LeitartikelKünstliche Intelligenz

Gamechanger

ChatGPT hat auf die Anwendung Künstlicher Intelligenz wie eine Initialzündung gewirkt. Ein breiter Einsatz erfordert den Spagat zwischen Freiheit und Regulierung.

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Künstliche Intelligenz

Gamechanger

Von Heidi Rohde

ChatGPT hat auf die Anwendung künstlicher Intelligenz (KI) wie eine Initialzündung gewirkt. Ein breiter Einsatz erfordert den Spagat zwischen Freiheit und Regulierung.

Seit Monaten elektrisiert der Textroboter ChatGPT das Internet. Der millionenfache Widerhall in der Nutzung einer neuen innovativen Technologie erscheint derzeit wie eine Initialzündung für zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten sogenannter Large-Language-Modelle auf der Basis von künstlicher Intelligenz (KI). KI-Sprachassistenten ermöglichen eine ganz neue Interaktion zwischen Mensch und Maschine, KI-gestützte Programme treiben den Einsatz von Robotik und Automatisierung in der industriellen Produktion voran. Künstliche Intelligenz wird auf der nach den Pandemiejahren in neuem Glanz stattfindenden Hannover Messe als eine der wichtigsten Technologien für die digitale Transformation gefeiert.

Dabei zeigt die weltgrößte Industrieschau deutlich, dass die deutsche Wirtschaft – insbesondere Leitbranchen wie der Maschinenbau – beim Einsatz künstlicher Intelligenz keineswegs zögerlich ist. Präzision, Skalierbarkeit und die insgesamt verbesserte Effizienz von Produktionsprozessen gelten gerade in Zeiten des Fachkräftemangels als natürliche Treiber für den Einsatz neuer Technologien.

Jenseits der Industrie erkennen nun allerdings auch zahlreiche andere Wirtschaftsakteure Anwendungschancen für KI-Software. Einer der ebenso vielversprechenden wie sensiblen Bereiche ist der Gesundheitssektor, wo sich eine Fülle von neuen Möglichkeiten bietet, von der Telemedizin über Geräte-Diagnostik bis hin etwa zu einer deutlich beschleunigten Wirkstoffforschung. Auch hier geht es für die Unternehmen jenseits der Innovation darum, mit dem technischen Fortschritt einem wachsenden Kostendruck zu begegnen. Gleiches gilt für den Finanzsektor, wo KI-Programme zum Hoffnungsträger für „besser und billiger“ werden – egal, ob es sich um Kundenbetreuung, Anlagestrategien oder die Due Diligence in M&A-Prozessen handelt.

Die erkennbare Eigenschaft von künstlicher Intelligenz als „Gamechanger“ in der Breite von Wirtschaft und Gesellschaft, der mit dem Leuchtturmprodukt ChatGPT noch dazu ein rasantes Tempo gewinnt, löst indes nicht nur Frohlocken, sondern auch Bedenken aus. Damit sehen sich auch staatliche Institutionen genötigt zu reagieren, um den Umgang mit der neuen Technologie in geordnete Bahnen zu lenken. Die EU-Kommission hat relativ früh eine KI-Verordnung auf den Weg gebracht, die insbesondere KI-typische Risiken adressiert und durch einen Anforderungskatalog an Anbieter und Nutzer einen einheitlichen und belastbaren Rechtsrahmen schaffen soll. Allerdings ist hier kein Schnellschuss zu erwarten und sicher auch nicht geboten. Gerade im Umgang mit bahnbrechenden technologischen Innovationen der jüngeren Zeit – seien es Internetzugang, Internetsuche oder soziale Netzwerke – hat sich leider gezeigt, dass die Behörden den Drahtseilakt zwischen einem innovationsfreundlichen Freiheitsgrad und notwendigem Regulierungsregime nicht gut bewältigt haben.

In der breiteren Gesellschaft nährt vor allem die Sorge vor einem umfassenden Ersatz menschlicher Intelligenz durch künstliche und damit verbundene massive Umwälzungen am Arbeitsmarkt eine – noch mehr oder minder latente – Skepsis gegenüber Innovationen wie ChatGPT oder anderen Large-Language-Modellen. Auf der anderen Seite wächst in der Wirtschaft die Sorge, dass Europa sich bei KI erneut selbst ausbremsen könnte. Auch wenn es hierzulande hochkarätige Forschungscluster wie das Fraunhofer Institut oder die RWTH Aachen gibt, deren Ergebnisse sich international sehen lassen können, trifft man Beispiele wie das Heidelberger KI-Start-up Aleph Alpha, das sich in seiner Finanzierung komplett auf deutsche bzw. europäische Wagniskapitalgeber stützt, eher selten. Deutsche Start-ups stützen sich insgesamt und vor allem in größeren Finanzierungsrunden häufig auf US-amerikanische Geldgeber.

Während die Nachfrage nach KI-Technologie in Deutschland insgesamt steigt, sieht es wieder einmal so aus, als würde die Angebotsseite erneut dominiert von Big Tech aus Ost und West, wobei vor allem die Gravitationskraft des Silicon Valley als Schmelztiegel für Ideen und Geld ungebrochen ist. Um den Anschluss zu halten, wird für deutsche Unternehmen eine progressive Partnerstrategie zentral sein.