltsumwandlung in ein Zeitwertkonto einbringen, das durch Vergütung in Zeiträumen der Freistellung von der Arbeit, z. B. bei Sabbaticals, zur Fortbildung oder Pflege oder vor dem altersbedingten Ausscheiden, verbraucht werden kann. Höchstgrenzen bestehen nicht. – Was passiert, wenn der Arbeitnehmer sein Zeitwertkonto nicht leergeräumt hat, bevor er in den Ruhestand tritt? Das Zeitwertguthaben kann bei Ausscheiden in eine Altersversorgungszusage gewandelt werden. Umgewandelte Vergütungsbestandteile führen zu einem Aufschub der Besteuerung zum Zeitpunkt der Verwendung und unterliegen, soweit die Beitragsbemessungsgrenze zur Sozialversicherung nicht überschritten wird, nicht der Verbeitragung. Dadurch ergeben sich in jedem Fall Steuerstundungseffekte, und bei Einkommen unter der Beitragsbemessungsgrenze auch Ersparnisse bei Sozialversicherungsbeiträgen. – Für wen sind Zeitwertkonten zur Altersvorsorge interessant?Zeitwertkonten sind für alle Mitarbeiter finanziell und im Hinblick auf Arbeitszeitflexibilisierung interessant. Reduzierte Sozialversicherungsbeiträge, Flexibilisierung der Arbeitszeit, durch Mitarbeiter finanzierte Freistellung vor dem altersbedingten Ausscheiden sind handfeste Vorteile für den Arbeitgeber. Zeitwertkonten sind zudem wichtige Personalinstrumente bei Rekrutierung und Bindung von qualifizierten Mitarbeitern und tragen zum Imagegewinn bei. – Zeitwertkonten als Instrument zur Altersvorsorge sind nur partiell gesetzlich geregelt. Wie sicher ist das Konstrukt dann aus rechtlicher Sicht? Rechnen Sie mit einer Änderung der Rahmenbedingungen?Zeitwertkonten dienen in erster Line der Flexibilisierung der Arbeitszeit und sind keine betriebliche Altersversorgung. Ein unmittelbar damit einhergehender Vorteil ist, dass Ansprüche aus Lebensarbeitszeitkonten vererbt werden können. Kommt es zu keiner Verwendung der Zeitwertkonten, dann ist eine Wandlung in eine Altersversorgungszusage möglich. Auch wenn hiermit Lasten für das Steuer- und Beitragsaufkommen der Sozialversicherung verbunden sind, sollte der Staat auch in Zukunft ein überwiegendes Interesse daran haben, dass auf diesem Wege Altersvorsorge betrieben wird. Eine insolvenzsichere Gestaltung ist möglich, z. B. durch Übertragung des erforderlichen Vermögens im Rahmen eines sogenannten Contractual Trust Arrangement auf einen Treuhänder. – Was passiert, wenn ein Beschäftigter den Arbeitgeber wechselt, mit seinen Ansprüchen? Das Wertguthaben wird in diesem Fall steuerpflichtig ausbezahlt. Um eine unmittelbare Besteuerung zu vermeiden, kann das Zeitwertkonto in eine Altersversorgungszusage gewandelt werden. Hierbei ist auf den Durchführungsweg sowie Besteuerung von Beiträgen und Leistungen zu achten. Es besteht keine gesetzliche Verpflichtung des neuen Arbeitgebers, das Zeitwertkonto weiterzuführen. Sollte er aber bereit sein, das Zeitwertkonto weiterzuführen, so kann es grundsätzlich steuer- und sozialversicherungsfrei übertragen werden. Dies muss jedoch bereits in den bestehenden Verträgen vorgesehen sein. – Kommt ein Beschäftigter bei Bedarf auch früher an sein Geld, das auf einem Zeitwertkonto liegt? Oder ist ein Entschluss, den Betrag für die Altersvorsorge einzusetzen, unumstößlich? Der Mitarbeiter kann nur noch in existenzbedrohenden Notfällen auf das Zeitwertkonto zugreifen. Er muss das Zeitwertkonto für die bereits genannten Zwecke verwenden oder im Fall seines Ausscheidens in eine Altersversorgungszusage wandeln. – Kann ein Zeitwertkonto-Sparer Einfluss darauf nehmen, wie sein Kapital angelegt wird?Wenn das Zeitwertkonto in Geld geführt wird, trifft der Arbeitgeber die Entscheidung über die Geldanlage. Oft räumt er dem Arbeitnehmer ein Recht ein, bestimmte Anlageprodukte oder Risikoklassen zu wählen. Die Verzinsung folgt dann auch in der Regel dem entsprechenden Anlageprodukt. Bei einer guten Anlagepolitik kann der Mitarbeiter attraktive Renditen erwirtschaften. – Kommen Zeitwertkonten als Instrumente der betrieblichen Altersvorsorge auch für Selbständige in Frage? Zeitwertkonten kommen bei Selbständigen nicht in Betracht. Gesellschafter-Geschäftsführer können jedoch von Zeitwertkonten profitieren. Sie sollten jedoch in jedem Fall Auskunft von dem zuständigen Finanzamt über die steuerliche Behandlung des vereinbarten Modells vorab einholen. Dr. Christian Reichel ist Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Baker & McKenzie in Frankfurt. Die Fragen stellte Christina Rathmann.