ROUNDUP: Verhaftung von Erdogan-Kontrahenten erschüttert türkische Finanzmärkte
ANKARA (dpa-AFX) - In der Türkei hat der Haftbefehl gegen einen wichtigen Kontrahenten von Staatschef Recep Tayyip Erdogan am Mittwoch die Finanzmärkte erschüttert. Die Landeswährung Lira sackte auf ein Rekordtief ab, der Aktienmarkt brach ein und am Anleihenmarkt zogen die Renditen deutlich an.
Wenige Tage vor seiner geplanten Ernennung zum Präsidentschaftskandidaten wurde Haftbefehl gegen den Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu erlassen. Ihm werde unter anderem die Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation und Korruption vorgeworfen, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf die Staatsanwaltschaft. Die Partei des Bürgermeisters von Istanbul warnte vor dem Versuch eines Staatsstreichs - und rief landesweit zu Protesten auf.
Damit untergräbt einmal mehr eine politische Krise das Vertrauen der Anleger in den türkischen Finanzmarkt. Die Lira fiel zum Euro und zum US-Dollar auf historische Tiefststände; zwischenzeitlich mussten gut 41 Lira für einen Dollar gezahlt werden.
Einem Kreise-Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge wurde der Kurs der Lira zum Dollar im Tagesverlauf durch eine Intervention der Banken des Landes gestützt. Diese hätten dafür zwischen acht und neun Milliarden US-Dollar verkauft, sagte demnach eine mit der Sache vertraute Person.
Die Währung der Türkei befindet sich schon länger auf Talfahrt, die Wirtschaft des Landes leidet schwer darunter. Denn eine schwache Landeswährung verteuert die für die Türkei wichtigen Importe von Rohstoffen, chemischen Erzeugnissen und Maschinen. Im Jahr 2022 war die Inflation noch bis auf 85 Prozent gestiegen; aktuell liegt sie bei im internationalen Vergleich immer noch sehr hohen 39 Prozent.
Entgegen jeder geltenden volkswirtschaftlichen Lehrmeinung hat Erdogan lange Zeit vehement die Ansicht vertreten, hohe Zinsen förderten die Inflation. Viele Notenbanker, die sich mehr oder weniger gegen die Ansichten des Staatschefs stellten, hatten bereits ihren Hut nehmen müssen. Zuletzt hielt sich Erdogan zwar mit Einlassungen zur Geldpolitik zurück; einige Experten fürchten jedoch, dass er wieder zu seiner früheren Politik zurückkehren könnte.
An der Börse in Istanbul war der Leitindex Borsa Istanbul 100 zuletzt um mehr als neun Prozent eingebrochen. Es war der größte Tagesverlust seit Februar 2022. Auch am Anleihenmarkt gingen die Kurse auf Talfahrt.
„Türkische Vermögenswerte stehen unter starkem Verkaufsdruck“, sagte Piotr Matys, Währungs-Analyst bei In Touch Capital Markets. Einigen Anlegern werde nun erneut in Erinnerung gerufen, dass Präsident Erdogan seine Macht noch mehr festigen will. Erdogan versuche mit diesem Schritt, seinen größten politischen Rivalen daran zu hindern, bei den für 2028 anstehenden Präsidentschaftswahlen zu kandidieren.
Richard Segal, Anleihen-Analyst bei Ambrosia Capital, ergänzte: „Erdogan hat immer gesagt, dass er den Wahlprozess und seine Amtszeitbegrenzung respektiert. Was in dieser Woche geschehen ist, lässt daran grundsätzliche Zweifel aufkommen.“ Vor diesem Hintergrund sei es wahrscheinlich, dass derzeit eine Neubewertung der türkischen Vermögenswerte im Gang sei und nicht lediglich eine anhaltende Verschlechterung der Marktstimmung.
Die aktuellen Entwicklungen stellen die grundsätzlich positive Stimmung unter den globalen Anlegern gegenüber den Vermögenswerten der Türkei auf die Probe. Diese Investoren hatten darauf gewettet, dass das Land weniger von den durch Handelskonflikte verursachten Schwankungen betroffen sein wird als andere Länder.
Besser als erwartet ausgefallene Inflationswerte im Februar, eine Leitzinssenkung und die Hoffnung auf engere Beziehungen zur Europäischen Union hatten dazu beigetragen, dass türkische Aktien Anfang des Monats noch stark gestiegen waren. Durch den Kursrutsch am Mittwoch wurden die im März erzielten Gewinne jetzt fast ausradiert./la/jsl/mi