SERIE: INTERNET DER DINGE (TEIL 3)

Ackerbau und Viehzucht 4.0

Vernetzung soll die Landwirtschaft effizienter machen und zur Sicherung der Welternährung beitragen - Konzernen bietet sich ein Milliardenmarkt

Ackerbau und Viehzucht 4.0

Halbautonome Traktorkolonnen und Sensoren in Kuhpansen sind längst Realität. Die Vernetzung von Ackerbau und Viehzucht ist ein potenzieller Milliardenmarkt, an dem sich Agrar- und Technologiekonzerne ihren Anteil sichern wollen.Von Isabel Gomez, StuttgartDas Reich von Martin Bauer ist 70 Fußballfelder groß. In drei Betrieben um Weinstadt im Remstal baut der Landwirt Obst an. Auf gut der Hälfte der Fläche wachsen Erdbeeren. Allein in Weinstadt stehen 18 Tunnel, die jeweils Beeren im Wert von rund 10 000 Euro beherbergen. Wenn die Jahresernte erfriert, verliert Martin Bauer eine hohe sechsstellige Summe. Selbst wenn die Süßkirschen oder Himbeeren auf der restlichen Fläche überleben: Der Verlust ist nicht auszugleichen.Martin Bauer hat daher in Sensoren des Technologiekonzerns Bosch investiert. Sie stecken seit Jahrzehnten in Airbags oder Fahrerassistenzsystemen und sind eine Grundlage für die Vernetzung von Gegenständen. Herr Bauer schützt seine Beeren durch die Anbindung an das Internet der Dinge (IoT) nicht nur vor Frost. Die Temperaturgrenze für Erdbeeren liegt bei 28 Grad. Wird es heißer, “sehen die Erdbeeren in wenigen Stunden aus wie gebraten”, sagt Bauer. Die Ausstattung, die das verhindert, besteht aus zwei Temperaturfühlern auf Höhe der Erdbeeren, einem Bodensensor, der die Feuchtigkeit misst, und dem Gateway, das die Sensordaten an Boschs IoT-Cloud schickt, in der sie mit Hilfe künstlicher Intelligenz (KI) ausgewertet und Bauer zurück auf seine App geschickt werden. Rund 400 Euro kostet ihn das über einen Mietvertrag jährlich pro System. Wenn die App piept, weiß Bauer, dass die Tunnel gelüftet, verschlossen oder bewässert werden müssen.Die Verkaufszahlen für die Anwendung liegen im dreistelligen Bereich. 2016 entwickelte das interne Bosch-Start-up Deepfield Robotics das System gemeinsam mit zehn Landwirten, zunächst für die Spargelernte. Deepfield ist nicht das einzige Team, das sich bei Bosch mit der Vernetzung von Ackerbau und Viehzucht beschäftigt. Und Bosch ist nicht der einzige Konzern, der in diesem Bereich ein Milliardengeschäft wittert. 2015 lag das M&A-Volumen in der Agrarindustrie laut dem Datendienstleister Dealogic bei rund 11 Mrd. Dollar. 2017 waren es bis Ende Mai knapp 5 Mrd. Dollar. 4,6 Mrd. Dollar flossen 2015 in Agrar-Start-ups.Trotz großer Produktivitätssprünge in den vergangenen 50 Jahren bleibe die Ernährung der Weltbevölkerung “ein kritisches Thema”, schreibt das Beratungsunternehmen McKinsey in einer Studie. Bei einer stabilen Bevölkerungsentwicklung verdopple sich der Pflanzenbedarf bis 2050 mindestens. Hinzu kämen die unsichere Wasserversorgung, die Knappheit bei Ackerflächen und die steigende Nachfrage nach Zucker und Getreide als Energielieferant.Die Vernetzung sämtlicher landwirtschaftlicher Bereiche ist daher ein Wachstumsmarkt. “Wir gehen in diesem Bereich in den kommenden Jahren von zweistelligen Wachstumsraten aus. Laut Studien soll das Umsatzpotenzial von derzeit 3,5 Mrd. Euro auf 6 Mrd. Euro bis zum Jahr 2020 steigen”, sagt Boris Buchtala, Leiter Smart Agriculture in der Bosch-Forschung, die sich nach Interviews mit Landwirten derzeit mit der Unkrautvernichtung beschäftigt. Etwa, indem über Drohnen mit Sensoren und Kameras Unkrautnester in einem Feld identifiziert werden. “Wenn der Landwirt gezielt nur die Unkräuter behandeln kann, spart er Pflanzenschutzmittel und schont die Umwelt”, so Buchtala. Die technologische Herausforderung liege dabei darin, dass sich in der Natur, anders als in einer Fabrik, die Umgebungsbedingungen ständig ändern. Nach der Unkrautvernichtung haben für Buchtala und sein Team die Themen Krankheiten, Insektenbefall, Düngung und Wässerung Priorität. Deepfield Robotics will sich als Nächstes mit der Überwachung von Getreidesilos beschäftigen.Sämtliche Agrar- oder IT-Konzerne entwickeln oder kaufen neue Technologien für Feld und Stall. Der Agrarkonzern Monsanto, den Bayer derzeit übernehmen will, schluckte bereits 2013 die von Google-Mitarbeitern gegründete Climate Corporation für rund 1 Mrd. Dollar. Die Firma sammelt Wetter-, Feld- und Bodendaten, wertet diese aus und stellt sie Landwirten zur Verfügung. Die Daten werden aber auch an Konzerne verkauft, die sie zu neuen Anwendungen verarbeiten. Eine solche auf Daten basierende Plattform für die Viehzucht bietet der israelische Microsoft-Partner SCR Dairy. In Megaställen mit tausenden Kühen kann sich der Landwirt nicht mehr merken, ob es nun Hilde oder Luise war, die eine bestimmte Futtermischung nicht verträgt. Über das Überwachungssystem für den Stall lässt sich nicht nur der automatisierte Melkvorgang steuern. Sensoren in Ohr oder Pansen der Kuh sowie Kameras erkennen Krankheiten frühzeitig, was teure Behandlungen spart, oder identifizieren den erfolgversprechendsten Besamungszeitraum. 5G fehlt auch auf dem FeldIm Stall ist die Vernetzung laut Christoph Götz vom Maschinenbauverband VDMA weit fortgeschritten. Generell wenden laut dem IT-Verband Bitkom anteilig mehr Landwirte (53 %) als produzierende Unternehmen (46 %) digitale Technologien bereits an. Auch auf dem Feld hält Götz den Vernetzungsgrad im Branchenvergleich für hoch, weil landwirtschaftliches Gerät schon immer markenübergreifend kompatibel sein musste. Auf diese mechanischen Schnittstellen baute die Branche auf. Während die Automobilindustrie noch damit befasst ist, einzelne Maschinen vernetzungsfähig zu machen, sind digitale Landmaschinen längst auf dem Markt. Sämaschinen sind etwa mit Displays ausgestattet, über die sich einzelne Saatkörner zentimetergenau an der Stelle säen lassen, an der sie die beste Ernte versprechen. In den USA oder Russland fahren halbautonome Traktorkolonnen über die Getreidefelder. Nun geht es laut Götz darum, Maschinen und Infrastruktur zu Verbünden zusammenzuschließen und alle Prozesse – von der Aussaat oder der Geburt eines Tiers bis zur Belieferung des Endkunden mit Pflanzen, Milch oder Fleisch – einzubinden. Hürden sind dabei, wie generell beim Thema Vernetzung, die nicht abgesteckten rechtlichen Rahmenbedingungen und viel zu langsame Mobilfunkstandards.Am vorläufigen Ende der Entwicklung stehen laut Götz und Buchtala Farmmanagement-Systeme, über die sich auch Mischlandwirtschaften steuern lassen. Der US-Konzern Deere & Company, einer der größten Landmaschinenhersteller, bietet eine der bislang umfassendsten Plattformen. In sie fließen unter anderem Daten der Climate Corporation und von bereits verkauften Maschinen ein. Auch der deutsche Hersteller Claas hat mit 365Farmnet eine Plattform im Angebot, die bei der Anbauplanung, der Ernte, im Stall bis hin zur Betriebsanalyse unterstützt.Martin Bauer reichen für seinen Obsthof die Sensoren. Eine Kamera wäre noch schön, um diebisches Wild zu ertappen. Ein Pflückroboter lohne sich finanziell dagegen nicht, zudem sei die Technologie noch zu grobmotorisch für empfindliche Erdbeeren. Dass ein Teil seiner Freilandernte bei den Nachtfrösten Anfang Mai trotz Bosch-System erfror, liegt Bauer zufolge an den falschen Temperaturschätzungen des Wetterdienstes. “Unterm Strich ist das eine echte Erleichterung”, sagt er über seine Sensoren.—-Bisher erschienen:- Vom Verkäufer zum Vermieter (14.6.2017)- Attacken aus dem Wohnzimmer (13.6.2017)