ANLAGEPRODUKTE - IM INTERVIEW: HARTMUT KNÜPPEL, DEUTSCHER DERIVATE VERBAND

"Zertifikatebranche ist nach wie vor innovativ"

Verbandschef sieht Verbesserungsbedarf bei EU-Gesetzesvorschlägen zum Anlegerschutz - Transparenz der Produkte gewachsen

"Zertifikatebranche ist nach wie vor innovativ"

Der regulatorische Gegenwind aus Brüssel und die Risikoaversion der Anleger drücken auf das Geschäft der Zertifikatebranche. Dank der Bemühungen des Deutschen Derivate Verbands (DDV) hat sich die Transparenz der Zertifikate in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Im Interview der Börsen-Zeitung erklärt Hartmut Knüppel, Vorstand des DDV, warum die Gesetzgebungsvorschläge der EU zum Schutze der Kleinanleger noch verbessert werden müssen.- Herr Knüppel, der Deutsche Derivate Verband feiert seinen fünften Geburtstag. Was würden Sie mit der heutigen Erfahrung rückwirkend in den Tagen nach dem 15. September 2008, der Insolvenz von Lehman Brothers, anders machen?Auf eine derartige Krise waren der Verband und seine Mitglieder unmittelbar nach Verbandsgründung nicht vorbereitet. Unsere Krisenkommunikation sähe heute sicherlich anders aus. Inzwischen besteht eine offene und vertrauensvolle Kommunikation mit politischen Entscheidern, Journalisten, Vertretern anderer Verbände, aber auch mit Verbraucherschützern. So sind wir in einer viel besseren Ausgangsposition, den Nutzen des Finanzprodukts Zertifikat zu vermitteln.- Das in Zertifikaten und Hebelprodukten investierte Vermögen stagniert auf dem Niveau von September 2009. Stattdessen wächst der ETF-Markt mit zweistelligen Raten. Ist der Derivatemarkt nach der Insolvenz von Lehman Brothers ein Nischenmarkt geworden?Bei einem Marktvolumen von rund 100 Mrd. Euro kann man wohl kaum von einem Nischenmarkt sprechen. Außerdem sollte man nicht vergessen, dass es Zertifikate gerade einmal seit 20 Jahren gibt und sie damit eine recht junge Anlageklasse sind. Außerdem haben die Zertifikateumsätze im Januar mit einem Plus von mehr als 50 % stark zugelegt. Das zeigt, dass die privaten Anleger wieder verstärkt in Zertifikate investieren.- Das Pendel der Regulation schwingt sehr stark aus. Wie groß ist die Gefahr, dass Zertifikate oder bestimmte Strukturen in Europa verboten werden?Die Bundesregierung setzt ebenso wie wir auf Transparenz statt auf Verbote. In einigen anderen europäischen Ländern sieht das anders aus. Allerdings ist man dort bisher daran gescheitert, klare, justiziable Kriterien festzulegen, die es erlauben würden, bestimmte Produkte zu verbieten. Wichtig ist, dass der Anleger genau weiß, was er kauft. Man sollte den privaten Anleger nicht bevormunden und seine Entscheidungsfreiheit nicht einschränken, nur weil man glaubt, er sei zu dumm, sich für oder gegen eine Anlage zu entscheiden.- Zertifikate gelten im Vergleich zu Publikumsfonds als wenig transparent. Waren die Bemühungen des DDV bisher umsonst?Wenn das wirklich die allgemeine Meinung wäre, dann wäre dies fatal. Denn genau das Gegenteil ist richtig. Der Anleger kennt stets den aktuellen Wert des Zertifikats, die Vertriebskosten sowie den Basiswert, der dem Produkt zugrunde liegt. Zudem kann er das Zertifikat börsentäglich jederzeit problemlos wieder verkaufen. Er kann im Produktinformationsblatt leicht nachlesen, an welche Bedingungen die Rendite geknüpft ist. Und auch die Risiken werden bei den Zertifikaten klar benannt. Es gibt für jedes Zertifikat entsprechende Kennzahlen. Das alles trifft für die meisten anderen Finanzprodukte nicht zu.- Der Derivatemarkt ist früher für seine rasche Reaktion mit neuen Produkten auf aktuelle Finanzmarktthemen gerühmt worden. Sind die Emittenten weniger kreativ als früher?Sicherlich ist es bei der großen Palette innovativer Produkte nicht einfach, neue Ideen am Markt durchzusetzen. Doch die Zertifikatebranche ist nach wie vor innovativ. Beispiele hierfür sind die Faktor-Zertifikate, die Bonitätsanleihen oder auch die stärkere Verbreitung von Zertifikatebaukästen, mit denen ein Privatanleger die Ausstattungsmerkmale seines Zertifikats selbst festlegen kann.- An den Börsen ist das Produktangebot mittlerweile auf fast eine Million derivative Wertpapiere angewachsen. Nur 20 % werden tatsächlich gehandelt. Brauchen Anleger ein so großes Angebot?Wüssten die Emittenten so genau, welche Produkte die Anleger nachfragen, würden sie natürlich auch nur diese anbieten. Aber die Märkte unterliegen schon seit geraumer Zeit gewaltigen Schwankungen. Marktprognosen sind schwierig, und deshalb wollen die Emittenten Produkte für jede Marktlage anbieten. Außerdem haben Emittenten gerade bei Selbstentscheidern, die auf den Finanzportalen im Internet nach speziellen maßgeschneiderten Zertifikaten suchen, nur dann eine Chance, wenn sie möglichst die gesamte Produktpalette anbieten. Mir ist auch nicht bekannt, dass sich Zertifikate-Anleger jemals über die Produktvielfalt bei den Emittenten beschwert hätten. Warum auch, ihnen entsteht dadurch kein Nachteil. Genauso wenig gibt es Beschwerden bei Automobilherstellern über zu viele Ausstattungsvarianten bei Fahrzeugmodellen.- Faktorzertifikate haben rasant an Beliebtheit gewonnen. Sie werden als Zertifikate bezeichnet, hebeln allerdings den Kurs des Basiswertes. In welche Kategorie werden die Faktorzertifikate eingeordnet?Die Faktorzertifikate zählen im Rahmen der europäischen Klassifizierung zu den Hebelprodukten. Wir sind gerade dabei, die deutsche Produktklassifizierung, die Derivate-Liga, zu aktualisieren. Auch hier werden Faktorzertifikate bei den Hebelprodukten ihren Platz finden.- Werden Cosi-Zertifikate und andere Produkte, bei denen das Emittentenrisiko herabgesetzt ist, eine eigene Produktkategorie bekommen?Nein, das ist bisher nicht geplant.- Transparenz ist eines der Leitmotive des DDV. Die Mitglieder des DDV tendieren aber immer stärker zum unregulierten und wenig transparenten OTC-Handel – nicht zuletzt aus Kostengründen. Der Anteil des börslichen Handels am Gesamthandel wird dagegen immer kleiner. Welche Rolle spielt die Börse in der Zukunft?Die Regulierung des OTC-Handels zwischen institutionellen Investoren ist auf gutem Weg. Bei der Regulierung des außerbörslichen Zertifikatehandels sehe ich keinen Handlungsbedarf. Die Entscheidungsfreiheit der Privatanleger, ob sie ein Zertifikat über eine Börse oder direkt beim Emittenten erwerben, sollte nicht eingeschränkt werden.- Die Europäische Kommission hat 2012 Gesetzgebungsvorschläge vorgelegt, mit denen sie den Schutz von Kleinanlegern stärken will. Im Produktinformationsblatt Prips sollte das Risikoprofil des Produkts auf eine einzige Kennzahl heruntergebrochen werden. Wurden die Probleme bei der Risikoeinteilung, auf die der DDV mehrfach hingewiesen hat, gelöst?Das ist noch nicht abschließend geklärt. Es stimmt, dass bei Übertragung der derzeitigen Risikokennzahl für Fonds auf Zertifikate beispielsweise einfache Aktienfonds in die gleiche Risikoklasse fallen würden wie spekulative Optionsscheine. Das ist für den Privatanleger natürlich wenig hilfreich. Aus dem Europäischen Parlament gibt es jetzt aber leider noch weitere wenig sinnvolle Änderungsvorschläge, über die Experten nur den Kopf schütteln. So wird daran gedacht, dass jedes einzelne Produktinformationsblatt an die jeweiligen nationalen Aufsichtsbehörden zur Autorisierung übermittelt werden muss. Das sprengt alle Kapazitäten, sowohl bei der Aufsicht als auch bei den Emittenten. Und dem Anlegerschutz ist damit auch nicht gedient.- Der Übergang zwischen Zertifikaten und anderen Passivprodukten wie ETC, ETN und auch ETF ist fließend. Wäre es nicht sinnvoll, einen gemeinsamen Verband der Passivprodukte zu gründen?Es gibt zwischen Zertifikaten und Indexfonds mehr Gemeinsames als Trennendes. Dass passive Produkte wie die ETF derzeit beim deutschen Fondsverband BVI angesiedelt sind, hat wohl nur historische Gründe, denn der BVI stellt ja gerade das aktive Fondsmanagement immer als besonderen Vorteil heraus.—-Das Interview führte Armin Schmitz.