TARIFABSCHLUSS

Abschüssige Bahn

Zum ersten Mal hat die IG Metall ganztägige Warnstreiks als mächtiges neues Instrument eingesetzt. Das Ergebnis - der Pilotabschluss für die Metallindustrie in Baden-Württemberg - ist eine höchst erstaunliche Mischung: eine vergleichsweise lange...

Abschüssige Bahn

Zum ersten Mal hat die IG Metall ganztägige Warnstreiks als mächtiges neues Instrument eingesetzt. Das Ergebnis – der Pilotabschluss für die Metallindustrie in Baden-Württemberg – ist eine höchst erstaunliche Mischung: eine vergleichsweise lange Laufzeit bis Ende März 2020, die den Unternehmen Planungssicherheit bietet, gepaart mit einer gemessen am Wirtschaftsboom geringen Lohnerhöhung von 4,3 %, dazu jährliche Einmalzahlungen, die an die konjunkturelle Entwicklung gekoppelt sind, und ab 2019 tarifliches Zusatzgeld von etwa 1 %. Auf die gesamte Laufzeit gerechnet liegt das jährliche Lohnplus wohl bei moderaten 3,5 %.Die Beschäftigten können künftig für bis zu zwei Jahre ihre Wochenarbeitszeit zugunsten der Work-Life-Balance von 35 auf 28 Stunden absenken – ohne expliziten Lohnausgleich. Im Gegenzug dürfen jedoch die Betriebe mit einem größeren Anteil der Beschäftigten als bisher 40-Stunden-Verträge abschließen. Ist das der Durchbruch für die neue Arbeitszeitkultur oder eher der Einstieg in die Rückkehr zur 40-Stunden-Woche? In jedem Fall wird die Regelung der Arbeitszeit nicht nur flexibler, sondern auch komplizierter – die Fachkräfteknappheit nimmt kurzfristig zu.Unter dem Strich steht der mit über 4 % für die Unternehmen wohl kostspieligste Tarifabschluss seit 2007. Aus Sicht der EZB dürfte sich das Plus als willkommener Treiber für die Inflation erweisen. Das macht die für eine Normalisierung der Kapitalmärkte längst überfällige Zinswende wahrscheinlicher, bedeutet aber für Unternehmen ansteigende Kreditkosten. Gleichzeitig schrumpfen die Gewinne wegen der wachsenden Lohnkosten, und die Aktienkurse fallen.Für die Tarifparteien könnte sich das neue Instrument des 24-Stunden-Streiks noch als Fluch erweisen. Es war auf dem Gewerkschaftstag 2015 eingeführt worden. Anders als bei den herkömmlichen Warnstreiks wird Streikgeld gezahlt, und anders als beim großen Flächenstreik braucht es keine Urabstimmung. So lassen sich gewerkschaftlich gut organisierte Betriebe, die für die ganze Branche von Bedeutung sind, bequem lahmlegen. Gleichzeitig bietet sich die Gelegenheit zur Mitgliederwerbung.Die negativen Folgen der neuen Streikmacht sind absehbar. Nach diesem Tarifabschluss werden sich noch mehr Unternehmen aus den Arbeitgeberverbänden verabschieden. Die Tarifbindung wird weiter abnehmen, und kommende Tarifrunden werden sich zum “Häuserkampf” entwickeln, in dem immer mehr Unternehmen einzeln ihre Tarife regeln – eine abschüssige Bahn für beide Seiten.