Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Bernulph v. Crailsheim

"Zu über 90 Prozent entscheidet der EuGH zugunsten Steuerpflichtiger"

Potenzielle Rückzahlungen in Milliardenhöhe - Der Fall Cadbury Schweppes

"Zu über 90 Prozent entscheidet der EuGH zugunsten Steuerpflichtiger"

Der deutsche Fiskus sucht derzeit nach Mitteln und Wegen, um die Auswirkungen der jüngsten Urteile des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) auf die öffentlichen Kassen abzumildern. Über die Chancen von Steuerpflichtigen, sich vor dem EuGH gegen Steuerzahlungen zu wehren, sprach die Börsen-Zeitung mit Dr. Bernulph v. Crailsheim von der Sozietät Dewey Ballantine in Frankfurt. – Herr Dr. v. Crailsheim, wie hoch liegen die Erfolgsaussichten bei Klagen, die vom EuGH entschieden werden?Analysiert man die Entscheidungen des EuGH in Steuersachen, so ergibt sich eine Erfolgsquote der Steuerpflichtigen von über 90 %. Dies führt zu potenziellen Steuerrückzahlungen in Milliardenhöhe. Dem Argument der untragbaren finanziellen Belastungen durch die Mitgliedstaaten wurde dabei bisher wenig Gehör geschenkt. Beispiele sind die Urteile in den Fällen Cadbury Schweppes und Keller Holding. Im ersten Fall wurden de facto die deutschen Vorschriften über die sogenannte Hinzurechnungsbesteuerung nach dem Außensteuergesetz für rechtswidrig erklärt. Danach wird das Einkommen einer passiv tätigen, niedrig besteuerten ausländischen Gesellschaft bei einem deutschen Gesellschafter unabhängig von einer Ausschüttung besteuert. – Und der zweite Fall?Der zweite Fall betraf die Rechtswidrigkeit der früher unter dem körperschaftsteuerrechtlichen Anrechnungsverfahren geltenden Regelungen zur Nichtabziehbarkeit von Finanzierungsaufwendungen in wirtschaftlichem Zusammenhang mit Dividenden, die von einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft gezahlt werden. Die Wahrscheinlichkeit, mit einer gut begründeten Klage wegen Europarechtswidrigkeit eines Steuergesetzes zu obsiegen, ist also sehr hoch. Man muss nur selbst fristgerecht die entsprechenden Rechtsbehelfe einlegen. – Profitiert man nicht automatisch von Klagen, die andere führen?Rein rechtlich betrachtet nein. Ein Urteil des EuGH, welches in der Regel im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Artikel 234 EGV ergeht, entfaltet seine Wirkung nur zwischen den Parteien des Rechtsstreites und bindet nur das vorlegende Gericht. Faktisch kann man jedoch von einer Bindungswirkung ausgehen, da erneut vorlegende Gerichte damit rechnen müssen, dass in einem vergleichbaren Fall ihre Frage unter Verweis auf ein früheres Urteil nicht beantwortet wird. – Kann sich ein Steuerpflichtiger dann nicht doch darauf verlassen, dass die Finanzämter der Rechtsprechung des EuGH auch in seinem Fall folgen?Leider ist häufig das Gegenteil der Fall. So wurde zum Beispiel in der Rechtssache Cadbury Schweppes vom EuGH entschieden, dass das EG-Recht den britischen Steuervorschriften entgegensteht, die weitgehend den deutschen Vorschriften über die Hinzurechnungsbesteuerung entsprechen. Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat nun in einem Schreiben vom 8. Januar 2007 dargetan, dass zwar unter bestimmten Voraussetzungen die deutschen Hinzurechnungsvorschriften nicht anwendbar sein sollen. Die insoweit genannten Voraussetzungen sind jedoch so eng und unscharf formuliert, dass es faktisch bei der bisherigen Situation bleiben dürfte und dem Steuerpflichtigen am Ende nur der Klageweg bleibt. – Können Sie einen weiteren Fall nennen? Eine vergleichbare Ernüchterung gab es hinsichtlich der Rechtssache Ritter-Coulais. Nach dem Urteil des EuGH hatten viele erwartet, dass es in Zukunft möglich sein wird, ausländische Verluste im Inland im Wege des sogenannten negativen Progressionsvorbehaltes zu berücksichtigen, das heißt bei der Ermittlung des für ihre deutschen Einkünfte anwendbaren Steuersatzes. Dem hat das BMF mit Schreiben vom 24. November 2006 eine Absage erteilt, in dem es das Urteil nur in Fällen, die nur bis zum Veranlagungszeitraum 1998 gegeben sein konnten, für anwendbar erklärt. Wer nicht selbst klagt beziehungsweise einen Einspruch einlegt, verpasst also in vielen Fällen seine Chancen. – Ist es richtig, dass EuGH-Urteile auch für die Vergangenheit gelten? Das ist grundsätzlich richtig. Der EuGH kann die zeitliche Bindungswirkung seiner Urteile für die Vergangenheit jedoch beschränken. Zudem müssen andere Steuerpflichtige, wenn sie von rückwirkenden Urteilen des EuGH profitieren wollen, ihren Fall offen halten, das heißt, sie müssen fristgerecht Einspruch einlegen. Ist ein Steuerbescheid bestandskräftig, hilft auch eine rückwirkende Entscheidung des EuGH in einer vergleichbaren Angelegenheit nichts mehr. – Dr. Bernulph v. Crailsheim ist Partner und Steuerexperte der Sozietät Dewey Ballantine LLP in Frankfurt.Die Fragen stellte Walther Becker.