Virtuelle Hauptversammlung

Aktionärsrechte in virtueller HV umstritten

Die virtuelle Hauptversammlung soll dauerhaft möglich werden. Justizminister Marco Buschmann sieht die Aktionärsrechte in seiner Novelle gestärkt. Aktionärsvertreter sehen dies ganz anders.

Aktionärsrechte in virtueller HV umstritten

wf Berlin

Die Pläne zur dauerhaften rechtlichen Verankerung der virtuellen Hauptversammlung kommt aus Sicht von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) den Anteilseignern zugute. „Aus einem coronabedingten Provisorium wird eine dauerhafte Möglichkeit“, erklärte Buschmann zu dem von seinem Haus vorgelegten Referentenentwurf. „Dabei werden jedoch die Aktionärsrechte deutlich gestärkt.“ Künftig solle es Mindeststandards für die Aktionärsrechte geben. Dazu zähle die Redemöglichkeit in der Versammlung und ein Nachfragerecht für alle Aktionäre. „Gleichzeitig stellen wir sicher, dass das virtuelle Format für die Unternehmen praktikabel bleibt“, so Buschmann. Aktionärsvertretern sehen ihre Rechte indessen in der Novelle beschnitten.

Mit der Verstetigung der virtuellen Hauptversammlung setzt das Bundesjustizministerium bereits zu Beginn der Legislaturperiode ein Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag um. Die virtuelle Hauptversammlung ohne physische Präsenz hatte noch die schwarz-rote Koalition als Notinstrument in der Coronapandemie eingeführt – in einem Omnibus-Gesetz über „Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie (GesRuaCOVBekG)“. Aktiengesellschaften und verwandte Rechtsformen (KGaA, SE und VVaG) konnten damit 2020 und 2021 Erfahrungen mit dem neuen Format sammeln. Im Zuge der anhaltenden Pandemie wurde die Übergangsregelung verlängert und die sehr starke Stellung der Verwaltung zugunsten der Aktionäre gemildert. Das Provisorium tritt mit dem 31. August außer Kraft.

Versammlung entzerrt

Länder und Verbände können nun bis 16. März zu dem vorgelegten Referentenentwurf Stellung nehmen. Erfasst sind von der Novelle Aktiengesellschaften und die verwandten Rechtsformen. Die Aktionäre können in der Satzung Bestimmungen zu einer virtuellen HV schaffen oder den Vorstand dazu ermächtigen. Neben einer Reihe von Voraussetzungen wie die vollständige Bild- und Tonübertragung verlagert der Entwurf relevante Informations- und Entscheidungsprozesse – und nun auch einen Teil der Ausübung von Rechten – in die Tage vor der Hauptversammlung. „Der Ablauf und der Prozess der Hauptversammlung werden dadurch entzerrt, die Auskunftsmöglichkeiten der Aktionäre werden gestärkt“, heißt es im Gesetz.

Investorenvertreter sehen dies anders. „Das Verhindern eines lebendigen Dialogs zwischen Aktionären und Unternehmen bei virtuellen Hauptversammlungen ist eine Einschränkung der Aktionärsrechte“, monierte Thomas Richter, Hauptgeschäftsführer des Fondsverbands BVI. „Die Rolle der Aktionäre muss unabhängig vom Veranstaltungsformat effektiv erhalten bleiben.“ Laut Entwurf dürfen Aktionäre per Video reden, aber Fragen nur schriftlich stellen. Auch Hauptgeschäftsführer Marc Tüngler von der Aktionärsvereinigung DSW sieht Nachbesserungsbedarf. „Das ist eine Basis, auf der wir hart und intensiv über das Regelwerk diskutieren müssen“, sagte er der Nachrichtenagentur Reuters. Er vermisst die Möglichkeit spontaner Wortmeldungen von Aktionären während der Versammlung. So werde ihnen das Recht genommen, auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren. Auch Ingo Speich, Experte für gute Unternehmensführung beim Wertpapierhaus Deka, hält die Aktionärsrechte nur in abgeschwächter Form gewahrt. Er vermisst die Option für hybride HVs.

Der Gesellschaftsrechtler Carsten Schapmann von der Kanzlei Hengeler Mueller konstatierte, das von den Schutzvereinigungen vehement ge­forderte Nachfragerecht sei nun – in engen Grenzen– im Gesetz vorgesehen. In der Covid-Zeit habe es bei Gesellschaften, die es freiwillig angeboten hatten, in der Praxis nur eine untergeordnete Rolle gespielt, stellte Schapmann fest. Die neue Redemöglichkeit sei eine Fortentwicklung zu Übergangsregelung. Einen echten Dialog zwischen Aktionären und Verwaltung ermögliche sie im Unterschied zur Präsenzhauptversammlung aber nicht, räumte er ein.