Zyklen im Gleichschritt
Rasant, schnell, lebhaft, mitunter auch turbulent – Adjektive, die mit der allgemeinen konjunkturellen Entwicklung assoziiert werden, weisen meist auf eine gewisse Dynamik hin. Dies gilt wohlgemerkt für die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung. Die konjunkturellen Zyklen der Immobilienwirtschaft hingegen gelten eher als träge, dafür aber planbarer. Denn die Analyse der Immobilienzyklen basiert bislang vor allem auf den Baugenehmigungs- und Baufertigstellungszahlen. Die Folge ist die besagte träge Entwicklung – denn bis Gebäude geplant, genehmigt und errichtet sind, vergeht vor allem bei großen Büroprojekten viel Zeit. Entsprechend wird konstatiert, dass die Immobilienzyklen der Realwirtschaft um Jahre hinterherhinken. Die aktuelle Entwicklung könnte jedoch ein Umdenken erforderlich machen.Denn die Fundamentalfaktoren der Genehmigungs- und Fertigstellungzahlen werden zunehmend ergänzt und könnten sogar langfristig ersetzt werden. Sollte die alte biblische Regel, dass nach sieben fetten Jahren sieben magere folgten, jemals für die Immobilienwirtschaft gegolten haben, so dürften diese Zeiten endgültig vorbei sein: Der zyklische Trendverlauf wird immer stärker von neuen Teilelementen aus der Kapitalmarkttheorie wie Stimmung und Zufall überlagert – entsprechend nimmt die Planbarkeit ab. So zeigt sich gegenwärtig, dass sich der aktuelle immobilienwirtschaftliche Aufschwung fast parallel zum konjunkturellen Aufschwung vollzieht, also ohne die vielfach beschworenen zeitversetzten Effekte. Midassyndrom schlägt RatioDies lässt sich unter anderem mit dem “Financial Behaviour”-Ansatz begründen: Der Mensch als stimmungsgetriebene und von der Stimmung beeinflussbare Zufallskomponente spielt beispielsweise auf der Anbieter- und Investorenseite der Immobilienmärkte eine immer stärkere Rolle. Der Immobilienkonjunktur-Index von King Sturge, der die Zuversicht der Immobilienmarktteilnehmer hinsichtlich der Geschäftsentwicklung darstellt, ist bereits seit März 2009 fast kontinuierlich gestiegen. Der Index ist methodisch einwandfrei. Aber er hat Unikat-Charakter, es gibt keinen weiteren ähnlich exponierten Stimmungsmesser in Deutschland. Die Folge ist, dass sich die über den Index gemessene subjektive Stimmung auf das objektive Investitionsverhalten auswirkt. Und die Stimmung, die der Index misst, geht wiederum maßgeblich auf die allgemeine gesamtwirtschaftliche Entwicklung zurück. Bereits dies spricht dafür, dass die Immobilienmarktzyklen und die allgemeinen konjunkturellen Wellen künftig eher im Gleichschritt als zeitversetzt laufen werden.Zusätzliche stimmungsbeeinflussende Komponenten treten vor allem in sensiblen Marktphasen auf: Goldgräberphänomen und Midassyndrom in guten Zeiten – wenn der Markt so sicher erscheint, dass jedes Immobilienprojekt per se zu Gold wird – oder die Spekulation in schlechten Zeiten, wenn der untere Wendepunkt der immobilienökonomischen Entwicklung erreicht ist. In beiden Fällen ist nur bedingt Rationalität vorhanden. Verhaltensmuster abseits der Rationalität werden zum Beispiel in der wirtschaftswissenschaftlichen Spieltheorie längst akzeptiert. Auch in der Immobilienwirtschaft gibt es keinen echten “Homo oeconomicus”. Ein Beispiel für das Verhalten in sensiblen Phasen ist die Geschichte der “UK Recovery Funds” aus dem Jahr 2009: In Krisenzeiten wurden erste zaghafte Markterholungssignale sofort durch die Neuauflage etlicher dieser Fonds mit Milliardenvolumina an eingesammelten Anlegergeldern konterkariert. Zehn Monate später haben sich die “erholten Märkte” in Großbritannien schon wieder abgekühlt.Ein Indiz auf der Nutzerseite sind die Bürovermietungsmärkte, die überraschend schnell angezogen haben. Viele Unternehmen haben sofort zu Beginn des Aufschwungs neue Büros angemietet – vor allem solche, die zu Beginn der Krise die Anmietungsentscheidung aufgeschoben hatten und die ersten positiven Signale zum Anlass genommen haben, den eigentlich längst überfälligen Umzug nachzuholen. Dieser quantitative Sprung war im vierten Quartal 2010 überdeutlich. Hinzu kommen psychologisch bedingte Vorzieheffekte. Obwohl sich die Finanzsituation vieler Unternehmen faktisch nur geringfügig verbessert hat, genügt die bloße Aussicht auf ein besseres Geschäftsklima, um wieder zu investieren – auch in neue Büros. Die Stimmung beeinflusst auch hier den Zyklus.Ein weiterer Aspekt, der für zunehmend parallele statt zeitversetzter Zyklen spricht, ist die anhaltende Verknüpfung von Immobilien- und Kapitalwirtschaft einerseits und Immobilien- und Realwirtschaft andererseits. Dies führt teilweise dazu, dass die Immobilienwirtschaft sich nicht nur parallel zur allgemeinen Konjunktur entwickelt, sondern diese sogar antreibt. Ein Beispiel sind energetische Baumaßnahmen. Der Energieausweis, für Büro- und Gewerbegebäude im Neubau bereits seit 2007 Pflicht, hat viele professionelle Immobilienunternehmen dazu veranlasst, zusätzliche Bauaufträge auszulösen – für Fassadendämmung, Heiztechnik und Co. Da der Trend zu mehr Nachhaltigkeit beispielsweise bei gewerblich genutzten Gebäuden anhält beziehungsweise sogar noch weiter zunimmt, dürfte auch der volkswirtschaftliche Impuls andauern.