ASSET MANAGEMENT - GASTBEITRAG

Zu viel Staat in der amerikanischen Vorsorge

Börsen-Zeitung, 4.10.2011 Würde man in Deutschland fragen, in welchem Land dieser Erde die private Altersvorsorge am stärksten ausgeprägt ist, die meisten würden wohl die USA nennen. Nach wie vor gilt mein Heimatland als Stammland der...

Zu viel Staat in der amerikanischen Vorsorge

Würde man in Deutschland fragen, in welchem Land dieser Erde die private Altersvorsorge am stärksten ausgeprägt ist, die meisten würden wohl die USA nennen. Nach wie vor gilt mein Heimatland als Stammland der eigenverantwortlichen Absicherung der Risiken des Alters oder der Gesundheit. Deshalb sorgte es für großes Erstaunen, dass die Schieflage der öffentlichen Haushalte in den USA ausgerechnet durch Pensionen noch weiter verschärft wird.Die Ratingagentur Moody’s hat einen wichtigen Beitrag geleistet, dies zu Tage zu fördern. Sie bezieht seit Anfang 2011 bei den Ratings der amerikanischen Bundesstaaten nicht nur die Kreditvolumina mit ein, sondern auch die Pensionsverpflichtungen, die den jeweiligen Staatshaushalt künftig belasten werden. Damit zeichnet sich ein völlig anderes Bild der tatsächlichen Schulden im Verhältnis zum GDP der einzelnen Staaten ab. Folglich hat sich auch das Rating einiger Staaten verschlechtert. Am Rande bemerkt sei, dass in diesem Fall eine Ratingagentur einen echten Beitrag zur Verbesserung der Transparenz an den Finanzmärkten geleistet hat.Kernproblem sind die ungedeckten staatlichen Pensionszusagen. Sie sind Teil eines Systems, das 1935 für Menschen eingeführt wurde, die 45 Jahre arbeiten, mit 65 Jahren in den Ruhestand gehen und maximal noch sieben Jahre leben. Die Welt von heute sieht anders aus. Die Menschen arbeiten etwa 30 Jahre, gehen mit 60 Jahren in den Ruhestand und werden oftmals 90 Jahre alt.Drei Jahrzehnte mit sinkenden Zinsen haben den Wert der Verbindlichkeiten zusätzlich ansteigen lassen. Die Aktiva auf der Haben-Seite hingegen nehmen ab. Die Summe dieser ungedeckten staatlichen Pensionszusagen beläuft sich mittlerweile auf über 21 Bill. Dollar, ohne Staatsbedienstete und Militärangehörige. Das entspricht einer Summe von 183 400 Dollar pro Privathaushalt.Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse ist dann wiederum weniger überraschend, dass die USA beim Pensions Sustainability Index kaum besser als Deutschland abschneiden. Dieser von der Allianz berechnete Index stellt eine Kennzahl dar, die die Nachhaltigkeit und langfristige Stabilität von Altersvorsorgesystemen beschreibt. Sie bezieht neben der Struktur des Rentensystems und dem Grad der Kapitaldeckung auch die demografische Entwicklung und die Lage der öffentlichen Finanzen mit ein.USA wie Deutschland befinden sich hier nur im Mittelfeld einer Tabelle, die von Australien und Schweden angeführt wird. Die Spitzenreiter sind Staaten, deren überzogene Sozialsysteme in den neunziger Jahren vor dem Abgrund standen, die aber durch radikale Reformen den Umschwung geschafft haben. Schlusslicht der Tabelle ist übrigens China. Die Ein-Kind-Politik, die den Druck rapiden Bevölkerungswachstums in dem Land mildern sollte, führt in nicht allzu ferner Zeit zu einer massiven Belastung des chinesischen Altersvorsorgesystems.Was früher unvorstellbar war: Den USA muss man Reformen empfehlen, die in Europa schon auf den Weg gebracht wurden. Dabei stellt sich die Frage, wann das Land die Kraft findet, grundlegende Reformen anzugehen. Der Blick auf die aktuelle politische Situation stimmt nicht optimistisch. Obama strebt 2012 eine Wiederwahl an, seine Position gegenüber den potenziellen Gegenkandidaten ist nicht gut genug, um wenig populäre Reformen auf die Schiene zu setzen. Der Anteil der Eigenvorsorge muss ausgebaut werden, das Prinzip der Kapitaldeckung gestärkt. Ansonsten droht eine säkulare Schwächephase, aus der auch eine chinesische Lokomotive die USA nicht herausziehen wird.