Airline-Industrie verdoppelt Prognose für 2023
Flugverkehrsbranche
Airline-Industrie verdoppelt Gewinnprognose
Branchenverband erwartet komplette Erholung von der Pandemie im nächsten Jahr – Profitabilität bleibt zerbrechlich
wü Istanbul
Von Gesche Wüpper, Istanbul
Umsatz und Passagierzahlen der globalen Luftverkehrsindustrie dürften sich in diesem Jahr erstmals wieder dem Niveau des Vorkrisenjahres 2019 annähern. Doch die Volatilität der Ölpreise, anhaltende Probleme der Zulieferketten oder eine Esakalation von Handelskonflikten könnten die Erholung gefährden.
Die weltweite Airline-Industrie hat ihre Prognose für das laufende Jahr mehr als verdoppelt. Doch Probleme der Zulieferkette, der starke Anstieg von Treibstoffkosten, Flughafen- und Überfluggebühren stellen Risiken für die Entwicklung der Branche dar. „Die Krise liegt hinter uns“, sagte dennoch Willie Walsh, der Chef der IATA (International Air Transport Association), bei der Eröffnung der Hauptversammlung des Branchenverbandes in Istanbul. „Die finanzielle Entwicklung der Fluggesellschaften 2023 übertrifft die Erwartungen.“
Entsprechend dürften Airlines in diesem Jahr wieder zurück in die schwarzen Zahlen fliegen, mit Ausnahme derjenigen aus der Asien-Pazifik-Region, Afrika und Südamerika. Nach einem Nettoverlust von 3,6 Mrd. Dollar 2022 dürfte die Airline-Industrie 2023 weltweit ein Nettoergebnis von 9,6 Mrd. Dollar erwirtschaften, erwartet die IATA. In ihrer letzten Prognose im Dezember war sie noch von 4,7 Mrd. Dollar ausgegangen.
Das operative Ergebnis dürfte sich von 10,1 Mrd. Dollar auf 22,4 Mrd. Dollar verbessern, während der Umsatz weltweit um 9,7% auf 803 Mrd. Dollar zulegen dürfte. Damit dürfte er sich in diesem Jahr erstmals wieder dem Niveau des Vorkrisenjahres 2019 annähern, als er 838 Mrd. Dollar betrug. Das gilt auch für die Passagierzahlen. So erwartet der Branchenverband für dieses Jahr 4,35 Milliarden Passagiere weltweit, fast so viel wie im Rekordjahr 2019, als die Branche 4,54 Milliarden Fluggäste transportierte. Pro Passagier dürften Fluglinien im Schnitt 2,25 Dollar verdienen, nachdem sie 2022 pro Flugreisendem noch 1,10 Dollar verloren haben.
Die Rückkehr in die Gewinnzone sei ein Meilenstein, selbst wenn die Gewinnmarge gerade mal 1,2% betragen werde, meint die IATA. Allerdings fliegen die Airlines in einigen Regionen der Konkurrenz aus anderen Teilen der Welt weiter hinterher. Nordamerikanische Fluggesellschaften sind nach wie vor am profitabelsten, ihr Nettoergebnis dürfte sich 2023 von 9,1 Mrd. auf 11,5 Mrd. Dollar erhöhen. Das Ergebnis der europäischen Airlines soll von 4,1 auf 5,1 Mrd. Dollar steigen und das von Fluggesellschaften aus dem Mittleren Osten von 1,4 auf 2 Mrd. Dollar. Letztere würden auch von den Folgen des Ukraine-Krieges profitieren, da sich dadurch die Verkehrsströme verschoben hätten, meint IATA-Chefökonomin Marie Owens Thomsen.
Für positive Überraschungen könnten ihrer Meinung nach Airlines aus der Asien-Pazifik-Region sorgen. Sie dürften ihren Verlust von 13,5 auf 6,9 Mrd. Dollar verringern, wobei die Erholung wegen der früher als ursprünglich erwarteten Öffnung Chinas durchaus noch stärker als angenommen ausfallen könnte. Gesellschaften aus Lateinamerika dürften ihren Nettoverlust von 3,9 auf 1,4 Mrd. Dollar senken, afrikanische von 0,8 auf 0,5 Mrd. Dollar. „Die volle Erholung der Branche von der Covid-Pandemie erwarten wir für nächstes Jahr“, sagte Thomsen.
2021 sei das Luftfrachtgeschäft die Rettung der Branche gewesen, erklärte sie. „Wir erwarten für Cargo in diesem Jahr einen Umsatz von 143,2 Mrd. Dollar, auch wenn er sich abschwächt.“ Auch wenn das einen deutlichen Einbruch im Vergleich zu 2022 bedeutet, als der Umsatz 207,3 Mrd. Dollar betrug, läge er immer noch deutlich über dem Vorkrisenniveau. 2019 verbuchte die Industrie mit dem Luftfrachtgeschäft 100,8 Mrd. Dollar.
Der Branchenverband erwartet zwar einen Anstieg der Kosten für die Industrie weltweit um 8,1% auf 781 Mrd. Dollar, doch sie hat ihre Prognose für die Treibstoffpreise gesenkt. So geht IATA-Chefökonomin Thomsen davon aus, dass Kerosin in diesem Jahr im Schnitt 98,5 Dollar je Barrel kosten wird, nachdem die Airlines dafür 2022 im Schnitt 135,6 Dollar zahlen mussten. Im Dezember hatte Thomsen noch mit 111,9 Dollar je Barrel gerechnet. Nachhaltige SAF-Treibstoffe (Sustainable Aviation Fuel) sind derzeit nach Angaben Thomsens mindestens doppelt so teuer wie herkömmliches Kerosin. Dennoch dürften immer mehr Airlines SAF nutzen.
Neben der Volatilität der Ölpreise gibt es weitere Risiken, die die zerbrechliche Profitabilität der Fluggesellschaften laut Thomsen gefährden könnten. Dazu gehört die nach wie vor bestehende Möglichkeit einer Rezession. Sollte diese zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führen, dürften Airlines dies zu spüren bekommen. Auch die Zunahme internationaler Spannungen und eine mögliche Eskalation von Handelskonflikten oder des Ukraine-Krieges stellen mögliche Risiken dar. „Bisher hat der Ukraine-Krieg keine großartigen Auswirkungen auf die Profitabilität der meisten Fluggesellschaften gehabt“, erklärt der Branchenverband. Dagegen beeinträchtigen die Probleme der Zulieferketten den globalen Handel nach wie vor. Auch Airlines leiden darunter, da Ersatzteile fehlen und sich die Auslieferung bestellter Flugzeuge verzögert. Das behindert Fluggesellschaften dabei, ihre Flotten aufrechtzuerhalten und auszubauen.