ABB baut Schulden ab
Der Elektrotechnikkonzern ABB dürfte nach Einschätzung seines neuen Chefs die schwierigste Phase der Pandemie überstanden haben. Mit Blick auf die Auswirkungen der angelaufenen zweiten Welle der Seuche sei er viel zuversichtlicher als bei der ersten Welle im März, erklärte Konzernchef Björn Rosengren.dz Zürich – ABB hat die Coronakrise bislang einigermaßen gut gemeistert. Das lässt sich auch aus den Geschäftszahlen zum dritten Quartal herauslesen. Doch nach der sommerlichen Entspannungsphase werden die Probleme wieder größer. Der Ausblick für die verbleibende Zeit im laufenden Jahr habe sich infolge der Covid-19-Pandemie “rasant verschlechtert”, heißt es im Zwischenbericht des Elektrotechnikkonzerns.Obwohl “in großen Teilen der globalen Wirtschaft” wieder eine “beträchtliche Unsicherheit” eingekehrt ist und neue Beschränkungen den Aufschwung “voraussichtlich mit langfristigen Folgen für die Wirtschaft” bremsen könnten, lockert ABB das finanzielle Sicherheitsdispositiv, das im Frühjahr im Zug der ersten Corona-Welle aufgezogen worden war. Der Konzern hat nach eigenen Angaben in den vergangenen sechs Monaten 4 Mrd. Dollar Schulden abgebaut. Ein 2-Mrd.-Dollar-Kredit, der im Frühling kurzfristig zur Stärkung der Liquidität aufgenommen wurde, ist inzwischen vollständig zurückgezahlt.Gleichzeitig macht ABB keine Anstalten, den Aktienrückkauf zu bremsen, den der Konzern im Dezember 2018 im Zusammenhang mit der Verkaufsankündigung der Stromnetzsparte an Hitachi versprochen hatte. ABB erlöst 7,6 Mrd. bis 7,8 Mrd. Dollar aus dieser geschichtsträchtigen Desinvestition. Das Geld soll voll an die Aktionäre ausgeschüttet werden. Die entsprechenden Aktienrückkäufe sind seit dem 23. Juli im Gang. In einem ersten Schritt soll die gesetzlich maximal zulässige Menge von 10 % des Kapitals zurückgekauft werden, damit die Aktionäre auf ihrer nächsten Generalversammlung am 25. März 2021 die Vernichtung der zugrundeliegenden Titel und die Fortsetzung des Programms beschließen können. Von dem Rückkauf sind bis dato 3 % realisiert, sagte Finanzchef Timo Ihamuotila in einer Telefonkonferenz.In teilweiser Vorwegnahme dieser Bilanzpolitik hatten Analysten der Kreditbewertungsagentur Moody’s im April die Bonitätsnote für ABB-Anleihen auf “A3” gesenkt. Damit gelten die Papiere immer noch als sichere Anlagen, solange keine unvorhergesehenen Ereignisse eintreten. Solche Ereignisse sind inzwischen aber an der Tagesordnung. Trotzdem sagte der seit Februar als CEO agierende Björn Rosengren in der Telefonkonferenz: “Wir sind jetzt viel ruhiger als im März”, als man sehr wenig darüber gewusst habe, wie das Unternehmen die Krise bewältigen würde.Tatsächlich fällt der Leistungsausweis aus neun mehrheitlich schwierigen Monaten 2020 den Umständen entsprechend passabel aus. Die zur Jahresmitte gemachte Prognose, dass der Auftragseingang im dritten Quartal leicht anziehen werde, ist eingetroffen. Allerdings bleiben die Bestellungen aus den ersten neun Monaten mit 19,5 Mrd. Dollar dennoch um 7 % unter Vorjahr. Der operative Gewinn (Ebita) ist im Berichtsquartal zwar nur noch um 5 % auf 787 Mill. Dollar geschrumpft. Trotzdem ist die Marge von 11,5 % im Vorjahr auf 10,9 % weiter abgeschmolzen. Rosengren ist dennoch überzeugt, dass die angestrebte Margen-Bandbreite von 13 bis 16 % unter normalisierten Bedingungen erreicht werden kann. Dazu müssten allerdings verschiedene der 18 Divisionen, die teilweise mit unterdurchschnittlichen Margen operieren, an der Effizienz schleifen. Wie viele Jobs dieser Prozess bereits gekostet hat, wollte Rosengren nicht verraten.Rosengren beteuert, dass die Anatomie des ABB-Konzerns auch nach dem Verkauf der Stromnetzsparte in der aktuellen Form nicht in Stein gemeißelt sei und Divisionen mit unterdurchschnittlichen Leistungen veräußert werden könnten. Solche Andeutungen nähren Erwartungen und Spekulationen. Diesen nahm Siemens-Chef Roland Busch am letzten Sonntag im Interview mir der FAZ den Wind aus den Segeln, indem er sagte: “Würde ich ausschließlich auf den Kapitalmarkt hören, könnte ich die Firma in 20 Teile zerlegen. Dann hätten die Investoren ihren Einsatz maximiert – nur wäre nichts mehr übrig von Siemens.” Rosengren wollte diese Aussage mit Blick auf ABB nicht kommentieren.