Zwei diametral unterschiedliche Urteile zu Negativzinsen
Von Felix Biedermann und Patricia Schneider *)Zinsen sind nach allgemeinem Verständnis und ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die nach Laufzeit bemessene, gewinn- und umsatzunabhängige Vergütung für die Gebrauchsüberlassung eines auf Zeit überlassenen Kapitals. Dieser Grundsatz gilt auch in Zeiten, in denen die Zentralbanken negative Leitzinssätze benutzen, um einen Anreiz zu schaffen, “nutzlos” auf Sparkonten belassenes Kapital dem Wirtschaftskreislauf wieder zuzuführen. Dieser Anreiz führt im Ergebnis zu den sogenannten Negativzinsen oder Verwahrentgelten für Spareinlagen. Er kann aber im Zusammenhang mit variabel verzinslichen Darlehen (sog. Zinsgleitklauseln) auch dazu führen, dass sich rechnerisch ein vom Darlehensgeber zu entrichtender Zahlungsstrom ergibt. Durch den Umstand, dass zwei Kammern des Landgerichts (LG) Düsseldorf in relativ kurzer Folge zwei diametral unterschiedliche Urteile zu dieser Thematik gefällt haben, empfiehlt sich ein Blick auf das Thema.In ihrem Urteil vom 11. März 2020 (13 O 322/18) entschied die 13. Zivilkammer des LG Düsseldorf, dass Negativzinsen vom Darlehensgeber (einer Pfandbriefbank) an den Darlehensnehmer (das Land Nordrhein-Westfalen) zu zahlen sind. Die Bank hatte dem Land im Jahr 2007 ein Schuldscheindarlehen gewährt, das mit einem Zinssatz zu verzinsen war, der sich aus dem 3-Monats-Euribor zuzüglich einer Marge von 0,1175 % berechnete. Der 3-Monats-Euribor fiel ab dem 8. März 2016 so weit unter 0 %, dass sich im Ergebnis ein negativer Zins ergab.Die 13. Zivilkammer des LG Düsseldorf begründet ihr Urteil im Wesentlichen mit der Erwägung, dass Zinsgleitklauseln grundsätzlich so gestaltet sind, dass sie die Refinanzierungskosten des Darlehensgebers zuzüglich eines Aufschlags abbilden. Dieser Aufschlag stellt den Gewinn des Darlehensgebers dar. Ein Gewinn ist für den Darlehensgeber in dieser Logik auch im negativen Zinsumfeld zu erzielen, wenn die Refinanzierung nur zu einem nochmals negativeren Zinssatz erfolgen kann. Die Tatsache, dass die Bank eine – nach Ansicht des Gerichts – inkongruente Refinanzierung vorgenommen hatte, war für das Gericht unbeachtlich und wurde der Risikosphäre der Bank zugeschlagen. Begründet wurde das damit, dass die Auslegung der vereinbarten Zinsgleitklausel im Wege einer AGB-rechtlichen Prüfung objektiv zu erfolgen habe und zu dem Ergebnis führte, dass die konkrete Ausgestaltung der Klausel einem Gewinn der Bank nicht grundsätzlich im Wege steht. Dadurch sei die Wahrung der grundsätzlichen Pflichten bei einem Darlehensvertrag gewährleistet. Eine Störung der Geschäftsgrundlage lehnte das Gericht mit den gleichen Erwägungen ab, insbesondere durften die Parteien nicht von einem implizit vereinbarten Floor bei 0 % ausgehen. Erhebliche UnsicherheitenDie Zivilkammer 2b des LG Düsseldorf kam am 24. Juni 2020 (2b O 254/18), also nur drei Monate später, zu dem Ergebnis, dass die Klage eines Darlehensnehmers auf Zahlung negativer Zinsen abzuweisen ist. Auch in diesem Fall hatte das Land Nordrhein-Westfalen bei einer Pfandbriefbank ein Schuldscheindarlehen aufgenommen. Es war mit 0,013 % p.a. unter dem 6-Monats-Euribor zu verzinsen, und ein Mindest- oder Höchstzinssatz wurde ebenfalls nicht vereinbart. Der 6-Monats-Euribor wurde im November 2015 erstmals negativ.Die Zivilkammer 2b begründet ihr Urteil im Wesentlichen gestützt auf eine Analyse der Hauptleistungspflichten der Parteien eines Darlehensvertrages. Es sei das gesetzliche Leitbild des Darlehensvertrags, dass der Darlehensnehmer für die Überlassung des Kapitals Zinsen an den Darlehensgeber zahlt. Eine andere Wertung würde diesem Leitbild und den darin zum Ausdruck kommenden Vertragspflichten der Parteien grundsätzlich widersprechen. Zudem würde zwar die gesetzlich vorgesehene Abdingbarkeit der Entgeltpflicht der Kapitalüberlassung eine Reduzierung der Zahlungspflicht auf null gestatten, jedoch nicht die Umkehr der Zahlungspflicht umfassen. Eine derartige Regelung wäre überraschend und müsste ausdrücklich geregelt werden. Die Kammer geht also von einer Zinsuntergrenze von 0 % aus, sofern die Parteien nichts anderes vereinbaren. Erwägungen zur Refinanzierung wurden von dieser Kammer nicht angestellt.Unstreitig sind beide Argumentationen vertretbar und haben jeweils ihre Stärken, wenngleich sich die Argumentation der 13. Zivilkammer vom gesetzlichen Leitbild löst. Nach der Vorstellung des BGB kann die darlehensweise Überlassung von Geld auch unentgeltlich erfolgen (§ 488 Abs. 3 BGB), nicht vorgesehen ist jedoch eine Zahlung durch den Darlehensgeber. Ferner setzen die Überlegungen der 13. Zivilkammer eine (günstige) Refinanzierung voraus. Es besteht aber grundsätzlich keine Verpflichtung zur Refinanzierung, und sie mag auch nicht immer möglich sein. Für die Praxis bedeuten die so unterschiedlichen Urteile bis zu einer obergerichtlichen oder höchstrichterlichen Entscheidung erhebliche Unsicherheiten im Hinblick auf das Management der Zinsrisiken aus “Altverträgen” mit Zinsgleitklauseln. Dass bei der Auslegung neu abgeschlossener Verträge ohne Zinsfloor die Unvorhersehbarkeit von negativen Zinsen für sich genommen kein überzeugendes Argument mehr ist, dürfte offensichtlich sein. Aber für die Verträge, bei denen noch zulässigerweise vorgetragen werden kann, dass ein negatives Zinsniveau zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses unvorstellbar war, wäre Rechtssicherheit dringend erforderlich. *) Dr. Felix Biedermann ist Partner und Patricia Schneider Associate von Simmons & Simmons in Frankfurt.