Airbus setzt auf China
Von Gesche Wüpper, ParisDer europäische Flugzeugbauer Airbus will seine Stellung in China weiter ausbauen. Zum Auftakt der Luftfahrtmesse Aviation Expo China kündigte Airbus-Chef Fabrice Brégier in Peking eine neue Variante des Langstreckenjets A330-300 als Alternative für Regional- und Inlandsflüge an. Die rund 200 Tonnen leichtere Version mit Platz für bis zu 400 Passagiere sei besonders für Flüge zwischen Megastädten wie Peking und Schanghai geeignet, sagte er. “China wird einer der wichtigsten Märkte für diese neue Modellvariante sein.”Wie groß die strategische Bedeutung des Reichs der Mitte für die Luftfahrtindustrie ist, wurde bereits Anfang der Woche deutlich, als Verkaufschef John Leahy in London die langfristigen Marktprognosen des Flugzeugbauers vorstellte. Er geht davon aus, dass die Asien-Pazifik-Region 2032 Europa und Nordamerika überholen und zum weltweit größten Luftfahrtmarkt aufsteigen wird. Bereits 2031 dürfte China nach Ansicht von Airbus zum weltweit größten Markt für Inlandsverkehr mit einem Anteil von rund 10 % am weltweiten Flugverkehr werden.Der Inlandsflugverkehr dort dürfte in den kommenden 20 Jahren im Schnitt um jährlich 7 % zulegen. Das ist zwar etwas weniger als im vergangenen Jahr, als China mit 320 Millionen Fluggästen einen Anstieg der Passagierzahlen um 9 % verbuchte. Dennoch dürfte China damit auf eine der höchsten Wachstumsraten weltweit kommen. Denn zum einen entdeckt die wachsende Mittelschicht die Freuden des bezahlten Urlaubs für sich. Zum anderen aber baut das Land seine Infrastruktur für den Luftverkehr aus. So will China bis 2015 zusätzlich zu den bereits existierenden 180 Flughäfen 50 bis 60 neue Airports bauen. 4 400 Flugzeuge bis 2033Airbus rechnet deshalb für China für die kommenden 20 Jahre mit einem Bedarf an 4 400 neuen Flugzeugen im Wert von 670 Mrd. Dollar. US-Erzrivale Boeing ist noch optimistischer. Er geht von einem Bedarf an 5 580 neuen Flugzeugen im Wert von 780 Mrd. Dollar aus, allerdings rechnet Boeing im Gegensatz zu Airbus auch Regionalflugzeuge mit ein.Von diesem lukrativen Kuchen will Airbus ein möglichst großes Stück abhaben. Am ersten Tag der Luftfahrtmesse konnte der Flugzeugbauer gleich mehrere Großbestellungen verkünden. So bestellte BOC Aviation, die in Singapur angesiedelte Leasing-Tochter der Bank of China, 25 A320-Mittelstreckenflugzeuge. Laut Preisliste hat die Bestellung einen Wert von 2,4 Mrd. Dollar.Zusätzlich dazu konnte die EADS-Tochter zwei chinesische Neukunden gewinnen: Qingdao Airlines aus der Provinz Shandong unterzeichnete Aufträge über 23 A320-Maschinen. Die Fluggesellschaft will 2014 ihren Betrieb aufnehmen und soll die Airbus-Maschinen 2016 geliefert bekommen. Zhejiang Loong Airlines wiederum will 20 A320-Maschinen kaufen. Die Airline nimmt dieses Jahr ihren Betrieb auf. Beide Aufträge zusammen sind laut Listenpreis 3,87 Mrd. Dollar wert. Allerdings sind in der Flugzeugbranche Preisnachlässe üblich. Außerdem muss die chinesische Regierung die Bestellungen noch absegnen.Mit den Aufträgen könnte die Zahl der chinesischen Fluggesellschaften, die Airbus-Maschinen betreiben, auf 19 steigen. In den ersten acht Monaten hat der Flugzeugbauer, zu dessen Kunden auch die drei größten chinesischen Airlines China Southern, China Eastern und Air China gehören, im Reich der Mitte 95 Maschinen ausgeliefert, darunter auch 17 A330-Langstreckenjets und ein Exemplar des Großraumflugzeugs A380. “Als wir 1985 auf den chinesischen Markt gekommen sind, waren sechs Maschinen von uns im Einsatz”, erzählt Airbus-China-Chef Eric Chen. “Heute fliegen 960 Airbus-Maschinen im ganzen Land und unser Marktanteil ist von 30 % im Jahr 2005 auf 50 % gestiegen.” Fertigung in TianjinZu verdanken hat Airbus ihre Aufholjagd vor allem der 2005 gefällten Entscheidung, im 140 Kilometer südöstlich von Peking gelegenen Tianjin ihre erste A320-Endfertigungslinie außerhalb Europas zu bauen. Der Flugzeugbauer betreibt das Werk, eine exakte Kopie der A320-Endfertigung in Hamburg, zusammen mit Avic aus China als Joint Venture. Airbus hält 51 % an dem Gemeinschaftsunternehmen. Seit der Eröffnung 2008 wurden in Tianjin 141 Mittelstreckenflugzeuge zusammengebaut und ausgeliefert. Von den über 100 europäischen Mitarbeitern, die Airbus anfangs nach Tianjin schickte, um rund 400 Ortskräfte anzulernen, sind mittlerweile bis auf zwölf Angestellte in leitenden Funktionen alle in die Heimat zurückgekehrt.Die Produktionsrate ist derzeit vertraglich auf vier Maschinen pro Monat beschränkt. Zum Vergleich: Die A320-Endfertigungslinie in Hamburg kommt derzeit auf 22 Maschinen, die in Toulouse auf 16. Doch der Vertrag für Tianjin läuft 2016 aus. Airbus verhandelt deshalb gerade mit den chinesischen Partnern über die zweite Phase des Projekts und ist dabei offenbar auch zu Zugeständnissen bereit. “Warum nicht die Produktionsrate auf mehr als vier Stück pro Monat erhöhen, wenn die Nachfrage da ist?”, fragt China-Chef Chen. Möglich sei ebenfalls, in Tianjin künftig die neu motorisierte, spritsparende Version zu montieren und die Endfertigung der kleinsten Modellvariante A319 zugunsten der stärker gefragten größten A321 aufzugeben.In Harbin, einer Stadt mit zehn Millionen Einwohnern im Norden Chinas, ist Airbus ein weiteres Joint Venture eingegangen. Allerdings hält der Flugzeugbauer am Harbin Hafei Airbus Composite Manufacturing Centre (HMC) hier nur 20 %. Das Joint Venture hat Mitte September den ersten aus Kohlefaserverbundstoffen gefertigten Höhenruder-Satz in einer feierlichen Zeremonie ausgeliefert. Er ist für das neue Langstreckenflugzeug A350 bestimmt. Airbus hat mit der chinesischen Regierung 2007 vereinbart, 5 % der A350-Strukturpakete in China fertigen zu lassen. Doch die dafür im Gegenzug erhofften Aufträge blieben aus. Airbus liegen aus China derzeit lediglich zehn feste Bestellungen von Air China für den A350 vor. A350, B787 oder C919?Rivale Boeing konnte bereits rund 60 Bestellungen für seinen Dreamliner B787 aus China verbuchen, gegen den der A350 antritt. Der US-Flugzeugbauer ist bereits seit 1972 in China präsent, hat jedoch keine Endfertigungslinie. Stattdessen ist er Partnerschaften mit 35 chinesischen Unternehmen eingegangen und hat sie an all seinen Flugzeugprogrammen beteiligt. Die Konkurrenz für Airbus in China wird sogar noch härter werden. Denn Comac aus China schickt sich an, den beiden Flugzeugbauern den Markt für Mittelstreckenflugzeuge mit ihrer C919 streitig zu machen. Die Erstauslieferung wurde gerade auf 2015 verschoben. Doch Experten gehen davon aus, dass die C919 einen Marktanteil von 4 % erreichen könnte.