Atomausstieg

Abschied von der teuren Kernspaltung

Nach mehr als 60 Jahren steigt Deutschland am Samstag endgültig aus der Atomenergie aus - und damit auch aus der teuersten Art der Stromerzeugung. Auf die Versorgungssicherheit dürfte das keine Auswirkung haben.

Abschied von der teuren Kernspaltung

Abschied von der teuren Kernspaltung

Politisch bleibt die Atomkraft umstritten, die ökonomischen Rechnungen fallen aber eindeutig aus

ahe Berlin

Mit dem Abschalten der drei letzten Kernkraftwerke Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 steigt Deutschland am Samstag endgültig auch aus der teuersten Art der Stromerzeugung aus. „Atomkraft war seit Beginn des Atomzeitalters eine der teuersten Energieformen und zu keiner Zeit wettbewerbsfähig mit
kostengünstigeren Technologien, wie historisch zum Beispiel Kohle oder Erdgas, und heute erneuerbaren Energien“, heißt es etwa in einer Kurzstudie des DIW Berlin und der Technischen Universität Berlin, die in der vergangenen Woche veröffentlicht wurde. Demnach liegen die sogenannten Gestehungskosten von Atomstrom, die unter anderem auch den Kraftwerksbau berücksichtigen, bei aktuell rund 160 Dollar je Megawattstunde (MWh). Bei Wind- und Solarstrom sind es heute weniger als 50 Dollar/MWh.

Andere Studien zur Wirtschaftlichkeit zeigen ein ähnliches Bild: So verwies der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages 2022 auf eine mehrfach aktualisierte Untersuchung des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS), die die gesamtgesellschaftlichen Kosten der einzelnen Stromerzeugungsarten berechnet hat – einschließlich der Schäden an der Umwelt und der staatlichen Förderungen oder Subventionen. Onshore-Wind kam in diesem Szenario auf lediglich 8,8 Cent je Kilowattstunde (kWh). Atomkraftwerke produzierten dagegen zu einem Preis von 37,8 Cent/kWh. Grund waren die hohen nicht internalisierten externen Kosten.

Nach Ansicht von DIW und TU Berlin entbehren daher auch Forderungen nach dem Weiterbetrieb der drei letzten Atomkraftwerke, die mit ihrer Bruttoleistung von 4.300 MW im vergangenen Jahr noch etwas mehr als 6% zur deutschen Stromproduktion beigetragen haben, oder gar des Neubaus „jeglicher ökonomischer Grundlage". Ohnehin wäre ein direkter Weiterbetrieb der Meiler nach dem 3,5-Monate-Streckbetrieb gar nicht möglich, da hierfür erst neue Brennelemente beschafft werden und umfangreiche Sicherheitsüberprüfungen durchgeführt werden müssten. Diese wären turnusgemäß eigentlich schon 2019 fällig gewesen, waren aufgrund des geplanten Abschaltens der Meiler aber ausgesetzt worden. Ein einfaches Weiterlaufen der Kraftwerke hätte daher auch die EU-Kommission nicht erlaubt, auch wenn die drei Atomkraftwerke sicherheitstechnisch „auf einem hohen Niveau“ sind, wie auch das vom Grünen Robert Habeck geführte Bundeswirtschaftsministerium festgestellt hat.

Nach Einschätzung des Wirtschaftsministeriums sind die drei letzten Meiler für die Versorgungssicherheit ohnehin nur vor geringer Bedeutung. Ein im vergangenen Sommer durchgeführter Stresstest hat nämlich gezeigt, dass die drei Kraftwerke bei einem sehr kritischen Szenario nur einen sehr begrenzten Beitrag zur Stabilisierung leisten könnten. Der Bedarf an Ersatzkraftwerken aus dem Ausland würde lediglich um 0,5 Gigawatt (GW) sinken. Auch nach Abschaltung der Meiler Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 und ohne die volatilen Wind- und Solarkapazitäten kommt Deutschland noch auf einen Kraftwerkspark mit einer installierten Leistung von rund 99 GW. Dem steht eine Netzlast (ohne Wind und Solar) gegenüber, die in den Jahren 2019 bis 2022 bei maximal 71 bis 75 GW lag. Zusammen mit den Stromimporten aus dem europäischen Ausland und den Reservekraftwerken außerhalb des Strommarktes bestehe daher „ein ausreichender Kapazitätspuffer“, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, erklärte Habecks Staatssekretär Patrick Graichen kürzlich in einer Anfrage der Unions-Bundestagsfraktion.

Über 60 Jahre Atomstrom

In Deutschland geht am Samstag die Nutzung der Atomkraft zu Ende, die in der Bundesrepublik 1959 mit dem ersten Atomgesetz begann. Das erste AKW zur Stromerzeugung war das Versuchskraftwerk Kahl, das ein Jahr später in Betrieb ging. In der DDR lag die erste Anlage im brandenburgischen Rheinsberg, die 1966 startete. Bis Ende 2021 wurden nach Angaben des Vereins Kerntechnik Deutschland rund 5.560 Mrd. kWh Atomstrom erzeugt. In den deutschen Reaktoren fielen aber auch hochradioaktive Abfälle in einer Größenordnung von 27.000 Kubikmeter an. Hinzu kommen die schwach- und mittelradioaktiven Abfälle. Die Endlagerung wird die deutsche Energiepolitik – ebenso wie der Rückbau der Kraftwerke – noch lange beschäftigen. 2016 waren die gesamten Entsorgungskosten für Atommüll in Deutschland bereits mit rund 48,8 Mrd. Euro kalkuliert worden.

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