Abfindung erfordert interdisziplinären Ansatz
Über die Bestimmung der angemessenen Abfindung, die ein Hauptaktionär den Minderheitsaktionären zur Umsetzung von aktienrechtlichen Konzernierungsmaßnahmen anbieten muss, wird wieder verstärkt diskutiert. Seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1999 richtet sich die Abfindung nach dem höheren Wert aus Ertragswert und Börsenwert. Dabei spiegelt der Ertragswert den Anteilswert, den der Minderheitsaktionär – unter Ausblendung der Konzernierungsmaßnahme – bei Fortführung seines Beteiligungsverhältnisses voraussichtlich realisiert hätte (Fundamentalwert). Der Börsenwert bildet hingegen den Erlös ab, den der Minderheitsaktionär bei einer Desinvestition über drei Monate vor Bekanntwerden der Konzernierungsmaßnahme im Durchschnitt erzielt hätte (Verkehrswert).
Erste Entscheidungen
Es wird nun vermehrt die Auffassung vertreten, dass allein der Börsenwert maßgeblich sei, da dieser nicht nur den Verkehrswert, sondern auch den Fundamentalwert abbilde. Auf die Ermittlung eines Ertragswerts könne verzichtet werden. Erste landgerichtliche Entscheidungen zur alleinigen Maßgeblichkeit des Börsenwerts liegen bereits vor. Hinzu kommt, dass sich das Oberlandesgericht Frankfurt Main für die Bemessung der in bestimmten Fällen alternativ zur Abfindung anzubietenden Ausgleichszahlung nun erstmalig ebenfalls am Börsenwert orientiert hat. Das Institut der Wirtschaftsprüfer versucht nun dieser Entwicklung mit einer kürzlich veröffentlichten Stellungnahme Einhalt zu gebieten. Das Vorgehen ist höchst ungewöhnlich und unterstreicht die Bedeutung des Themas.
Eine zielführende Diskussion erfordert einen interdisziplinären Ansatz, bei dem sowohl rechtliche wie betriebswirtschaftliche Aspekte berücksichtigt werden. Rechtlich ist zu klären, ob die Berücksichtigung von unter Umständen wertrelevantem Insiderwissen Teil der angemessenen Abfindung sein soll oder nicht. Bekanntlich bilden Börsenkurse bei Einhaltung des geltenden Kapitalmarktrechts nur Marktwissen und demnach kein Insiderwissen ab. Soll also der Minderheitsaktionär im Aktienrecht grundsätzlich wie ein Kapitalanleger im Kapitalmarktrecht behandelt werden, kann eine fehlende Berücksichtigung von Insiderwissen bei der Bemessung der Abfindung für den Minderheitsaktionär keine Rolle spielen. Denn für ihre Kapitalanlageentscheidungen können Minderheitsaktionäre ebenfalls nur auf Marktwissen zurückgreifen.
Schutzmechanismen
Demnach bestimmt das Marktwissen die durch die Konzernierungsmaßnahme verdrängte zu entschädigende Vermögensposition eines Minderheitsaktionärs. Auf Basis von Marktwissen bildet der Börsenwert dann eine Schätzung des Fundamentalwerts ab, und für die Bestimmung der gebotenen vollen Kompensation wäre dann der Ertragswert entbehrlich.
Damit ist aber vor allem betriebswirtschaftlich zu klären, wie eine hinreichende Aussagekraft des Börsenwerts zu bestimmen ist. Wird allein auf den Börsenwert abgestellt, geht mit diesem Wert eine unwiderlegbare Angemessenheitsvermutung einher.
Die bisher üblichen Schutzmechanismen eines gutachterlich ermittelten Ertragswerts, einer gesetzlich angeordneten Angemessenheitsprüfung sowie einer gerichtlichen Kontrolle sind dann gegenstandslos. Trotzdem ist aber den Minderheitsaktionären ein äquivalenter Rechtsschutz weiterhin zu gewähren. Dies bedeutet, dass bei einer Alleinmaßgeblichkeit Anforderungen an die Aussagekraft des Börsenwerts zu stellen sind, die über den bisherigen Mindeststandards aus dem Übernahmerecht liegen.
Markteffizienz entscheidend
Betriebswirtschaftlich hängt die Aussagekraft von der gegebenen Markteffizienz ab. Für die These einer Alleinmaßgeblichkeit sind daher weitere, eindeutig operationalisierbare Anforderungskriterien zu entwickeln (beispielsweise zur Liquidität und zur Informationsversorgung des Kapitalmarkts), um die Feststellung einer hinreichenden Markteffizienz zu gewährleisten, also einer effektiven Verarbeitung von Marktwissen im Börsenwert der Aktie.
Je nach Ausgestaltung dieser Kriterien kann in vielen oder zumindest in einigen Fällen der Zeit- und Kostenaufwand für ökonomisch sinnvolle Konzernierungsmaßnahmen (deutlich) reduziert und gleichzeitig ein hinreichender Rechtsschutz gewährt werden.