IWF warnt vor hartnäckiger Inflation
IWF warnt vor hartnäckiger Inflation
Währungsfonds hebt Prognosen für Teuerung merklich an – Zentralbanken weiter in der Pflicht – Deutsche Wirtschaft wird 2023 schrumpfen
In Washington kommen in dieser Woche die Finanzminister und Notenbankchefs aus aller Welt zur Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) zusammen, um über die Lage der Weltwirtschaft und des globalen Finanzsystems zu beraten. Beides erfüllt die Experten des Währungsfonds mit Sorge.
ms Frankfurt
Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt die weltweite Inflation als noch hartnäckiger ein als zuletzt ohnehin schon erwartet und sieht die Zentralbanken deshalb in der Pflicht, sich weiter gegen die Teuerung zu stemmen. In seinem am Dienstag veröffentlichten Weltwirtschaftsausblick hob der Fonds seine Inflationsprognosen für 2023 und 2024 noch einmal spürbar an. „Die Geldpolitik sollte sich weiterhin darauf konzentrieren, die Inflation zu senken“, sagte IWF-Chefvolkswirt Pierre-Olivier Gourinchas in Washington. Zugleich sieht der Fonds die straffere Geldpolitik aber als wesentlichen Belastungsfaktor für die Weltwirtschaft und als große Herausforderung für den Finanzsektor.
Die Prognosen und Aussagen des IWF belegen eindrucksvoll und prägnant das Dilemma und die Gratwanderung, vor denen die Zentralbanken weltweit stehen: Einerseits ist die Inflation immer noch viel zu hoch und weit entfernt vom verbreiteten 2-Prozent-Ziel der Zentralbanken. Andererseits wird die beispiellose Zinswende seit dem Frühjahr und Sommer 2022 immer mehr zur Belastung für die Wirtschaft und das Finanzsystem. Als Beleg gelten nicht zuletzt die Bankenturbulenzen Mitte März. Inzwischen wächst die Sorge, dass die Notenbanken überziehen.
Die US-Notenbank hat ihren Leitzins seit März vergangenen Jahres um insgesamt 475 Basispunkte angehoben. Das ist der aggressivste Straffungskurs seit den 1980er Jahren, als die Fed mit einer außer Kontrolle geratenen Inflation kämpfte. Im Fall der Europäischen Zentralbank (EZB) summieren sich die Zinserhöhungen seit Juli 2022 auf 350 Basispunkte. Das gab es zuvor seit der Euro-Einführung 1999 nicht. Jetzt rätseln die Finanzmärkte über den weiteren Kurs von Fed, EZB und anderen Notenbanken und auch die Zentralbanker ringen miteinander.
Der IWF erhöhte nun seine globale Inflationsprognose für 2023 und 2024 auf 7,0% und 4,9% (siehe Grafik). Gegenüber dem Januar-Update des Weltwirtschaftsausblicks bedeutet das eine Anhebung um 0,4 und 0,6 Prozentpunkte. Im Vergleich zum bislang letzten regulären Ausblick vom Oktober sind es sogar 0,5 und 0,8 Prozentpunkte mehr. „Die Inflation ist viel hartnäckiger als selbst noch vor ein paar Monaten erwartet“, sagte IWF-Chefvolkswirt Gourinchas. Vor allem die zugrundeliegende Inflation erweise sich als hartnäckig. Während die Inflationsraten in den USA und dem Euroraum seit einigen Monaten spürbar sinken, gibt die Kernrate ohne Energie und Lebensmittel weniger stark nach. Sie gilt als besserer Gradmesser für den zugrundeliegenden Preisdruck in einer Volkswirtschaft.
Die Zentralbanken müssten deshalb weiter die Zinsen anheben oder zumindest noch länger an höheren Zinsen festhalten, so der IWF. Das gelte zumindest solange der Stress im Finanzsektor eingedämmt bleibe – was derzeit der Fall sei. „Jede Erwartung, dass die Zentralbanken den Kampf gegen die Inflation vorzeitig aufgeben, hätte den gegenteiligen Effekt: Die Renditen würden gesenkt, die Wirtschaftstätigkeit über das erforderliche Maß hinaus gestützt und letztlich die Aufgabe der Währungsbehörden verkompliziert“, so Gourinchas.
Zugleich betont der Währungsfonds aber auch, dass die negativen „Nebeneffekte“ der beispiellosen Zinswende immer stärker zum Vorschein kämen. Einerseits gilt diese als ein Faktor, warum das globale Wachstum absehbar eher schwach ausfällt. Andererseits gelten die steigenden Zinsen vor allem für den Finanzsektor als Herausforderung (siehe auch Bericht unten auf dieser Seite).
Insgesamt blickt der Fonds mit großer Sorge auf die Lage der Weltwirtschaft. Zwar senkte er seine Wachstumsprognose für dieses und das nächste Jahr nur marginal um jeweils 0,1 Prozentpunkte auf 2,8% und 3,0%. Zugleich kommt er aber zu dem Urteil, dass die Risiken erheblich nach unten wiesen. „Die Wahrscheinlichkeit einer harten Landung ist stark gestiegen“, heißt es in dem Bericht. “Wir treten in eine heikle Phase ein”, sagte Gourinchas. Das Wachstum sei schwach, die Finanzstabilitätsrisiken hätten zugenommen und bei der Inflation sei die Trendwende noch nicht erreicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass das globale Wachstum in diesem Jahr auf 1,0% einbricht, taxiert der Fonds immerhin auf 15%.
In Richtung der Fiskalpolitik untermauerte der IWF seine Forderung aus der Vorwoche, dass diese die Zentralbanken im Kampf gegen die hohe Inflation unterstützen und die Staatsfinanzen konsolidieren sollte – im Idealfall begleitet von gezielten Maßnahmen zur Unterstützung der Schwächsten in der Gesellschaft. Zudem appelliert der Fonds, Strukturreformen anzugehen, um die mittelfristigen Wachstumsperspektiven zu verbessern.
Auch für Deutschland korrigierte der IWF seine Vorhersage nach unten – um 0,2 Prozentpunkte im Vergleich zu Januar. Er rechnet jetzt mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,1% (siehe Grafik). Für 2024 sagt der IWF dann wieder ein Wachstum um 1,1% voraus. Etwas zuversichtlicher hatten sich Anfang April führende deutsche Wirtschaftsinstitute gezeigt. Im laufenden Jahr rechneten sie mit einem Mini-Wachstum des Bruttoinlandsprodukts um 0,3%.
Als Zugpferde der Weltwirtschaft sieht der Fonds China und Indien. China traut er nach der Abkehr von den strikten Corona-Maßnahmen für 2023 und 2024 Wachstumsraten von 5,2% und 4,5% zu. “Chinas wieder geöffnete Wirtschaft erholt sich kräftig.” Indien dürfte um 5,9% und 6,3% zulegen. Russlands Wirtschaft schrumpft demnach wohl nicht mehr. Hier rechnet der IWF mit Wachstumsraten von 0,7% und 1,3%.